Arzneimittel und Therapie

Keine reine Frauensache

Brustkrebs beim Mann – selten und häufig spät erkannt

Rund ein Prozent aller Brustkrebserkrankungen treten bei Männern auf. Aufgrund ihrer Seltenheit werden sie jedoch häufig erst spät erkannt. Die Therapiekonzepte orientieren sich im Wesentlichen an den Leitlinien für das Mammakarzinom der Frau. Da der Brustkrebs beim Mann meist hormonempfindlich ist, steht die adjuvante antihormonelle Therapie im Vordergrund.

In Deutschland erkranken jährlich etwa 700 Männer an einem Mammakarzinom. Im Vergleich dazu wird bei jährlich knapp 70.000 Frauen neu aufgetretener Brustkrebs diagnostiziert. Auch in anderen Ländern treten Mammakarzinome bei Männern relativ selten auf: Hier lässt sich allerdings erkennen, dass schwarze Männer häu­figer betroffen sind als weiße. Die höhere Inzidenz in Afrika ist auf die vermehrte Estrogenproduktion infolge einer lokal verbreiteten Hepatitis-bedingten Leberzirrhose zurückzuführen. Das Erkrankungsalter liegt in Deutschland bei rund 72 Jahren, also etwa zehn Jahre später als bei Frauen. Dabei überleben mit 65% deutlich weniger Männer zehn Jahre nach der Diagnosestellung als Frauen (82%). Dieser Unterschied in der Mortalitätsrate könnte auch darauf zurückzu­führen sein, dass die Erkrankung bei Männern meist in einem späteren Stadium und in fortgeschrittenem Alter diagnostiziert wird, und Männer zudem eine geringere Lebenserwartung aufweisen als Frauen. Das Lebenszeitrisiko, an einem Mamma­karzinom zu erkranken, beträgt bei Frauen 1:8, bei Männern 1:1000.

Foto: Axel Kock/AdobeStock

Erhöhter Estrogen-Spiegel als Risikofaktor

Zur Ätiologie des männlichen Mammakarzinoms sind noch viele Fragen offen. Die Basis der Krankheitsentwicklung ist das rudimentäre Vorhandensein von Brustgewebe beim Mann und möglicherweise die Verschiebung des Androgen-/Estrogen-Verhältnisses mit einem daraus resultierenden erhöhten Estrogen-Spiegel. So haben Männer mit einem vergleichsweise ­hohen Estrogen-Spiegel auch ein erhöhtes Brustkrebsrisiko. Als Ursachen hierfür kommen Hypogonadismus, Gynäkomastie, Leberzirrhose und das Klinefelter-Syndrom (Auftreten von einem oder mehreren zusätzlichen weiblichen X-Chromosomen) in Betracht. Weitere bekannte Risikofaktoren sind hoher Alkoholkonsum, Adi­positas, Diabetes mellitus, eine lokale Strahlenexposition der Brustwand und genetische Faktoren (s. Kasten „Genetische Risikofaktoren“ ); des Weiteren scheinen sozioökonomische Faktoren ebenfalls eine Rolle zu spielen.

Genetische Risikofaktoren beim Mann

  • Klinefelter-Syndrom: etwa 20 bis 60-fach erhöhtes Erkrankungsrisiko gegenüber der Normalbevölkerung; macht etwa 7% aller männlichen Brustkrebserkrankungen aus; mittleres Erkrankungsalter 58 Jahre
  • BRCA2-Mutation: etwa 80-fach erhöhtes Erkrankungsrisiko gegenüber der Normalbevölkerung; 5- bis 10%iges Erkrankungsrisiko bei männlichen Trägern von BRCA2-Mutationen; mittleres Erkrankungsalter 55 bis 60 Jahre
  • BRCA1-Mutation: etwas erhöhtes Erkrankungsrisiko gegenüber der Normalbevölkerung
  • CHEK2 1100delC-Mutation: etwa zehnfach erhöhtes Erkrankungsrisiko gegenüber der Normalbevölkerung; 9% aller männlichen Brustkrebserkrankungen
  • positive Familienanamnese: etwa 2,5-fach erhöhtes Risiko

[Quelle: Onkopedia]

Kein Früherkennungsprogramm

Aufgrund der Seltenheit der Erkrankung gibt es kein Screeningprogramm, um bei Männern ein Mammakarzinom frühzeitig festzustellen. Erste Hinweise auf eine mögliche Erkrankung erkennt der Betroffene in der Regel selbst. Das häufigste Symptom ist die schmerzlose Knotenbildung in der Brust. Weitere lokale Krankheitszeichen sind Hautveränderungen über dem Tumor und Veränderungen der Mamille mit Einziehung, Ulzeration oder Sekretion. Wichtig ist die Unterscheidung zwischen Brustkrebs und der häufig auftretenden Brustschwellung beim Mann (Gynäkomastie). Allgemeinsymptome fehlen in frühen Stadien. Bei fortgeschrittener Erkrankung kann es zu Gewichtsabnahme und Leistungsminderung kommen. Symptome aufgrund von Metastasen sind Schwellung des Arms und der Axilla, Knochenschmerzen bei Skelettmetastasen, Husten und Dyspnoe bei pulmonaler und/oder pleuraler Metastasierung, Ikterus und Leberinsuffizienz bei fortgeschrittener Lebermetastasierung oder neurologische Symptome bei zerebraler Metastasierung. Die eingesetzten Diagnoseverfahren umfassen Mammografie, Sonografie, Biopsie, Magnetresonanztomographie sowie in späteren Stadien die Ausbreitungsdiagnostik. Die Klassifikation erfolgt wie bei Brustkrebserkrankungen der Frau nach dem TNM-System (englisch: tumor, node, metastasis).

Meist Estrogen-Rezeptor-positive Karzinome

Histologisch wird bei etwa 90% der männlichen Patienten ein invasiv duktales Karzinom gefunden; ein duktales Carcinoma in situ liegt bei 5 bis 10% vor. Andere histologische Subtypen sind selten. Bei über 90% der Karzinome ist die Estrogen-Rezeptorexpression hoch. Beim gleichen Patientenanteil ist der Progesteron-Rezeptor nachweisbar, aber nur in etwa 35% der Fälle hoch exprimiert. HER2-positive Karzinome machen 5 bis 10% aus, triple negative Karzinome sind selten. Bei 85 bis 90% der Karzinome ist eine hohe Expression des Androgen-Rezeptors nachweisbar. Bei rund 35 bis 40% der Männer mit Mammakarzinom lassen sich Tumorzellen in den Lymphknoten nachweisen.

Antihormonelle Therapie steht im Vordergrund

Da das männliche Mammakarzinom in den meisten Fällen hormonabhängig wächst, steht nach der operativen Entfernung des Tumors (modifizierte radikale Mastektomie oder brusterhaltende Operation) und der postoperativen Bestrahlung die adjuvante endokrine Therapie im Vordergrund. Standard ist eine fünfjährige Therapie mit Tamoxifen. Damit sind unerwünschte Wirkungen wie verminderte Libido, Impotenz, Hitzewallungen, Stimmungsschwankungen sowie ein erhöhtes Risiko für Thromboembolien verbunden. Aufgrund dieser Nebenwirkungen brechen nicht wenige Betroffene die Therapie vorzeitig ab. Aufklärung und Förderung der Ad­härenz können dem gegensteuern. Besteht nach den fünf Jahren ein hohes Rezidivrisiko, sollte der selektive Estrogen-Rezeptormodulator fünf weitere Jahre eingenommen werden. Bei fortschreitender Erkrankung unter Tamoxifen kommen Aromatase-Inhibitoren in Kombination mit Gonadotropin-releasing-Hormon (GnRH)-Analoga oder Fulvestrant in Betracht. Neue zielgerichtete Medikamente wie CDK4/6- oder mTOR-Inhibitoren werden analog wie bei Frauen eingesetzt.

Bei Versagen einer endokrinen The­rapie, sowie bei Estrogen-Rezeptor-negativen Karzinomen und Organ-­gefährdender Metastasierung sind eine Chemotherapie und/oder eine Anti-HER2-Therapie (Trastuzumab, Pertuzumab, Trastuzumab Emtansin) indiziert. Dies gilt auch, wenn prognostisch schlechte Parameter (z. B. Befall mehrerer Lymphknoten, Gefäßinfiltration) oder bestimmte molekulare Subtypen (Luminal B, triple-negatives Karzinom, positiver HER2-Status) vorliegen. Bei der Auswahl der Chemotherapie und Anti-HER2-Behandlung orientiert man sich in der Regel an den Vorgaben zur Behandlung des Mammakarzinoms der Frau. Besteht bereits eine Fernmetastasierung, werden palliative Maßnahmen zur Symptomlinderung ergriffen.

Nachsorge

Im Rahmen der Nachsorge sollen Nebenwirkungen der antihormonellen Therapie erfasst und Rezidive frühzeitig erkannt werden. Zu beachten ist hier das deutlich erhöhte Risiko für ein kontralaterales Mammakarzinom. Eine jährliche Mammabildgebung wird daher empfohlen. Gleichfalls sollte die erhöhte Inzidenz von Zweitmalignomen berücksichtigt werden. Im Rahmen der Nachsorge sind die familiäre genetische Belastung sowie bei klinischer Symptomatik die zugrunde liegenden Ursachen zu klären. Für ­viele Betroffene ist die Rekonstruktion der Brustwarze nach der Operation wichtig. Psychologische und soziale Begleitungen sowie Angebote von Selbsthilfegruppen sind weitere Bausteine der Nachsorge (z. B. unter www.brustkrebs-beim-mann.de).

Künftige Optionen

Pathogenese und Behandlung eines Mammakarzinoms beim Mann sind Gegenstand zahlreicher Studien. Allein im US-amerikanischen Studien­register Clinicaltrial.gov finden sich über 300 Einträge. Schwerpunkte sind die Biologie der Erkrankung, die Chemotherapie sowie neue Ansätze bei der endokrinen Behandlung. Ferner zeichnet sich die Tendenz ab, in Studien zum Mammakarzinom sowohl Frauen wie auch Männer einzuschließen. Ein weiteres Ziel ist die Erfassung eigenständiger Daten aus prospektiv randomisierten Studien bei Männern. Damit sollen Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei der Pathogenese der Erkrankung erfasst und ­individualisierte Therapieansätze ermöglicht werden. |
 

Literatur

Giordano SH. Breast Cancer in Men. N Engl J Med. 2018 Oct 4;379(14):1385-1386. doi: 10.1056/NEJMc1809194

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Key Statistics for Breast Cancer in Men, Informationen der American Cancer Society, Inc. www.cancer.org/cancer/breast-cancer-in-men/about/key-statistics.html, Abruf am 11. Mai 2021

Khattab A, et al. Male Breast Cancer. 2021 Jan 3. PMID: 30252292

Konduri S et al. Epidemiology of male breast cancer. The Breast 54;2020: 8-14.

Male Breast Cancer. Informationn der Breastcancer org, www.breastcancer.org/symptoms/types/male_bc, Abruf am 11. Mai 2021

Mammakarzinom des Mannes. Informationen der Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e.V, www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/mammakarzinom-des-mannes/@@guideline/html/index.html, Abruf am 11. Mai 2021

Männer mit Brustkrebs: Schlechter versorgt als Frauen? Pressemeldung des deutschen Krebsforschungszentrums, 28. September 2020

Reinisch M, et al. Efficacy of Endocrine Therapy for the Treatment of Breast Cancer in Men: Results from the MALE Phase 2 Randomized Clinical Trial. JAMA Oncol 2021. doi:10.1001/jamaoncol.2020.7442.

Würstlein R et al. Mammakarzinom beim Mann. gynäkologie + geburtshilfe 2018; 23 (2)

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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