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Dingermann widerspricht Glaeske

BERLIN (daz). Der prominente TV-"Arzneimittelexperte" Professor Gerd Glaeske sorgte dieser Tage erneut für Aufregung in der Apothekerschaft. Am 6. September trat er in der SAT1 Sendung Akte 20.11 auf und gab Spartipps für den Arzneimittelkauf. Dabei machte er auch Aussagen zum Thema Verfallsdatum von Arzneimitteln: Dieses habe in erster Linie empfehlenden Charakter.
Foto: DAZ/Alex Schelbert
Prof. Dr. Gerd Glaeske Verfallsdatum ist eine Empfehlung.

Die SAT1-Ratgeber-Sendung unternahm den üblichen Preisvergleich zwischen Präsenz-, Discount- und Versandapotheke. Als Experten hatte sich SAT1 Glaeske, eingeladen. Er gab den Verbrauchern Tipps zum Thema Einsparmöglichkeiten bei Arzneimitteln. Seine Empfehlungen in der Sendung fielen schlicht aus: Präsenzapotheken sind am teuersten und lohnen sich nur in Akutfällen, ansonsten gibt es günstigere Arzneimittel in Discountapotheken und noch günstigere in den Versandapotheken. Dort ist auch die Beratung besser, da sie vertraulich am Telefon stattfindet und nicht wie in der Präsenzapotheke andere Kunden mithören können.

Für besonderen Wirbel sorgten allerdings Glaeskes Äußerungen zum Verfallsdatum. Zunächst stelle das Datum den Zeitpunkt dar, bis zu dem das Arzneimittel optimal wirke. Bei Überlagerung könne sich die Wirksamkeit verringern. Der Verbraucher sollte dann das Arzneimittel erstmal anschauen, ob beispielsweise Tabletten bröseln, Dragees rissig sind und sich in Flüssigkeiten etwas absetzt – dann sollte man vielleicht zurückhaltend sein. "Ansonsten sind es Empfehlungen", so der Arzneimittelexperte Glaeske, ein Verfallsdatum bedeute nicht, dass von einem Tag auf den anderen das Mittel nicht mehr wirke.

Foto: Dingermann
Prof. Dr. Theo Dingermann Die Arznei-Einnahme nach Überschreiten des Verfallsdatums kann riskant sein.

Prof. Dr. Theo Dingermann, Professor für Pharmazeutische Biologie an der Goethe-Universität Frankfurt/Main, trat den Aussagen Glaeskes wenig später mit Vehemenz entgegen: Die Einnahme von Medikamenten nach Überschreiten ihres Verfallsdatums kann riskant sein und sollte nicht verharmlost werden, betonte er. Es sei schlicht falsch, Verfallsdaten als Empfehlung zu betrachten und nur bei äußerlich erkennbaren Qualitätsmängeln, wie zerbröckelten Tabletten, auf die Einnahme verfallener Arzneimittel zu verzichten. Dingermann: "Eine Haltbarkeitsangabe zu einem Arzneimittel ist keineswegs eine Kennzeichnung, die auf eine Verpackung aufgedruckt wurde, weil dort noch Platz war. Im Gegenteil: Diese Angabe ist Teil der Zulassung des Arzneimittels, und sie basiert auf umfangreichen experimentellen Daten." Die Relevanz und Verbindlichkeit dieser Angabe sei daran erkennbar, dass nach dem Arzneimittelgesetz ein Arzneimittel die Verkehrsfähigkeit unter anderem dann verliert, wenn das Verfallsdatum überschritten ist.

"Ein Geschäftsmodell, wie es unter dem Label ‚Nobody is perfect‘ für Designer erlaubt ist, ist bei Arzneimitteln aus gutem Grund nicht möglich. Zweite Wahl-Arzneimittel gibt es nicht und darf es auch nicht geben", betonte Dingermann. Er sieht es äußerst kritisch, wenn ein von den Medien so stark nachgefragter Arzneimittelexperte die Relevanz des Haltbarkeitsdatums relativiert. Dies werde von vielen Menschen so verstanden, dass man diese Angabe tatsächlich auch ignorieren könne. "Aus pharmazeutischer Sicht ist dies völlig inakzeptabel und aus rechtlicher Sicht derzeit auch nicht haltbar", so Dingermann.



DAZ 2011, Nr. 37, S. 32

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