Arzneimittel und Therapie

Fehlerquelle schlechte Koordination und Kommunikation

Medikationsfehler sind eine ernsthafte Gefahr für die Patientensicherheit und belasten durch ihre Folgen die Ressourcen im Gesundheitswesen. Das größte Risiko für Medikationsfehler entsteht durch eine schlechte Koordination der Behandlung von Patienten. Das fanden die Autoren einer Studie heraus, die die möglichen Ursachen von Medikationsfehlern in sieben Ländern untersuchten. Dazu gehören auch patientenspezifische Faktoren wie die Behandlung durch zwei oder mehr Spezialisten, Multimorbidität, Krankenhausaufenthalte oder multiple Notaufnahmen.

Die größte Herausforderung bleibt eine besser strukturierte Organisation der medizinischen Versorgung und eine verbesserte Kommunikation zwischen den verschiedenen Heilberuflern.

Medikationsfehler als Riesenproblem

In ihrer Einleitung definieren die Autoren Medikationsfehler als jegliche Fehler, die während des Arzneimitteltherapieprozesses auftreten: dazu gehören das Verschreiben ebenso wie die Abgabe oder Anwendung eines falschen Arzneimittels oder die Dosis. Medikationsfehler müssen nicht zwangsläufig zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) führen. Sie sind aber eine oft vermeidbare Hauptursache für UAW.

Andere Studien haben gezeigt, dass bis zu 8% der Krankenhauseinweisungen durch unerwünschte Arzneimittelwirkungen verursacht werden. Sie sind eine substanzielle Belastung für die Ressourcen im Gesundheitssystem. Eine in den USA durchgeführte Studie schätzte die durch arzneimittelbezogene Probleme verursachten Kosten auf 17 bis 29 Milliarden Dollar im Jahr 2000.

Telefonische Befragung von Patienten

Als Datenquelle nutzten die Autoren eine internationale Erhebung aus dem Jahre 2007, den Commonwealth Fund International Health Policy Survey, die in sieben Ländern – Deutschland, Niederlande, Australien, Neuseeland, Kanada, Großbritannien und den USA – durchgeführt wurde.

Zur Datenerhebung wurden telefonisch zufällig ausgewählte erwachsene Personen befragt, mit dem Ziel, ihre Erfahrungen mit der medizinischen Versorgung ihres Landes zu erfassen. Jede Person, die entweder in den letzten zwei Jahren ein falsches Medikament bzw. die falsche Dosis erhielt oder falsch therapiert wurde, wurde der Gruppe "Medikationsfehler" zugeordnet. Eine Reihe von patientenabhängigen und organisatorischen Risikofaktoren wurde zunächst identifiziert und anschließend der Zusammenhang mit Medikationsfehlern untersucht.

Insgesamt meldeten 1291 (11%) der 11.910 in die Studie eingeschlossenen Patienten einen Medikationsfehler in den letzten zwei Jahren. Australien und die USA hatten die höchste Rate an Meldungen (15%; 13%), Großbritannien, Niederlande und Deutschland dagegen die niedrigste Rate (9%). In allen Ländern außer Deutschland hatten mehr als die Hälfte der Patienten eine oder mehrere chronische Krankheiten.

Fehler durch Information, nicht durch Polymedikation

In allen sieben Ländern erhöhte eine schlechte Koordination zwischen den an der Therapie beteiligten Heilberuflern das Risiko für einen Medikationsfehler um das Zwei- bis Dreifache. Unter schlechter Koordination verstanden die Autoren fehlende Ergebnisse klinischer Tests oder klinischer Daten bei den behandelnden Ärzten sowie die mehrfache Ausführung derselben klinischen Tests.

In allen Ländern – außer den Niederlanden – erhöhten kostenabhängige Barrieren (Patient verzichtet wegen der anfallenden Kosten auf einen Arztbesuch, auf das Medikament, auf den klinischen Test) das Risiko signifikant (p < 0,05). Das ist insofern bemerkenswert, weil alle Länder außer USA und Kanada den Anspruch erheben, Gesundheitsrisiken sozialstaatlich abzusichern und insofern eine anfallende Zuzahlung als Risiko eigentlich nicht akzeptiert werden dürfte.

Patientenbezogene Faktoren, die das Risiko für Fehlmedikation signifikant erhöhten, waren in vier Ländern Krankenhausaufenthalte, die Konsultation von zwei oder mehr Spezialisten in vier Ländern, zwei oder mehr Notaufnahmen in fünf Ländern und zwei oder mehr chronische Krankheiten in drei Ländern. Wenn das Alter der Patienten als Risikofaktor identifiziert wurde, dann waren vor allem junge Patienten betroffen. Keinen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit einer Fehlmedikation konnten die Autoren beim Einkommen, der Anzahl der Medikamente, dem Bildungsgrad oder der Zahl der Arztbesuche entdecken. Die Aussage, dass Medikationsfehler nicht von der Zahl der Medikamente abhängt, steht dabei im Widerspruch zu den Ergebnissen anderer Studien.

Problem aus Patientensicht: Kommunikation

Die Autoren konnten mit Zahlen belegen, was inzwischen allgemein bekannt sein dürfte: Probleme bei der Kommunikation zwischen den Heilberuflern existieren und erhöhen das Risiko für Fehlmedikation und damit verbundenen unerwünschten Arzneimittelwirkungen. Interessant ist, auch hinsichtlich zukünftiger Versorgungsforschung, dass die Auswertung einer Befragung von Patienten hier zum selben Ergebnis kommt wie Studien mit anderen Designs.

Bei einer Untersuchung fehlen häufig klinische Daten oder sind nicht verfügbar, weil sie nicht kommuniziert werden. Werden Patienten entlassen, bekommt der Hausarzt in mehr als der Hälfte der Fälle keine Informationen über die Entlassungsmedikation oder Medikationspläne ihrer Patienten.

Mit vergleichsweise einfachen organisatorischen Abläufen im Sinne der Patientensicherheit könnten hier große Effekte erzielt werden. Die Akteure des Gesundheitswesens müssen sich dieser Herausforderung annehmen.

Einschränkend verweisen die Autoren auf einen methodischen Aspekt: Es handelt sich bei der Studie um eine Sekundäranalyse. Auch müsse davon ausgegangen werden, dass bei einer telefonischen Befragung nicht alle Bevölkerungsgruppen erreicht werden können.


Zum Weiterlesen


Integrierte Versorgung. Neue Versorgungskonzepte für Chroniker.

Fachliche Hintergründe, aktuelle Entwicklungen und politische Konsequenzen.



DAZ 2011, Nr. 7, S. 46 – 64.


Quelle

Lu, C. Y.; Roughead, E.: Determinants of patient-reported medication errors: a comparison among seven countries. Int J Clin Pract 65 (7), 733 – 740 (2011).

onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1742 – 1241.2011.02671.x/full


Jan Giersdorf, Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit Nordrhein-WestfalenXXX



DAZ 2011, Nr. 28, S. 46

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