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Trotz aller Kritik: Der "Pflege-Bahr" kommt

Bundestag beschließt Pflegereform

BERLIN (ks/dpa). Der Bundestag hat am 29. Juni das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz beschlossen. Die Pflegereform verspricht mehr Leistungen für Demenzkranke und mehr Unterstützung für pflegende Angehörige. Zudem wurde mit dem Parlamentsbeschluss der Weg für private Zusatzversicherungen freigemacht: Der sogenannte "Pflege-Bahr" wird kommen. Die Opposition lehnte die Reform im Plenum geschlossen als völlig ungenügend ab.

Die Reform wurde mit den Stimmen von Union und FDP beschlossen, von 591 Abgeordneten stimmten 324 dafür und 267 dagegen. Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) verteidigte die einzelnen Schritte: "All das sind Verbesserungen, die den Menschen unmittelbar zugutekommen." So erhielten Menschen mit Demenz, die bisher kaum oder gar nicht berücksichtigt wurden, erstmals Leistungen der Pflegeversicherung. Ohne Eingruppierung in eine Pflegestufe können Demente mit "erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz" zum Beispiel Pflegegeld in Höhe von 120 Euro oder Sachleistungen von bis zu 225 Euro bekommen (sogenannte Pflegestufe 0). Demenzkranke mit Pflegestufe I ("erhebliche Pflegebedürftigkeit") bekommen ein um 70 Euro auf 305 Euro erhöhtes Pflegegeld oder um 215 Euro auf bis zu 665 Euro erhöhte Pflegesachleistungen. Für Demenzkranke mit Pflegestufe II ("schwere Pflegebedürftigkeit") gibt es 85 Euro mehr Pflegegeld (525 Euro) und 150 Euro mehr für Sachleistungen (1250 Euro). Zudem sollen Angehörige und Pflegebedürftige in Zukunft mehr Wahlfreiheiten haben, um die Pflege an ihre individuellen Bedürfnisse anzupassen. Weiterhin werden Wohnformen zwischen der ambulanten und stationären Betreuung zusätzlich gefördert. Unter bestimmten Umständen gibt es für solche Wohngruppen je Pflegebedürftigen 200 Euro zusätzlich.

Zusätzliche Leistungen müssen natürlich auch finanziert werden. Und so steigt der Beitragssatz zur Pflegeversicherung zum 1. Januar 2013 um 0,1 Prozentpunkte – also von 1,95 auf 2,05 Prozent, bei Kinderlosen von 2,2 auf 2,3 Prozent. Daneben sollen die Bürger aber auch vermehrt privat vorsorgen – mit einer Pflegetagegeldversicherung. Dabei sollen sie mit dem "Pflege-Bahr" vom Staat gefördert werden. Die Zulage beträgt 60 Euro im Jahr. Dazu müssen die Bürger zehn Euro im Monat als Mindestbetrag einsetzen. Dies soll auch Menschen mit geringerem Einkommen den Abschluss einer Pflege-Zusatzversicherung ermöglichen. Dabei dürfen die Versicherungsunternehmen keinen Antragsteller aufgrund möglicher gesundheitlicher Risiken ablehnen. Auch Risikozuschläge und Leistungsausschlüsse sind nicht erlaubt.

Die Opposition kritisierte das Gesetz im Bundestag als "Reförmchen", "Täuschung", "Skandal" und "Armutszeugnis". Eigene Anträge der Linken und der Grünen fanden jedoch keine Mehrheit im Parlament. Die SPD-Fraktionsvize Elke Ferner warf den Regierungsfraktionen vor, ihre Reform sei "ein Stück aus dem Tollhaus". Nach zweijährigem Stillstand werde auch jetzt kein Problem gelöst. Die private Zusatzversicherung sei ein Einstieg in den Ausstieg der paritätischen Finanzierung, bemängelte Ferner. Sozialschwächere könnten sich eine Zusatzpolice auch mit Förderung nicht leisten.

Beschlossene Sache ist die Pflegereform. Sie sieht unteranderem mehr Pflegegeld für Menschen mit Demenz undeine Förderung der privaten Pflegeversicherung vor, andererseitsauch einen Anstieg des Beitragssatzes zur gesetzlichenPflegeversicherung.

Auch die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Biggi Bender, kritisierte die Zusatzversicherung: "Sie entspricht voll der politischen Ideologie der FDP, aber sie ist bar der politischen Vernunft." Ihre Fraktionskollegin Elisabeth Scharfenberg warf der Koalition vor, angesichts nur geringer Mehrleistungen für Demenzkranke den Mund viel zu voll zu nehmen: "Ich gehe fest davon aus, dass wir in der nächsten Legislaturperiode genügend Unterstützung haben, diesen Unfug wieder rückgängig zu machen."

Besonders enttäuscht zeigten sich SPD, Linke und Grüne, dass es zunächst keine neue Bestimmung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs gibt. Damit soll eine neue Eingruppierung von Demenzkranken in die Pflegeversicherung ermöglicht werden. Die Zahl von 1,2 Millionen Demenzkranken wird sich nach Schätzungen bis 2060 auf 2,5 Millionen mehr als verdoppeln.

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