Deutscher Apothekertag 2009

Das Wesentliche nicht im Blick

Christian Rotta

Das Thema schien zu breitem Konsens einzuladen. Wer sollte schon etwas dagegen haben, einen Richtlinien-Vorschlag der EU-Kommission zu unterstützen, der es sich zum Ziel setzt, gefälschte Arzneimittel zu bekämpfen? Aber weit gefehlt: Was so harmlos daherzukommen schien, entpuppte sich als der Aufreger des diesjährigen Apothekertages. Einer sichtlich überforderten Moderatorin und den ABDA-Granden gelang es nur mit Mühe, einen Eklat zu vermeiden.

Um was ging es? Die Europäische Kommission will sich verstärkt um Arzneimittelfälschungen kümmern. Dazu hat sie bereits Ende vergangenen Jahres den Entwurf einer Richtlinie vorgelegt, der das Eindringen gefälschter Arzneimittel in die "legale Vertriebskette" verhindern soll. Teil dieser "legalen Vertriebskette" sind auch Apotheken, denen in diesem Zusammenhang, so die durchaus realistische Einschätzung, weit reichende Arzneimittelprüf- und -dokumentationspflichten auferlegt werden sollen. Die Initiative zur Änderungsrichtlinie geht, und das mag eine gewisse Grundskepsis gegenüber dem Projekt hervorrufen, von der gleichen EU-Kommission aus, die in der Vergangenheit nicht müde wurde, der ungehemmten Deregulierung im Apothekenmarkt und dem Ausbau des (grenzüberschreitenden) Versandhandels mit Arzneimitteln das Wort zu reden. Und so war es folgerichtig, dass in Düsseldorf von etlichen Delegierten die Frage gestellt wurde, ob mit dem Richtlinien-entwurf nicht auf einem arzneimittelpolitischen Nebenkriegsschauplatz mit Kanonen auf Spatzen geschossen werde. Und in der Tat: Kann eine seriöse Debatte über Arzneimittelfälschungen wirklich unter Ausblendung der illegalen Vertriebswege und des Internets geführt werden? Warum kapriziert sich die Kommission ausschließlich auf Sicherungsmaßnahmen im Rahmen legaler Vertriebsketten? Von der Weltgesundheitsorganisation über das Bundeskriminalamt bis zu Zollbehörden und arzneimittelrechtliche Aufsichtsbehörden besteht heute Einigkeit darüber, dass das Haupteinfallstor für Arzneimittelfälschungen die Bezugsmöglichkeit über das Internet ist. Auf diesem Wege gelangt nach wie vor die große Mehrzahl gefälschter Arzneimittel an Patienten. Wer sich weigert, diese schlichte Wahrheit zur Kenntnis zu nehmen, kann in seinen Bemühungen wider Arzneimittelfälschungen nicht überzeugen. Arzneimittel sind eben keine internet- und versandhandelskompatiblen Waren – auch und gerade weil Besteller kaum in der Lage sind, seriöse von unseriösen Bestellmöglichkeiten und Arzneimittelversendern zu unterscheiden. So gesehen wäre die EU-Kommission gut beraten, den Kampf gegen Arzneimittelfälschungen "ganzheitlich", d. h. nicht nur produkt- und herstellerbezogen, sondern auch vertriebswegbezogen zu führen. Eine erfolgreiche Strategie könnte dabei sein, auf europäischer Ebene den (internetbetriebenen) Arzneimittelversandhandel insgesamt zu stigmatisieren und gleichzeitig den EU-Mitgliedstaaten zu empfehlen, den Vertrieb von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln über das Internet vom nationalen Gesetzgeber verbieten zu lassen (und für OTC-Arzneimittel streng zu regulieren). Letzteres machen uns andere EU-Mitgliedstaaten bereits mit Erfolg vor. Davon war von der EU-Vertreterin auf dem Apothekertag leider nichts zu hören. In Brüssel scheint man von einem solchen Denken immer noch meilenweit entfernt zu sein. Stattdessen lassen die EU-Kommissare weiterhin nicht nach, den Gesundheitsbereich auf Teufel komm raus "liberalisieren" zu wollen, um sodann die bösen Geister, die man rief, mit hohem regulatorischem und bürokratischem Aufwand wieder vertreiben zu müssen – frei nach dem Motto: Warum einfach, wenn’s auch kompliziert geht …? Das Wesentliche, und das zeigt auch die vorliegende Richtlinie, gerät dabei leicht aus dem Blick.

P.S.: Deutlich wurde in Düsseldorf, dass der Kommissionsentwurf auch datenschutzrechtlich noch reichlich unausgegoren ist. Darauf hat insbesondere Thilo Weichert, der Landesbeauftragte für den Datenschutz des Landes Schleswig-Holstein, hingewiesen. So schweigt der Entwurf vollständig zum Datenschutz im Zusammenhang mit patientenbezogenen Sicherungs- und Dokumentationspflichten in der Apotheke. Wachsweich und lapidar heißt es im Entwurf dazu nur, dass "legitime Interessen, vertrauliche Angaben kommerzieller Art zu schützen, angemessen berücksichtigt werden sollen". Kein Wort zur Schweigepflicht des Apothekers, kein Wort zum Schutz personenbezogener Daten jenseits kommerzieller Verwertung, kein Wort zu besonderen datenschutzrechtlichen Sicherheitserfordernissen bei Versandapotheken.

Es gibt noch viel zu tun – nicht nur für die EU-Kommission, sondern auch für das Europäische Parlament, Datenschützer, Bundesapothekerkammer und ABDA.

Christian Rotta

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