Arzneimittel und Therapie

Tumortherapie: Angiogenese-Hemmstoff Endostatin im Tierexperiment erfolgreich

Tumoren können nur dann unkontrolliert wachsen und metastasieren, wenn neu gebildete Blutgefäße sie ausreichend mit Nährstoffen und Wachstumsfaktoren versorgen. Arzneistoffe, die die Gefäßneubildung (Angiogenese) hemmen, sind daher ein vielversprechendes Prinzip für die Tumortherapie. Solide Tumoren bei Mäusen sprachen auf eine Behandlung mit dem Angiogenese-Hemmstoff Endostatin gut an: Sie wurden kleiner, zeigten auch nach mehreren Therapiezyklen keine Resistenz und verschwanden schließlich ganz.

Solide Tumoren können nur dann über mikroskopische Größe hinaus wachsen, wenn sie neue Blutgefäße bilden. Was aber schaltet den Prozeß der Gefäßneubildung an? Sowohl genetische Faktoren als auch Umgebungseinflüsse scheinen eine Rolle zu spielen. Beispielsweise können Mutationen, die für das Fortschreiten des Tumors entscheidend sind, wie die Aktivierung des Onkogens ras und die Inaktivierung des Tumorsuppressorgens p53, aber auch ein Sauerstoffmangel die Angiogenese anschalten. Solche Ereignisse veranlassen den Tumor zur vermehrten Bildung angiogenesestimulierender oder zur verringerten Bildung inhibitorischer Substanzen. Das Konzept, Tumoren zu behandeln, indem man ihnen die Fähigkeit nimmt, neue Blutgefäße zu bilden, ist schon 25 Jahre alt. Der Verwirklichung beim Patienten ist man durch erfolgreiche Tierexperimente jetzt möglicherweise ein gutes Stück näher gekommen.

Endostatin greift an den Endothelzellen an Mäuse mit einem subkutanen Karzinom, einem Fibrosarkom oder einem Melanom bekamen in mehreren Behandlungszyklen den Angiogenese-Hemmstoff Endostatin. Endostatin ist ein Spaltprodukt von Kollagen 18, einem normalen Bestandteil der Basalmembranen, die die Gefäße umgeben. Ähnlich wie Angiostatin - ein Spaltprodukt von Plasminogen - greift Endostatin direkt an den Endothelzellen an. Im Gegensatz dazu bewirken indirekte Angiogenese-Hemmer eine herabgesetzte Bildung stimulatorischer oder eine erhöhte Bildung inhibitorischer Substanzen durch den Tumor.

Tumorrückbildung bei Mäusen Die Endostatin-Behandlung wurde begonnen, sobald sich Tumorknötchen gebildet hatten. Die Mäuse bekamen den Wirkstoff täglich infundiert, bis der Tumor nicht mehr tastbar war. Auf eine Behandlungspause folgte jeweils ein weiterer Therapiezyklus. Das Ergebnis war zunächst immer dasselbe: Während der Behandlung verschwand der Tumor, in den Therapiepausen wuchs er erneut. Nach zwei bis sechs Behandlungszyklen - abhängig von der Tumorart - verschwand der Tumor jedoch schließlich ganz. Dieses Experiment zeigt zwei bemerkenswerte Eigenschaften der Tumortherapie mit Endostatin:
• Anders als bei einer Chemotherapie entwickelt sich keine Resistenz.
• Der Tumor bleibt nicht in einem stabilen Zustand, wie man es von einem Therapieprinzip erwarten könnte, das nur die Gefäßneubildung hemmt. Er verkleinert sich und taucht nach ausreichend vielen Behandlungszyklen gar nicht wieder auf.

Keine Resistenzentwicklung Die fehlende Resistenzentwicklung wäre ein immenser Fortschritt für die Tumortherapie. Immerhin 30% aller chemotherapeutisch behandelten Krebspatienten sprechen zunächst auf die Therapie an, entwickeln dann aber eine Zytostatika-Resistenz. Das Ausbleiben einer Resistenzentwicklung gegen den Angiogenese-Hemmstoff könnte auf der höheren genetischen Stabilität der Endothelzellen im Vergleich zu Tumorzellen beruhen. Endothelzellen sind die Vorläuferzellen der neuen Blutkapillaren. Sie neigen viel weniger zu Mutationen als die genetisch instabilen Krebszellen. Daher sind die Selektion und das Überwuchern endostatinresistenter Endothelzellen unwahrscheinlich. Eine Therapie, die an Endothelzellen oder anderen genetisch stabilen Tumor-Unterstützungszellen angreift, dürfte außerdem mit einer auf die Krebszellen gerichteten Therapie synergistisch wirken.

Angriff nur an Tumorgefäßen? Daß der Tumor sich verkleinert, läßt vermuten, daß Endostatin nicht nur die Neubildung von Tumorgefäßen hemmt, sondern auch vorhandene Tumorgefäße beeinträchtigt. Da keine schweren Nebenwirkungen auftreten, kann man davon ausgehen, daß Endostatin nicht an Blutgefäßen im gesunden Gewebe, sondern nur an den anatomisch veränderten Tumorgefäßen angreift. Demnach stört Endostatin die Blutzufuhr im Tumor gleich zweifach: Es hemmt die Gefäßneubildung, und es wirkt toxisch auf vorhandene Tumorgefäße. Kombiniert man Endostatin mit einem weiteren Angiogenese-Hemmer, Angiostatin, so reicht schon ein einziger Behandlungszyklus, um einen Tumor zum Verschwinden zu bringen.

Mehrere Angiogenese-Hemmer werden klinisch geprüft Ob die Ergebnisse sich auf Krebserkrankungen beim Menschen übertragen lassen, müssen klinische Studien erst zeigen. Endostatin selbst ist ein Protein und daher aufwendig in der Herstellung und in der Anwendung; es muß subkutan oder intraperitoneal injiziert werden. Arzneistoffe, die oral eingenommen werden können und auch langfristige keine toxischen Nebenwirkungen haben, wären für die Therapie und Prävention von Tumoren vorteilhaft. Inzwischen werden mehrere Angiogenese-Hemmer klinisch geprüft, darunter Interleukin 12 und ein semisynthetisches Derivat von Fumagillin, einem Angiogenese-Hemmer aus dem Schimmelpilz Aspergillus fumigatus. Antiangiogene Eigenschaften vermutet man außerdem bei einer Vielzahl von Substanzen, die vor allem in der Dermatologie eingesetzt werden und deren Wirkungsmechanismen bislang unklar waren: Dazu gehören
• Thalidomid,
• Thallium,
• Glucocorticoide,
• Interferon alfa,
• Retinoide,
• Vitamin-D-Derivate und
• Methotrexat.

Literatur Arbiser, J. L.: Antiangiogenic therapy and dermatology: a review. Drugs of today 33, 687 - 696 (1997). Hanahan, D.: A flanking attack on cancer. Nature Medicine 4, 13 - 14 (1998). Kerbel, R. S.: A cancer therapy resistant to resistance. Nature 390, 335 - 336 (1997).

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