Deutscher Apothekertag 2009

Fälschungen dürfen nicht in legale Vertriebskette gelangen

Die Europäische Kommission hat das Problem erkannt, dass gefälschte Arzneimittel in die legale Vertriebskette eingedrungen und bis zum Patienten gelangt sind. Sie will sich stärker der Arzneimittelfälschungen annehmen, denn "gefälscht wird alles". Deshalb wurde bereits Ende vergangenen Jahres der Entwurf einer Richtlinie vorgelegt, die zukünftig das Eindringen gefälschter Medikamente in die legale Vertriebskette verhindern soll. Dieser Vorschlag wurde im Arbeitskreis 3 sehr kontrovers diskutiert.
Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz

Von der Packungsbeilage über die Verpackung bis hin zu den Wirkstoffen bzw. dem Wirkstoffgehalt – gefälscht wird alles, wie Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz, Präsident der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft und Leiter des Zentrallaboratoriums Deutscher Apotheker aus seiner Erfahrung berichtete. Hielt man Arzneimittelfälschungen in der legalen Vertriebskette vor fünf Jahren noch nicht für ein großes Problem, so hat sich dies geändert, seit die Europäische Kommission 2004/2005 damit begonnen hat, sich verstärkt mit dem Problem der Arzneimittelfälschungen zu beschäftigen, so Sabine Atzor aus der EU-Generaldirektion Unternehmen und Industrie, Referat Arzneimittel. Anfangs ging man davon aus, dass vor allem Produkte wie Viagra® über illegale Händler vertrieben wurden. Das Problem der illegalen Vertriebskette schätzt sie als "irre groß", es könne gar nicht beziffert werden. Aber die Annahme bisher war auch, dass die Viagra® -Plagiate nicht die legale Vertriebskette erreichen. Und genau dies sei nunmehr der Knackpunkt, so Atzor: Es hat ein "Shift" stattgefunden, es ist zu beobachten, dass Fälschungen den legalen Vertriebsweg vom Hersteller über den Großhandel bis in die Apotheken erreicht haben. Patienten, die ihr Arzneimittel in der Apotheke kauften, konnten bis dahin davon ausgehen, dass sie ein sicheres Arzneimittel bekommen. Als Beispiel verwies Atzor auf Fälle aus Großbritannien und Bulgarien, wo dieser Trend in den vergangenen Jahren verstärkt beobachtet wurde. So seien etwa in Großbritannien lebensnotwendige Arzneimittel wie Clopidogrel oder Arzneimittel gegen Prostatakarzinome entdeckt worden, die gefälscht waren, nur 70 bis 80% Wirkstoffgehalt aufwiesen und die bis zum Patienten gelangten, weil man die Fälschung erst zu spät erkannt hatte. Und deshalb sei die Kommission auch aktiv geworden und hat den Entwurf einer Richtlinie vorgestellt. Sie will mit diesem an drei Stellen angreifen: Zum einen soll über einen besseren Produktschutz dafür gesorgt werden, dass mittels Sicherheitsmarkierungen oder speziellen Codes die Echtheit der Präparate leichter überprüft werden kann – sowohl vom Großhandel als auch von Apotheken. Zum zweiten soll der Großhandel einer stärkeren Überwachung unterzogen werden. Und drittens will die Kommission schon bei der Fälschung der Ausgangsstoffe ansetzen und hier die bereits bestehenden Regelungen verschärfen. Ein großes Problem ist in der zunehmenden Globalisierung zu sehen. So werde kein Antibiotikum mehr in Deutschland hergestellt, viele auch nicht in den USA. Und damit werden auch Möglichkeiten der Kontrolle reduziert, denn in China kann weder regelmäßig noch spontan kontrolliert werden. Schubert-Zsilavecz forderte daher ein belastbares, transparentes und geschlossenes System der Qualitätssicherung von der Produktion bis zum Endverbraucher. Zumal die modernen teuren Biologicals eine technisch extrem aufwendige und teure Kontrolle erfordern. Besonders in den Entwicklungsländern ist daher dringend Hilfe notwendig: Entwicklungshilfe im besten Sinne des Wortes wäre es, die Schwellenländer mit guten Labors auszustatten und ihnen die Möglichkeit zu geben, Arzneimittelfälschungen zu erkennen. Die Initiative und die politische Verantwortung lägen dabei beim Europäischen Parlament. Hier gilt es, wie Atzor betonte, verstärkt die Hersteller in die Pflicht zu nehmen, ihr Schlagwort hieß hier Eigenverantwortung. Sie müssten sich genau informieren, wie ihre Rohstoffe hergestellt werden und sollten durch Audits vor Ort in die Pflicht genommen werden. Man müsse mit Staaten wie China oder Indien ins Gespräch kommen und sie überzeugen, dass bei der Arzneimittelherstellung sehr hohe Standards anzuwenden sind, Standards, die weltweit entwickelt wurden und denen sich viele Länder anschließen können. Doch auch die WHO muss Regeln erlassen, an die sich diese Länder zu halten haben. Es gelte, Arzneimittelfälschungen weltweit zu ächten.

Apotheken sind der falsche Adressat

Kritisch bewertet Holger Kramer, Mitglied der liberal-demokratischen Fraktion im Europäischen Parlament, Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit, den Entwurf. Werden die Maßnahmen, die man ergreifen möchte, am Ende das Risiko von Arzneimittelfälschungen auch wirklich minimieren? Stehen die zusätzlichen Kosten, die entstehen, wirklich in einem angemessenen Verhältnis zum Nutzen? Zumal sich alles auf die legale Lieferkette bezieht. Neben den Kosten sieht Kramer ein weiteres Problem, das mit dem Richtlinienentwurf nicht angegangen wird: Es werden nach wie vor hochpreisige und verschreibungspflichtige Arzneimittel gefälscht, allen voran immer noch Viagra® Und diese werden vom Verbraucher – aus Scham oder aus Kostengründen – möglichst nicht über Apotheken erworben, sondern über den illegalen Internethandel. Und diese Vertriebswege adressiert der Vorschlag gar nicht. Abgesehen davon hält Kramer gar nichts davon, den Versand von Arzneimitteln über das Internet grundsätzlich zu verbieten. "Wir leben nun einmal in einer Welt des Internets, dem können wir uns nicht verschließen." Man könne ihn sicherer machen, so seine Ansicht, aber man könne ihn nicht mehr verbieten. An diesem Punkt erhitzten sich die Gemüter in der Diskussion: Nicht alle im Auditorium zeigten Verständnis für den erforderlichen großen technischen und bürokratischen Aufwand, einen zu 98% sicheren Vertriebsweg noch sicherer zu machen. Bei vielen herrschte offenbar der Wunsch vor, den Versandhandel mit Arzneimitteln generell wieder zu verbieten. Fritz Becker, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbandes und Präsident des Landesapothekerverbandes Baden-Württemberg, plädierte vehement für eine geschlossene sichere Vertriebskette vom Hersteller über den Großhandel in die Apotheke. So lassen sich Fälschungen gut nachverfolgen. Der Hauptvorwurf an die Kommission: Kann dem Problem gefälschter Arzneimittel der Kampf angesagt werden, wenn illegale Vertriebswege gar nicht einbezogen werden? Wird nicht mit Kanonen auf Spatzen geschossen und warum zielen die einschränkenden Maßnahmen fast ausschließlich auf die legalen Vertriebsketten, obwohl hier nur ein Bruchteil der Arzneimittelfälschungen aufgetaucht ist? Selten waren sich Behörden wie das Bundeskriminalamt oder der Zoll darin so einig, dass gefälschte Arzneimittel hauptsächlich über das Internet vertrieben werden. Auf dem Podium und von Seiten der ABDA bemühte man sich jedoch um eine sachlichere Betrachtung. Der Versandhandel existiere derzeit in Deutschland – und wichtig sei es nun, dass die öffentlichen Apotheken ihren Kunden garantieren können, nur echte Arzneimittel bereit zu halten. Die Präsidentin der Bundesapothekerkammer und der Landesapothekerkammer Hessen, Erika Fink, betonte, dass hierzu ein schnelles und einfaches Sicherheitssystem zwingend nötig sei, das es dem Apotheker ermögliche, ohne große Umstände eindeutig zu erkennen, ob eine Packung gefälscht sei. "Wir müssen uns darauf verlassen können", so Fink, "dass Arzneimittel aus unseren Apotheken echt sind". Jede Initiative, die in diese Richtung geht, sollten die Apotheker unterstützen, auch wenn "ein bisschen Bürokratie" nötig sein wird.

Ungelöstes Problem: Datenschutz

Im Richtlinienentwurf seien aber noch einige entscheidende Punkte wie etwa die Datensicherheit offen, darauf wies Dr. Thilo Weichert, Landesbeauftragter für den Datenschutz, Schleswig-Holstein hin. Seine Forderung: Die Sicherheitsmerkmale auf den Verpackungen dürfen sich nur auf das Produkt beziehen, es muss unmöglich sein, Rückschlüsse auf den einzelnen Patienten zu ziehen. Heinrich Burggasser, Präsident der Österreichischen Apothekerkammer, wies darauf hin, dass in Österreich zwar noch das Versandhandelsverbot herrscht, selbst im OTC-Bereich, und damit das Internet dort nie ein legaler Vertriebsweg war. Trotzdem sieht auch er das Problem Datenschutz: Die Industrie wünsche sich von der Kommission, dass jede Arzneimittelpackung markiert wird. Es bestehe ein großes Verlangen nach kommerziell nutzbaren Daten: welches Arzneimittel in welcher Stückzahl in welcher Apotheke abgegeben wird. Datenschützer Weichert wies darauf hin, dass es im Entwurf nur heiße, "dass "legitime Interessen, vertrauliche Angaben kommerzieller Art zu schützen, angemessen berücksichtigt werden sollen". Hier müsse die Europäische Kommission präziser werden. Er forderte, bei den "Kriminellen" anzusetzen und nicht beim unbescholtenen Bürger oder beim Apotheker. Bislang gibt der Richtlinienvorschlag nur die wesentlichen Eckdaten vor, erläuterte Atzor. Es bedarf "konkreter Implementierungsmaßnahmen", die die technischen Details regeln. Sie bestätigte das Bestreben, dass alle Packungen identifizierbar sein müssen. "Das heißt aber nicht, dass die Packung von jedem Beteiligten in der Lieferkette kontrolliert werden muss. Wir wollen nur die Möglichkeit hierzu geben". Die Richtlinie solle hier für Flexibilität sorgen ohne die Beteiligten zu überfordern. Auf diese Weise solle auch die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden.

Beteiligung der Apothekerschaft gefordert

Atzor appellierte an die Apotheker, sich an der Diskussion um die Implementierungsmaßnahmen zu beteiligen. Das Rechtssetzungsverfahren werde transparent verlaufen und alle Interessierten hätten die Möglichkeit, sich mit Stellungnahmen daran zu beteiligen. Die Kommission schreibe nicht willkürlich etwas in einen Entwurf. Sie erarbeitet einen Vorschlag und stellt ihn zur Diskussion – und alle Beteiligten und Interessierten können – und sollen – Stellungnahmen einreichen. Atzor forderte die Apotheker auf, sich rechtzeitig einzubringen, damit auch ihre Bedürfnisse berücksichtigt werden. Diese Aufforderung wurde sehr positiv von den Vertretern der Apothekerschaft aufgenommen: man wolle sich aktiv in Brüssel einbringen.

ck

Zum Weiterlesen

Den vollständigen Entwurf der "Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG zwecks Verhinderung des Eindringens von Arzneimitteln, die in Bezug auf ihre Eigenschaften, Herstellung oder Herkunft gefälscht sind, in die legale Lieferkette" finden Sie im Internet auf daz.online unter www.deutsche-apotheker-zeitung.de im Serviceteil unter daz.plus

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