DAZ aktuell

Medikationsfehler oft schwer zu erfassen

Initiative zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit in Deutschland

REMAGEN (hb) | Aktuell widmen sich zwei Forschungsprojekte des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) dem Thema Medikationsfehler. Sie sollen valide häufigkeitsbezogene Daten über das reale Ausmaß der Problematik in der klinischen Praxis ermitteln. Idealerweise sollten auch Ansatzpunkte für etwaige Interventionsstrategien ableitbar sein, um diese zu vermeiden. Beide Initiativen sind Teil des Aktionsplans 2013 - 2015 des Bundesministeriums für Gesundheit zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit in Deutschland. Wie die DAZ in Erfahrung gebracht hat, gehen beide Projekte nun in die praktische Phase. Die Arzneimittelkommission der Deutscher Apotheker verhält sich mit ähnlichen Initiativen abwartend, denn bezüglich der Erfassung von Medikationsfehlern sind noch viele Fragen offen.

Aufgrund der geänderten Definition für eine Nebenwirkung (siehe Kasten „Hintergrund“) und der Ausweitung des Pharmakovigilanzbegriffs auf die Arzneimitteltherapiesicherheit wurden auch die Meldepflichten der pharmazeutischen Unternehmer erweitert. Hierfür sollte der Begriff „Medikationsfehler“ klar definiert und gegenüber dem Missbrauch, dem Fehlgebrauch und dem Off-­label-use abgegrenzt sein. Eine EU-weit einheitliche und akzeptierte ­Definition für den Medikationsfehler gibt es aber bisher noch nicht. Im EU-Kompendium „Good Pharmaco­vigilance Practices“ (GVP) finden sich zwar hier und da Anhaltspunkte, aber nach Expertenmeinungen ist hier noch vieles unscharf.

Hintergrund

Im Jahr 2010 wurde im Rahmen der Revision der europäischen Vorschriften zur Pharmakovigilanz die Definition für Nebenwirkungen erweitert: Während zuvor nur unbeabsichtigte und schädliche Reaktionen auf ein Arzneimittel als UAW galten, die bei bestimmungsgemäßem Gebrauch auftraten, umfasst die neue Definition jede Reaktion auf ein Arzneimittel, die unbeabsichtigt und schädlich ist, das heißt auch Medikationsfehler. Die Pharmakovigilanz umfasst hiernach neben der Gewährleistung der Arzneimittelsicherheit auch die Förderung einer sicheren und effektiven Verwendung von Arzneimitteln im Medikationsprozess (Arzneimitteltherapiesicherheit, AMTS). Die EU-Mitgliedstaaten müssen ihre nationalen Pharmakovigilanzsysteme nun entsprechend ­anpassen. Bisher gibt es in Deutschland keine zentrale Einrichtung, die Medikationsfehler zentral erfasst und bewertet.

Grundsätzlich müssen für die Einordnung einer Arzneimittelanwendung als Medikationsfehler zwei ­Bedingungen erfüllt sein:

a) ein unbeabsichtigtes Verhalten eines am Medikationsprozess Beteiligten, das zu einer unerwünschten Wirkung führt oder führen könnte

und

b) eine Anwendung außerhalb der Zulassungsbedingungen.

Medikationsfehler können weiter in die verschiedenen Kategorien eingestuft werden:

  • potenzieller Fehler,
  • Beinahe-Fehler (= schadensgeneigte Situation),
  • Fehler ohne schädliche Folgen, zum Beispiel eine Nebenwirkung,
  • Fehler mit schädlichen Folgen, zum Beispiel mit Auftreten einer Nebenwirkung.

Erfassung beim BfArM

Nach Einschätzung des BfArM lässt ein bedeutender Anteil der in seiner Nebenwirkungsdatenbank (UAW-Datenbank) gespeicherten Fallberichte einen Zusammenhang mit Medikationsfehlern vermuten. Darüber hinaus werden im BfArM seit Anfang 2012 Meldungen und Mitteilungen zu Medikationsfehlern ohne UAW erfasst und bewertet. Seit Anfang 2014 werden diese Meldungen systematisch in einer Datenbank geführt. 2014 wurden 134 entsprechende Meldungen, Mitteilungen und Anfragen zu Medikationsfehlern aufgenommen und ausgewertet. Im ersten Halbjahr 2015 waren es 73 Fallberichte. Das BfArM weist allerdings darauf hin, dass die pharmazeutischen Unternehmer entsprechend den geltenden Anzeigepflichten nur solche Medikationsfehler als Einzelfall anzeigen müssen, die zu Nebenwirkungen (UAW) geführt haben.

BfArM-Projekt zu Notfalleinweisungen

Das Forschungsprojekt des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist eine prospektive, multizentrische, observationelle Studie. Jeweils ein Jahr lang sollen in den Universitätskliniken Bonn, Fürth und Ulm sämtliche Notfalleinweisungen von Patienten an den zentralen Notaufnahmen daraufhin untersucht werden, ob sie durch Fehler bei der Verschreibung oder Anwendung von Arzneimitteln verursacht wurden. Das BfArM geht für den Projektrahmen von voraussichtlich 9000 Fällen aus, die auf unerwünschte Arzneimittelwirkungen zurückgehen. Im Falle eines vermeidbaren Medikationsfehlers soll der Studienarzt recherchieren, auf welcher Ebene der Prozesskette (z. B. Verschreibung, Abgabe, Anwendung/Verabreichung, Monitoring) der Fehler aufgetreten ist. Auf dieser Ebene sollen die Medikationsfehler dann in unterschiedliche Fehlerarten differenziert werden. Beispiele hierfür wären die Verschreibung eines falschen Medikaments, die Abgabe an den falschen Patienten oder die Verabreichung einer Extradosis. Anschließend soll ermittelt werden, ­welche Ursachen und begünstigende Faktoren dem Medikationsfehler ­zugrunde lagen. Zugleich soll die ­Relation zu solchen unerwünschten Arzneimittelwirkungen erfasst werden, die nicht durch Medikations­fehler verursacht werden.

Die Studie betrachtet die Notwendigkeit einer Krankenhausnotaufnahme als Indikator für eine schwerwiegende Arzneimittelnebenwirkung. Diese sollen vornehmlich erfasst werden. Medikationsfehler, die den Patienten nicht erreicht oder keinen Schaden bei ihm hervorgerufen haben, werden nicht erhoben.

Wie das BfArM mitgeteilt hat, wurde die Studie mit dem Titel „ADRED“ (Adverse Drug Reactions in Emergency Departments) im September 2015 am Uniklinikum Bonn gestartet. Fürth und Ulm sollen dann mit einem jeweils etwa einjährigen Zeitversatz folgen.

Projekt der AkdÄ zum Spontanmeldesystem

Seit Januar 2015 führt auch die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft in enger Kooperation mit dem BfArM ein Forschungsprojekt zur zentralen Erfassung und Bewertung von Medikationsfehlern durch. Mit dem Pilotprojekt sollen primär ärztliche Spontanmeldungen zu Medikationsfehlern erfasst werden, die zu einem (schwerwiegenden) Schaden geführt haben oder hätten führen können. Aber auch Medikationsfehler, die zu keinem Schaden beim Patienten geführt haben und Beinahe-Fehler sollen erfasst und analysiert werden. Die einzelnen Fallberichte sollen analog zu anderen Nebenwirkungsmeldungen innerhalb der AkdÄ bewertet und vertraulich behandelt werden.

Mit dem Projekt soll eruiert werden, ob Medikationsfehler im Rahmen der existierenden Strukturen des Spontanmeldesystems systematisch erfasst und bewertet werden können. Außerdem soll geprüft werden, ob sich durch eine systematische Analyse verwertbare Aussagen zu Risikofaktoren und Interventionsstrategien ableiten lassen.

Startschuss erfolgt

In ihrer ersten „Drug Safety Mail“ im neuen Jahr hat die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft nun am 4. Januar nach intensiven Vorarbeiten den offiziellen Startschuss für die praktische Umsetzung der Studie gegeben. Die Ärzte werden dazu aufgerufen, vermutete Medikationsfehler zu berichten. Ein spezifischer Berichtsbogen steht zu diesem Zweck auf der Homepage der AkdÄ zur Verfügung. Die Arzneimittelkommission betont, dass die Erfassung von Medikationsfehlern in einer offenen und angstfreien Atmosphäre des Austauschs und der Diskussion erfolgen soll. Wie von der Geschäftsstelle mitgeteilt wurde, besteht deswegen auch die Möglichkeit, eine Meldung anonym abzugeben. Das Projekt soll Ende 2017 abgeschlossen werden.

Was macht die AMK der Apotheker?

Die Deutsche Apotheker Zeitung hat auch bei der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) nachgefragt, wie es dort mit etwaigen Aktivitäten zur Erfassung von Medikationsfehlern steht. Man setze sich engagiert mit dem Thema auseinander, war zu erfahren, tue sich aber im Hinblick auf die unscharfen Begrifflichkeiten noch schwer mit praktischen Ansätzen. Aus der Sicht der AMK schaffen die derzeitigen Definitionsansätze noch keine ausreichend klare Abgrenzung, für die AMK die „Kardinalfrage“. Nun wolle man vordringlich erst einmal priorisieren, um zumindest die „Spitze des Eisbergs“ abgrenzen zu können. Dabei stütze sich die Arzneimittelkommission auf die umfangreichen Erfahrungen, die sie bereits mit AMTS gesammelt habe, und arbeite darüber hinaus eng mit der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft zusammen. Auch mit den Krankenhausapothekern gebe es einen regen fachlichen Austausch.

Derzeit würden alle bei der AMK eingehenden Meldungen über vermutete unerwünschte Arzneimittelwirkungen auf mögliche Medikationsfehler gecheckt. Seit 2103 seien diese im Übrigen bereits explizit in der Statistik der ABDA ausgewiesen. Nach der ABDA-Statistik gingen im Jahr 2014 nur 107 Meldungen zu Medikationsfehlern (Vorjahr: 235) ein, die überwiegend erfolgreich mit den Bundesoberbehörden bearbeitet wurden. Die nächste UAW-Statistik der ABDA wurde für die nächsten drei Wochen angekündigt.

Einig sind sich beide Arzneimittelkommissionen darin, dass die Haftungsfrage ein besonderer Knackpunkt bei der reibungslosen und „angstfreien“ Erfassung von Medikationsfehlern ist. Das hat auch die Europäische Arzneimittel-Agentur, die kürzlich einen „Good Practice-Leit­faden“ zur Meldung, Bewertung und Vermeidung von Medikationsfehlern herausgegeben hat (DAZ Nr. 51, 2015, S. 11) klar erkannt. Ein Patentrezept hat sie dafür jedoch noch nicht. |

Quellen

BfArM/PEI Bulletin für Arzneimittelsicherheit, Ausgaben 2 und 4, 2015, abrufbar unter www.bfarm.de

Aly AF, Köberle U, Stammschulte T, Bräutigam K. Zentrale Erfassung und Bewertung von Medikationsfehlern innerhalb des Spontanmeldesystems der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ). Arzneiverordnung in der Praxis (AVP), 3/2015, Themenheft Arzneimitteltherapiesicherheit, S. 105-110.

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