Onkologie

Resistenzprobleme bei medikamentösen Krebstherapien

Zytostatikaresistenzen und deren diagnostischer Nachweis

Von Theodor H. Lippert und Manfred Volm

Zytostatikaresistenzen sind die häufigste Ursache für erfolglose medikamentöse Krebsbehandlungen. Sie können entweder präexistent (intrinsic drug resistance) oder durch Medikamente induziert sein (acquired drug resistance). Ihnen liegen zahlreiche, individuell sehr variable biologische Mechanismen zugrunde. Versuche, sichere Gegenmaßnahmen zur Überwindung der Resistenzen zu entwickeln, sind bisher gescheitert. Diagnostische Tests stellen jedoch eine Möglichkeit dar, vor und während einer Behandlung Zytostatikaresistenzen zu erkennen und damit die unwirksame und darüber hinaus auch schädliche Anwendung von Medikamenten zu verhindern.

Krebszelle unter dem Rasterelektronenmikroskop.
Quelle: National Cancer Institut

Die moderne Chemotherapie maligner Tumoren begann in den 1940er Jahren. Damals konnten die beiden Pharmakologen Goodman und Gilman nachweisen, dass mit N-Lost Tumorregressionen beim Non-Hodgkin-Lymphom zu erzielen sind. Sie fanden auch, dass Toxine Tumoren stärker als normales Gewebe angreifen können, und legten somit den Grundstein zur Erforschung der medikamentösen Behandlung von Neoplasien [1].

Schon früh wurde aber auch festgestellt, dass Tumoren bald resistent gegen Toxine werden können. Obwohl einige Forscher auf die Resistenzproblematik bei der Behandlung von Tumoren mit Toxinen hingewiesen und Lösungsvorschläge unterbreitet haben, führte dies damals zu keinen Konsequenzen [2, 3].

Komplexität der Resistenz

Während die Entwicklung neuer Medikamente immer Vorrang hatte, ist die Aufdeckung von neuen Resistenzmechanismen wesentlich weniger beachtet worden. Das heute vorliegende Datenmaterial zur Chemotherapieresistenz zeigt, dass es sich hier um sehr komplexe Prozesse handelt. Das Nichtansprechen auf eine Chemotherapie ist immer durch mehrere Resistenzfaktoren bedingt.

Tierversuche zur Tumortherapie brachten zwei wichtige Erkenntnisse:

  • Nach wiederholter Behandlung mit einem Krebsmedikament sprechen die Tiere nicht mehr auf die Therapie an.
  • Pharmakologie und Pharmakokinetik verändern sich während der Behandlung [4]. Nicht nur die Krebszellen sondern auch normale Zellen helfen dabei, die Medikamentenwirkung zu verhindern.

Vielfalt der Resistenzmechanismen

Wie für das Entstehen maligner Tumoren genetische und epigenetische Veränderungen ursächlich verantwortlich sind, liegen auch den Resistenzen transformative Vorgänge zugrunde. Die funktionellen Veränderungen werden allerdings von Proteinen, die aus den genetischen Umstrukturierungen resultieren, umgesetzt. Diese recht zahlreichen Proteine können den Erfolg einer Chemotherapie durch verschiedene, von ihnen ausgelöste Mechanismen verhindern:

  • verminderte Aufnahme der Medikamente in die Tumorzelle,
  • verminderte Metabolisierung von Prodrugs zum Wirkstoff,
  • beschleunigte Ausscheidung der Zytostatika aus der Tumorzelle,
  • beschleunigte Inaktivierung der Medikamente,
  • veränderte Affinität der Medikamente zu Zielmolekülen,
  • erhöhte Reparatur von DNA-Schäden.

Resistenz-involvierte Proteine

Die bisher bekannten, durch genetische Variationen (Polymorphismen) entstehenden Proteine können folgendermaßen zusammengefasst werden [5].

  • An erster Stelle steht die große Gruppe der Proteine, die Medikamente durch Zellmembranen transportieren. Zu ihnen gehören die etwa 50 ABC-Transportproteine (Membranproteine mit einer ATP-bindende Kassette; engl. ATP-binding cassette transporters), das P-Glykoprotein, die Multidrug resistance-related Proteine, das Breast cancer-related Protein, das Reduced folate cancer Protein und die Nucleoside transporters. Die Überexpression der Proteine dieser Gruppe führt zu dem bekannten Multidrug-Resistance-Phänomen, wobei eine Reihe von Zytostatika wie Anthracycline, Vinca-Alkaloide, Taxane und Epipodophyllotoxine aus der Krebszelle gepumpt werden.
  • Weitere Resistenzproteine kommen aus der Gruppe der Arzneimittel-metabolisierenden Phase-I-Enzyme, wie den Cytochrom-P450-Monooxygenasen, und aus der Gruppe der Arzneimittel-metabolisierenden Phase-II-Enzyme, wie z. B. Glutathion-S-Transferasen, UDP-glucuronosyl-Transferasen und NADH:Ubichinon-Oxidoreduktase.
  • Resistenzproteine wurden auch bei der DNA-Biosynthese und beim DNA-Metabolismus gefunden, so die Thiopurin-S-Methyltransferase, die Thymidylat-Synthase und Proteine des DNA-Reparaturmechanismus wie die O6 -Methylguanin-DNA-Methyltransferase.
  • Wichtig für die Resistenz sind ferner Proteine der Apoptose-Regulation. Hier sind das Tumorsuppressor-Protein p53, das Fas- und das Bcl-2-Protein sowie die Caspasen zu nennen. Auch der Tumornekrosefaktor und das Interleukin 6 sind in die Apoptose involviert und somit an der Resistenzentwicklung beteiligt.

Diese Aufstellung mag einen Einblick geben, welche zahlreichen Möglichkeiten dem Organismus zur Verfügung stehen, um die Chemotherapeutika abzuwehren. Im Allgemeinen sind immer mehrere Faktoren und Mechanismen an der Resistenz gegen ein bestimmtes Zytostatikum beteiligt.

Der Sinn der Resistenzentwicklung

Resistenzsysteme sind nicht nur unter dem Aspekt der Zytostatikaabwehr zu sehen, denn sie beruhen auf allgemeinen physiologischen Entgiftungsfunktionen, mit denen die Zellen in den Organismus eingedrungene toxische Stoffe eliminieren. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass bei (ehemaligen) Rauchern die Resistenzmechanismen besonders stark ausgeprägt sind und aus diesem Grunde die Zytostatikabehandlung von Lungentumoren wenig erfolgreich ist [6, 7]; denn durch die Exposition gegenüber dem Zigarettenrauch wird der Organismus trainiert, die Lungen vor toxischen Stoffen zu schützen. Auch bei Patienten mit anderen Krebserkrankungen, die sich im Vorfeld mit toxischen Stoffen auseinandersetzen mussten, dürfte die Resistenzlage bei der Chemotherapie erhöht sein.

Dieses Faktum lässt sich möglicherweise als eine Erklärung dafür heranziehen, warum es zwei Formen der Resistenz gegen Chemotherapeutika gibt, die sich durch den Zeitpunkt ihres Auftretens unterscheiden. Es gibt

  • eine bereits vor der Behandlung bestehende Resistenz (intrinsic resistance) und
  • eine erst durch die medikamentöse Behandlung induzierte Resistenz (acquired resistance).

Nach statistischen Angaben soll bei fast der Hälfte aller Tumorfälle eine "intrinsic resistance" bestehen und bei einem weiteren beträchtlichen Anteil der restlichen Fälle eine "acquired resistance" auftreten [8].

Medikamentöse Resistenzmodulation

Die Kenntnis von Resistenzmechanismen hat das Interesse geweckt, Strategien zu entwickeln, welche die Resistenzen aufheben können. Anfang der 80er Jahre wurde erstmals berichtet, dass mit dem Calciumantagonisten Verapamil bei Leukämiezellen Resistenzen zu verhindern sind [9]. In der Folgezeit wurden mehrere andere Substanzen entdeckt, die Zytostatikaresistenzen in vitro durchbrechen können. Es handelte sich dabei um bereits für andere Erkrankungen angewandte Medikamente, wie z. B. Calciumantagonisten, Psychopharmaka aus der Gruppe der Calmodulinantagonisten, Cyclosporine, Chinolone und Antiöstrogene [10]. Auch monoklonale Antikörper gegen Resistenzproteine zeigten Resistenz-reduzierende Wirkungen. Die in In-vitro-Untersuchungen erhobenen Befunde entsprachen leider nicht den Ergebnissen in vivo, die in den meisten Fällen nicht zufriedenstellend waren. Der Grund dafür dürfte das restaurierende multifaktorielle Resistenzpotenzial von Tumorzellen sein; bei der Hemmung von einzelnen Komponenten können andere Komponenten kompensatorisch einspringen und die eingenommene Abwehrreaktion aufrechterhalten.

Es wurden auch grundsätzliche Bedenken zur Durchbrechung von Resistenzen durch Resistenzmodulatoren geäußert. Da Resistenzmechanismen auch in normalen Zellen vorhanden sind, wo sie wichtige Entgiftungsfunktionen ausüben (s. o.), sind nach Gabe von Resistenzmodulatoren erhöhte toxische Nebenwirkungen durch Zytostatika zu erwarten. Die Entwicklung weiterer Resistenzmodulatoren wie Immunotoxine, bispezifische Antikörper, Antisense-Oligodeoxynucleotide, Ribozyme und Albumin-konjugierte Medikamente hat keine besseren Ergebnisse geliefert [10]. Auch bei ihnen konnten die Krebszellen kompensatorisch jeweils andere Abwehrmechanismen einsetzen.

Gezielt wirkende Krebsmedikamente

In den letzten Jahren wurden "gezielt" wirkende Krebsmedikamente ("targeted therapies") entwickelt. Im Gegensatz zur klassischen Chemotherapie, die auch normale Zellen angreift und aus diesem Grunde auch als Schrotschusstherapie bezeichnet wird, greifen die neuen Medikamente an einzelnen Faktoren, die zum Wachstum der Tumoren führen, an. Es scheint dies ein erfolgversprechender Weg zu sein, da heute eine Reihe solcher Faktoren bekannt ist, die vor allem durch Antikörper inaktiviert werden können. Obwohl bereits mit vielen Vorschusslorbeeren als großer Fortschritt der Krebstherapie gelobt [11], gibt es bei näherer Betrachtung doch noch ungelöste Probleme. Bei den infrage kommenden Faktoren, wie z. B. Vascular endothelial growth factor (VEGF), Epidermal growth factor (EGF) und Tyrosinkinasen handelt es sich um Moleküle, die nicht nur im Tumor, sondern auch in Normalgeweben vorkommen und dort eine physiologische Funktion haben. Ein weiteres Problem ist die vorher beschriebene Komplexität einer Resistenz, die das Ausschalten eines Faktors durch die Aktivierung eines anderen Faktors kompensieren kann.

Die vielen Therapieversager und die Nebenwirkungen zeigen, dass auch die sogenannten "gezielten Therapien" [12] nicht den erwarteten Erfolg gebracht haben. Nur in Kombination mit einer klassischen zytostatischen Chemotherapie ist mit ihnen eine etwas größere therapeutische Ansprechrate zu erzielen. Zudem ist nur ein kleiner Teil von Krebserkrankungen, wie einige Leukämien und Lymphome sowie testikuläre und trophoblastische Tumoren, heute erfolgreicher mit Medikamenten behandelbar als früher. Dagegen haben Patienten mit soliden Tumoren nur wenig von den Fortschritten der medikamentösen Krebstherapie profitiert.

Frühe Versuche des Resistenznachweises

Da viele Patienten auf Zytostatika nicht ansprechen, haben schon in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts mehrere Forschergruppen versucht, Resistenzen von Tumoren nachzuweisen. Ihr Ziel war eine individuelle Chemotherapie bzw. der Schutz von Patienten mit einer Zytostatikaresistenz vor nutzlosen Therapieversuchen. Als Testmodell diente die In-vitro-Reaktion frisch entnommener Tumorzellen auf Zytostatika. Die frühen Versuche der Sensibilitäts- und Resistenzprüfung von menschlichen Tumoren wurden in einer umfangreichen Übersichtsarbeit bereits 1968 zusammengefasst [3].

Durch Kenntnisse der zugrunde liegenden Resistenzmechanismen noch nicht belastet, haben die Forscher nur den Effekt der Medikamente auf das Tumorzellwachstum getestet. Sie wollten eine individuelle Sensibilitätsskala der Zytostatika erstellen, die in Analogie zum Antibiogramm bei der antibakteriellen Therapie "Onkobiogramm" heißen sollte. Anfänglich variierten die Auswertungsmodi der Tests stark von Labor zu Labor; angewandt wurden z. B. Zellzahlbestimmungen, quantitative Proteinbestimmungen, Messungen der pH-Wert-Änderungen des Kulturmediums, der Zell-Glykolyse, der Dehydrogenase-Aktivität oder des Einbaus von markierten Präkursoren der Zellteilung. Große Unterschiede bestanden auch bei den Zellkulturtechniken. Die Übereinstimmungen zwischen Test- und Therapieergebnissen erwiesen sich jedoch damals schon als befriedigend (60 – 90%).

Die schon damals aufkommenden Bestrebungen, die Chemotherapien durch Tests zu individualisieren, fanden jedoch kein allgemeines Interesse. Möglicherweise lag dies daran, dass keiner der vielen unterschiedlichen Tests es zu einer Standardisierung und Weiterverbreitung brachte. Ein weiterer Grund dafür dürfte sein, dass zu früh zu hohe Erwartungen an ihre Zuverlässigkeit gestellt wurden. Hinzu kam, dass das angesehene New England Journal of Medicine kritische Stimmen über die Möglichkeiten von Artefakten bei Testdurchführungen und dadurch bedingte Falschaussagen publizierte [13]. Das damals in die Welt gesetzte Urteil, In-vitro-Tests zur Ansprechbarkeit auf Krebsmedikamente seien unzuverlässig, ist auch heute noch – jedoch unberechtigterweise – weit verbreitet. Dabei wurde und wird immer noch übersehen, dass diese Tests die Zytostatikaresistenz sicher erkennen können, während sie die Sensibilität für ein Medikament nur in wesentlich schwächerem Umfang voraussagen können.

Während beim Zellkulturtest die Reaktion der Tumorzelle als funktionelle Einheit getestet werden kann, eröffneten sich mit der Entdeckung von Tumormarkern neue Möglichkeiten, die Reaktion auf Medikamente zu untersuchen [14].

In den 60er Jahren wurden mit Alpha-Fetoprotein (AFP; erhöht beim Hepatom) und Carcino-embryonic-Antigen (CEA; erhöht beim kolorektalen Karzinom) zwei klinisch wichtige Tumormarker entdeckt. Obwohl erkannt wurde, dass die Bestimmung von Tumormarkern zur Überwachung des Erfolgs einer Chemotherapie geeignet sein kann, ist sie in der Klinik ohne größere Bedeutung für therapeutische Entscheidungen geblieben. Zu den wenigen Ausnahmen zählen die Messung des humanen Chorion-Gonadotropins (hCG) beim Chorionkarzinom und die Bestimmung des Prostata-spezifischen Antigens (PSA) beim Prostatakarzinom.

Die Tatsache, dass die meisten Tumormarker keine Tumorspezifität besitzen (so kann z. B. CEA nicht nur bei kolorektalen Karzinomen, sondern auch beim Bronchialkarzinom, bei HNO-Tumoren, beim Ösophagus-, Leber-, Mamma- und Ovarialkarzinom erhöht sein), schließt nicht aus, dass sie zur Überwachung von Chemotherapien verschiedener Tumoren geeignet sind: Ein Abfall ihrer Konzentration im Blut kann als Therapieansprechen, ein Gleichbleiben oder Anstieg als Therapieresistenz interpretiert werden. Eine validierte Standardisierung der Tumormarkerdiagnostik ist allerdings bisher noch nicht erfolgt [14].

Derzeitige Strategie der Resistenzbekämpfung

Die Aufklärung mehrerer Resistenzmechanismen von Tumorzellen hat zu der Auffassung geführt, dass Resistenzen durch die Kombination von Zytostatika mit unterschiedlichen Angriffspunkten und dadurch breitem Wirkungsspektrum wirkungsvoll zu bekämpfen seien. Die meisten Tumorerkrankungen werden heute mit chemotherapeutischen Kombinationen behandelt; wobei durch Leitlinien die Schemata weitgehend festgelegt sind. Die jeweiligen Standardkombinationen werden jedoch ohne Kenntnis der individuellen Resistenzlage blind verabreicht, nach der sogenannten "Trial and Error"-Strategie. Die immer noch sehr hohen Versagerraten bei den angewandten Krebsmedikamenten, einschließlich der neuen "gezielt" wirkenden Medikamente, legen jedoch ein klares Zeugnis ab, dass die Resistenzproblematik noch keine befriedigende Lösung gefunden hat.

Nachweis der Resistenz durch Cancer-Biomarker

Biomarker, mit deren Hilfe Krebstherapien durch Subgruppenermittlung zielgerichteter gestaltet werden können, besitzen derzeit einen hohen Stellenwert. Die Erfahrungen mit den ersten auf Cancer-Biomarkern beruhenden Therapien sind jedoch nicht sehr ermutigend. So hat die Therapie von Mammakarzinomen, bei denen der EGF-Rezeptor Her2/neu überexprimiert ist, mit dem monoklonalen Antikörper Trastuzumab (Herceptin®) die Prognose der Patientinnen nicht wesentlich verbessert.

Cancer-Biomarker, die vom Tumor ins Blut oder andere Körperflüssigkeiten abgegeben werden, dürften jedoch, wie bereits bei den früher entdeckten Tumormarkern postuliert, zur individuellen Resistenzüberwachung durch Messung von Konzentrationsänderungen geeignet sein.

Zur Erforschung der Cancer-Biomarker gehört im weiteren Sinne auch die Pharmakogenetik. Es handelt sich um einen jungen Forschungszweig, der sich mit dem Einfluss genetischer Faktoren auf Arzneimittelwirkungen befasst. Mit modernen Labortechniken (Genomics, Proteomics) kann eine große Anzahl von biologischen Molekülen erfasst werden, die in ihrer Gesamtheit Auskunft über die Wirksamkeit und Toxizität von Medikamenten geben können. Diese Erkenntnis hat dazu geführt, dass auf dem Gebiet der Chemotherapie große Forschungsaktivitäten in Gang gesetzt werden, um unter anderem auch eine individualisierte Therapie zu ermöglichen.

Das Ausgangsmaterial bei pharmakogenetischen Tests ist Tumorgewebe, das allerdings nicht mehr vital zu sein braucht. Ein Vorteil besteht darin, dass auch fixierte histologische Präparate zur Testung verwendet werden können. Selbstverständlich kann nur der Status, der zur Zeit der Gewebeentnahme vorlag, diagnostiziert werden. Zurzeit liegen nur Ergebnisse aus wissenschaftlichen Forschungslaboratorien vor. Sie haben gezeigt, dass die Vielzahl der erfassten Faktoren keine einfach verwertbaren Resistenzdiagnosen liefern kann.

Mit einer geringeren Anzahl, einem Cluster von jeweils typischen Molekülen, ist nach ersten Erfahrungen besser zu einer Diagnosestellung zu kommen [15]. Interessant ist der mit diesen Methoden nachgewiesene Befund, dass – wie schon früher beobachtet – weitreichende Kreuzreaktionen unter Zytostatika bestehen können [16]. Das heißt, dass Tumoren, die resistent gegen ein bestimmtes Zytostatikum sind, häufig auch resistent gegen viele andere Zytostatika sind, während sensitive Tumoren häufig auch Sensibilität für eine Reihe anderer Zytostatika aufweisen.

Da auch kommerzielle Interessen im Spiele sind, unternehmen Firmen derzeit große Anstrengungen, pharmakogenetische Tests für die individuelle Zytostatikaanwendung zu entwickeln. Die pharmakogenetische Diagnostik befindet sich allerdings noch in den Kinderschuhen, und die bisherigen Ergebnisse sind immer noch kritisch zu beurteilen, da Fehlinterpretationen möglich sind [17, 18]. Die ersten, noch mit begrenzter Aussagekraft behafteten pharmakogenetischen Tests sind bereits kommerziell erhältlich. So gibt es einen von der amerikanischen FDA zugelassenen Gentest, der die individuelle Wirksamkeit des Zytostatikums Irinotecan beurteilt [19]. Weitere im Handel befindliche Gentests für Krebserkrankungen sind der MammaPrint Microarray [20] und der Oncotype DX [21]; beide liefern Hinweise auf das Rezidivrisiko von Frauen nach einer Brustkrebsoperation. Aussagen über die Wirksamkeit einer erforderlich werdenden Chemotherapie im individuellen Fall vermögen diese Tests allerdings nicht zu machen.

Nachweis der Resistenz mit in vitro kultivierten Tumorzellen

Obwohl die Erforschung von Resistenztests mehr als ein halbes Jahrhundert lang nur einen Nischenplatz in der Krebsforschung einnahm, wurde der bereits in den Anfängen der Chemotherapie konzipierte, auf Tumorzellkulturen basierende Test stetig verbessert. Das Prinzip des Testverfahrens ist einfach und überzeugend: Bei der chirurgischen Tumorentfernung wird ein kleiner Tumorteil in noch vitalem Zustand ins Labor transferiert und eine Kurzzeitzellkultur angelegt. Nach Inkubation mit Zytostatika wird die Medikamentenwirkung auf das Tumorzellwachstum bewertet. Heute werden dazu am häufigsten die beiden Biomarker Thymidin und ATP verwendet.

Der Thymidin-Test [22], der bereits in den 1970er Jahren entwickelt wurde, misst in vitro die Inkorporation von radioaktiv markiertem Thymidin in die Krebszellen-DNA. Die Inkorporation signalisiert DNA-Replikation und Zellwachstum. Eine von Kern und Weisenthal standardisierte Weiterentwicklung, der Extreme Drug Resistance (EDR) Assay [23], ist heute kommerziell erhältlich. Wenn die Tumorzellen nach der Inkubation mit suprapharmakologischen Zytostatikadosen weiterwachsen, besteht mit über 90%iger Wahrscheinlichkeit eine Zytostatikaresistenz.

Ein anderer weitverbreiteter standardisierter und kommerziell erhältlicher Zytostatikaresistenztest ist der ATP-Tumor Chemosensitivity Assay (ATP-TCA), entwickelt von Andreotti et al. [24]. Hier wird als Vitalitätsparameter der ATP-Gehalt der Tumorzellen nach der Inkubation mit Zytostatika bestimmt. Auch hier ist die Zuverlässigkeit der Testergebnisse recht hoch: Eine Chemoresistenz wird in nahezu 100% der Fälle angezeigt (siehe Internet).

Internet

Informationen zum ATP-Tumor Chemosensitivity Assay

google "ATP-TCA-Test" oder


 

www.brustwiederherstellung.de, Diagnose


 

Informationen zum Extreme Drug Resistance Assay

google "EDR-Test"

Neben diesen beiden Tests gibt es noch einige andere, die vorwiegend für wissenschaftliche Fragestellungen angewandt werden [25, 26].

Obwohl heute zahlreiche Studien den Wert dieser Resistenzbestimmungen dokumentieren, hat die Amerikanische Gesellschaft für Klinische Onkologie (ASCO) als weltweit führende Meinungsbildnerin ihre frühzeitig eingenommene ablehnende Haltung gegen diese Tests beibehalten [27]. In einer kürzlich erschienenen Publikation kommt sie anhand einer Literaturübersicht zu dem Ergebnis, dass die bestehenden In-vitro-Tests mit frischem Tumorgewebe noch "investigational" seien und nur innerhalb von klinischen Studien zum Einsatz kommen sollten. In der Stellungnahme wurden von den vielen peer-reviewed Veröffentlichungen (> 700) nur zwölf zur Auswertung herangezogen, die gewisse Studienkriterien erfüllten [28]. Es handelt sich um Studien, die im Zeitraum von 1983 bis 2003 publiziert worden waren und unterschiedliche Testmethoden (insgesamt 6) angewandt hatten. Auf Unterschiede der einzelnen Labortechniken wurde nicht näher eingegangen. Ob die Resistenz gegen bzw. die Sensibilität für Zytostatika unterschiedlich beurteilt wurde, geht aus der Analyse nicht hervor; dies ist aber von grundlegender Bedeutung.

Die ASCO fordert, dass nur prospektive randomisierte Studien zu einer Anerkennung der Tests führen können [27]; solche Studien dürften allein schon aus Kostengründen nicht realisierbar sein. Es ist dem auch entgegenzuhalten, dass für keinen anderen Labortest ein Nachweis des Behandlungserfolgs durch kontrollierte randomisierte klinische Studien gefordert wurde, u. a. auch nicht für die Östrogenrezeptorbestimmung.

Nachweis der Resistenz mit der PET

Die Diagnose einer Zytostatika-induzierten Resistenz, einer "acquired resistance", war bis vor Kurzem mit großen Schwierigkeiten verbunden, da Tumorgewebe während der Behandlung nur in Ausnahmefällen leicht zugänglich ist. Eine Lösung des Problems wurde erst vor wenigen Jahren durch die nuklearmedizinische Forschung auf dem Gebiet der Positronenemissionstomographie (PET) gefunden. Schon längere Zeit zum Nachweis von Krebsgewebe routinemäßig eingesetzt, wird die Methode heute auch dazu benutzt, die Vitalität von Krebsgewebe zu bestimmen. Als Biomarker hat sich das Radiopharmakon 18-Fluorodeoxyglucose (FDG) bewährt, das die Glykolyse als Parameter der Zellaktivität anzeigen kann [29]. Die Aufnahme von FDG in die Zelle korreliert mit der Rate der Glykolyse, die in neoplastischem Gewebe wesentlich größer ist als in normalem Gewebe.

Um den Erfolg einer Chemotherapie zu testen, sind vorherige und nachherige Untersuchungen erforderlich, wobei ein Ansprechen auf die Therapie schon nach ein bis zwei Zytostatikaanwendungen erkennbar sein soll [30]. Dabei kann festgestellt werden, ob der Tumor abstirbt, selbst wenn er an Größe nicht schrumpft. Auch die Wirksamkeit einer neoadjuvanten Chemotherapie lässt sich damit gut erfassen, da funktionelle Veränderungen sichtbar gemacht werden können. Die In-vivo-Testung durch PET benutzt ein ähnliches Prinzip wie die In-vitro-Testung von kultivierten Tumorzellen, nämlich die Messung metabolischer Aktivitäten von Tumorzellen mittels Biomarkern. Dabei ist es ohne Belang, welche Resistenzmechanismen in Tumorzellen gerade in Aktion sind.

Derzeit wird auf dem Gebiet der Therapieüberwachung mithilfe der PET sehr erfolgversprechend weitergeforscht [31]. Es ist das Ziel, Prozesse der Tumorzelle wie Proliferation, Verhalten bei Hypoxie, Biosynthese von Östrogenrezeptoren, Interaktion mit Wachstumsfaktoren und schließlich Apoptose auf molekularer Ebene quantitativ durch die PET zu erfassen. Dazu wird die Palette der Radiopharmaka kontinuierlich erweitert.

Schlussfolgerungen

Stimmen, die eine personalisierte bzw. individualisierte Krebstherapie fordern, sind heute häufig zu hören. Die durch Leitlinien in "Prokrustes-Schemata" gezwängten Kombinations-Chemotherapien haben den Krebspatienten keine signifikanten Verbesserungen gebracht. Forschungsprojekte, die das Ziel einer individualisierten Therapie verfolgen, haben bisher weder vom Staat noch von der Pharmaindustrie finanzielle Unterstützungen erhalten. Die angestrebte personalisierte Therapie, wie sie heute im wissenschaftlichen Sprachgebrauch zu finden ist, scheint sich auf Subgruppen von Krebspatienten zu beschränken.

Bosanquet und Sikora berichten in einem Buch über die Zukunft der Krebsfürsorge [32], dass die Technologie vorhanden sei, um herauszufinden, welcher Patient auf welche Therapie anspricht, und dass "Blockbuster"-Medikamente deshalb der Vergangenheit angehören sollten. Sie fordern, dass pharmazeutische Firmen gleichzeitig mit der Entwicklung neuer Krebsmedikamente entsprechende Responsetests erarbeiten. Da die Firmen aber kein großes Interesse an solchen Tests haben dürften, die den Absatz ihrer Medikamente verringern, schlagen die Autoren vor, dass die Leistungsträger (payers of health care) solche Studien veranlassen [32].

Es erscheint fraglich, ob eine effektive medikamentöse Behandlung von Krebserkrankungen ohne individuelle Resistenztestung erreicht werden kann. Deshalb muss die Forschung auf diesem Gebiet fortgesetzt werden. Einfacher anwendbare und preiswertere Tests würden es erlauben, dass mehr Patienten davon profitieren. Das Ziel, nutzlose Therapien zu vermeiden, ist jedoch nicht nur für die Patienten von Bedeutung, sondern auch für die Krankenkassen. Bei allen auf dem Markt befindlichen Krebsmedikamenten sind Resistenzen nachgewiesen worden. Aus diesem Grunde bieten Resistenztests heute die einzige realistische Chance, "Trial and Error"-Behandlungen zu reduzieren [33]. Sie können nicht nur dazu beitragen, Krebsbehandlungen effektiver zu gestalten, sondern auch verhindern, dass kranke Menschen durch eine nutzlose, aber nebenwirkungsreiche Therapie noch kränker gemacht werden.

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Autoren

 Prof. Dr. Theodor Hermann Lippert 
Medizinische Fakultät der Universität Tübingen 
Erlenweg 38,
72076 Tübingen 
Theodor-Lippert@web.de

 

 Prof. Dr. Manfred Volm
 Medizinische Fakultät der Universität Heidelberg
 Kleegarten 9,
 69123 Heidelberg 
M.Volm@gmx.de

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