Arzneimittel und Therapie

Prävention für Todkranke?

Krebsfrüherkennungsmaßnahmen werden zu einem erheblichen Anteil auch bei Patienten mit fortgeschrittenem Tumorleiden und geringer Lebenserwartung durchgeführt. Doch sind solche Maßnahmen dann noch sinvoll? Eine Überdiagnostik zum falschen Zeitpunkt ist überflüssig, teuer und belastet den Patienten zusätzlich, so das Fazit einer amerikanischen Studie.

Krebsfrüherkennungsprogramme sollen bei beschwerdefreien Gesunden maligne Entartungen zu einem frühen Zeitpunkt aufdecken. Diese präventiven Untersuchungen haben sich bei verschiedenen Tumorentitäten wie etwa Brust-, Darm-, Prostata- und Gebärmutterhalskrebs bewährt – allerdings nur unter der Voraussetzung, dass das Karzinom in einem frühen Stadium erkannt wird und das Tumorleiden noch nicht fortgeschritten ist. Doch werden diese Screening-Maßnahmen auch tatsächlich gezielt eingesetzt und nicht nach dem Gießkannenprinzip verteilt? Mit dieser Frage beschäftigte sich eine amerikanische Arbeitsgruppe.

Früherkennung im Spätstadium

Für die Studie wurde die Teilnahme an Krebsfrüherkennungsmaßnahmen von knapp 88.000 älteren Patienten (65 Jahre und älter) erfasst, die an einem fortgeschrittenen Krebsleiden (Lungen-, Pankreas-, Darmkrebs sowie Karzinome der Brust und der Speiseröhre) erkrankt waren und eine durchschnittliche Lebenserwartung von weniger als zwei Jahren aufwiesen. Um Vergleichszahlen zu erhalten, wurde bei rund 87.000 älteren Menschen ohne bekannte Tumorerkrankung die Beteiligung an Früherkennungsuntersuchungen festgehalten. Ermittelt wurden dabei die Teilnahmeraten zur Früherkennung von

  • Mammakarzinomen (Mammographie)
  • Prostatakrebs (PSA-Bestimmung)
  • Gebärmutterhalskrebs (Pap-Abstrich)
  • Darmkrebs (endoskopische Untersuchung).

Dabei zeigte sich, dass Tumorpatienten in fortgeschrittenen Stadien zu einem erheblichen Anteil an den Früherkennungsmaßnahmen teilgenommen hatten (siehe Tabelle). Waren die Patienten zuvor regelmäßig an Screening-Programmen beteiligt, erfolgten die Untersuchungen noch häufiger. In diesen Fällen unterzogen sich 16% der Frauen einer Mammographie und ließen 15% einen Abstrich durchführen. Ferner nahmen 6% der Patienten an einer Darmspiegelung und 23% der Männer an einem PSA-Test teil.


Prozentuale Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen

Früherkennungsmaßnahme
Teilnahme von
Tumorpatienten (%)
Teilnahme der
Kontrollgruppe (%)
Mammographie
8,9%
(95% KI 8,6% – 9,1%)
22%
(95% KI 21,7% – 22,5%)
Pap-Abstrich
5,8%
(95% KI 5,6% – 6,1%)
12,5%
(95% KI 12,2% – 12,8%)
PSA-Test
15%
(95% KI 14,7% – 15,3%)
27,2%
(95% KI 26,8% – 27,6%)
Darmspiegelung
1,7%
(95% KI 1,6% – 1,8%)
4,7%
(95% KI 4,6% – 4,9%)

Routine und mangelnde Kommunikation

Auf der Suche nach Erklärungen für die Anordnung überflüssiger Vorsorgeuntersuchungen sprechen die Studienautoren von "tief eingegrabenen Gewohnheiten" und einer "Screening-Routine auf Autopilot". Dass routinemäßige, unreflektierte Untersuchungen auch absurde Blüten treiben können, zeigte eine andere Studie, die die Durchführung von Pap-Abstrichen bei hysterektomierten Frauen aufdeckte. Einen weiteren Grund für überflüssige Untersuchungen vermuten die Autoren in einem Kommunikationsdefizit, da viele Ärzte nicht mit ihren Patienten über schlechte Prognosen und in diesem Fall über den zweifelhaften Nutzen einer Früherkennungsmaßnahme sprechen. Auch darf nicht vergessen werden, dass Vorsorgeuntersuchungen belastend sein können, psychischen Stress verursachen und mitunter weitere Untersuchungen und Biopsien zur Folge haben.


Quelle

Sima C., et al.: Cancer screening among patients with advanced cancer. J. Am. Med. Assoc. (2010) 304, 1584 – 1591.


Apothekerin Dr. Petra Jungmayr



DAZ 2011, Nr. 2, S. 42

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