Arzneimittel und Therapie

Ist Brustkrebs eine lokale oder systemische Erkrankung?

Diese Frage ist nicht nur von theoretischer Bedeutung, sondern hat auch Konsequenzen für die Behandlung. Heute wird Brustkrebs eher als lokale Erkrankung eingestuft, demzufolge spielen chirurgische und strahlentherapeutische Maßnahmen eine besonders wichtige Rolle.

Im Lauf der Jahrzehnte wurden mehrere Hypothesen zur Entstehung eines Mammakarzinoms entwickelt. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die Theorie Halsteds, bei einem Mammakarzinom handle es sich um eine lokale Erkrankung, bevorzugt, während in den letzten Dekaden die Hypothese Fishers, Brustkrebs sei eine systemische Erkrankung, im Vordergrund stand. Zusätzlich wurde die Spektrumtheorie entwickelt, die Brustkrebs als heterogenes Geschehen sieht. Diese drei Therapien haben unterschiedliche therapeutische Konsequenzen:

Theorie nach Halsted: Brustkrebs ist eine lokale Erkrankung, bei der die Tumorzellen erst im Lauf der Erkrankung die Fähigkeit zur Metastasierung gewinnen. Die daraus folgende Therapieempfehlung ist eine radikale Operation der betroffenen Brust.

Theorie nach Fisher: Brustkrebs ist eine systemische Krankheit, bei der die Zellen über ein metastasierendes Potenzial verfügen können. Aber nicht jeder Tumor besitzt diese Fähigkeit. Als Folge dieser Vorstellung wird der systemischen Therapie der Vorzug gegeben. Das Verhindern eines lokalen Wiederauftretens der Erkrankung spielt eine untergeordnete Rolle, da lokale Rezidive nicht zwangsweise zu einer Metastasierung führen.

Spektrumtheorie: Ihr zufolge ist das Mammakarzinom eine heterogene Erkrankung, bei der die unterschiedlichsten Faktoren die Weichenstellung von einer lokal begrenzten zu einer systemisch fortgeschrittenen Krankheit stellen können. Eine inadäquate lokale Therapie gestattet den Tumorzellen die Streuung und führt so zu einer distanten Metastasierung.

Eher lokale ­Erkrankung

Bis vor Kurzem wurde der systemischen Theorie der Vorzug gegeben, zumal viele Studienergebnisse wie etwa das ähnliche Überleben nach radikaler Mastektomie und Brusterhaltender Operation diese Hypothese bestätigen. Ein genauerer Blick auf neue Untersuchungen führt indes zu einer anderen Schlussfolgerung. So zeigen Studien zur Mammographie, dass das flächendeckende Screening die Brustkrebsmortalität reduziert; das heißt, eine frühe Diagnose senkt die Sterblichkeit. Dies spricht nicht für eine primär systemische Erkrankung. Des Weiteren haben Untersuchungen zur lokalen Kontrolle der Erkrankung und Analysen der EBCTCG (Early Breast Cancer Trialists`Collaborative Group) gezeigt, dass eine sorgfältige lokale Kontrolle die Überlebenswahrscheinlichkeit erhöht. Auch diese Erkenntnisse sprechen für eine – zumindest anfänglich – lokale Erkrankung.

Risikofaktoren für Lokalrezidive

nach Brust-erhaltender Operation

  • keine Resektion im gesunden Gewebe
  • junges Alter der Patientin
  • Keine systemische Therapie
  • geringer Randsaum zum Tumor
  • Befall axillärer Lymphknoten

nach Mastektomie

  • mehrere befallene axilläre Lymphknoten
  • keine systemische Therapie
  • eine Resektion im gesunden Gewebe
  • geringer Randsaum zum Tumor
  • Tumorgröße
  • junges Alter der Patientin

Therapeutische Konsequenzen

Sieht man im Mammakarzinom eine primär lokale Erkrankung, so steht als Konsequenz die lokale Therapie im Vordergrund. Das bedeutet nun keinen Ruf nach radikaler Mastektomie, sondern eine sorgfältige chirurgische Entfernung des Tumors im gesunden Gewebe und die nachfolgende Bestrahlung. Wichtig ist dabei das Verhindern eines lokalen Rezidivs. Hierzu kann auch die adjuvante systemische Therapie beitragen, da sie die Wahrscheinlichkeit einer lokalen und distanten Metastasierung verringert. So kann die Chemotherapie bei unter 50-jährigen Frauen das lokale Wiederauftreten der Erkrankung um 37% und eine endokrine Therapie bei Frauen aller Altersgruppen um 50% reduzieren.

Individuelle Entscheidungen treffen

Da nur Frauen mit einem Risiko für ein lokales Wiederauftreten der Erkrankung von einer erweiterten lokalen Therapie profitieren, ist es wichtig, diese Patientengruppe zu identifizieren, um ihnen eine entsprechende Therapie zukommen zu lassen. Zwischenzeitlich sind einige Risikofaktoren bekannt, die die Wahrscheinlichkeit eines lokalen Rezidivs erhöhen. Diese Faktoren variieren, je nach dem, ob eine Mastektomie oder eine Brusterhaltende Operation durchgeführt wurde.

Möglicherweise werden in Zukunft mit Hilfe von Genexpressionsanalysen und der molekularen Bestimmungen des Tumorsubtyps genauere Vorhersagen und individualisierte Therapien möglich sein.

Historische Therapieempfehlungen

Theorien zur Entstehung und Vorschläge zur Behandlung eines Mammakarzinoms finden sich bereits im frühen medizinischen Schrifttum. Tumoren der weiblichen Brust wurden schon vor mehr als 2000 Jahren chirurgisch entfernt. Die Wunden und Tumorreste wurden mit Pasten aus Kohle, Teer und Arsen oder mit Pflanzenextrakten aus Schierling und Tollkirsch bestrichen. Für schlecht zugängliche Geschwülste riet Hippokrates indes "es ist besser, die verborgen liegenden Tumoren nicht zu behandeln; denn werden sie behandelt, sterben die Patienten sehr bald, bleiben sie jedoch unbehandelt, so leben sie eine lange Zeit".

[Quelle: Greaves, M.: Krebs – der blinde Passagier der Evolution. Springer-Verlag Berlin, Heidelberg, 2003]. 

Quelle

Punglia R., et al.: Local therapy and survival in breast cancer. N. Engl. J. Med. 356, 2399-2405 (2007).

 


 

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

 

 

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