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Arzneimittelsicherheit ist nicht statisch

Durch alle Medien ging es, Fernsehen, Zeitung und Radio brachten die Schlagzeile "Bundesinstitut verbietet Hustenmittel Clobutinol". Große Verwirrung auf allen Seiten: Die Kunden sind verängstigt und beunruhigt und wollen Auskunft darüber, was sie oder das Töchterchen denn da Gefährliches eingenommen haben. Zögern auch bei Ihren Mitarbeitern. Egal ob eine Mutter mit ihrem hustenden Kind vor ihnen stand oder für den Opa Hilfe benötigt wurde: Bei Reizhusten konnte man bisher in die Silomat-Schublade greifen. Wie lässt es sich erklären, dass bei einem nicht-verschreibungspflichtigen Wirkstoff wie Clobutinol nach 46 Jahren seit der Einführung mit ungefähr 200 Millionen Anwendungen in 59 Ländern auf einmal solch schwere unerwünschte Arzneimittelwirkungen bekannt werden, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zu so einer drastischen Maßnahme greift und das Ruhen der Zulassung anordnet? Es geht dabei um die Arzneimittelsicherheit und die Dynamik, die darin steckt. Denn 1961, zu dem Zeitpunkt, an dem Clobutinol eingeführt wurde, gab es noch keine Zulassungspflicht. Erst seit dem Inkrafttreten des Arzneimittelgesetzes 1978 müssen Fertigarzneimittel zugelassen werden. Erst seitdem muss ein pharmazeutisches Unternehmen die Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und pharmazeutische Qualität seines Produktes nachweisen. Und erst seitdem werden kontinuierlich Erkenntnisse zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen gesammelt und ausgewertet. Die Hersteller der Präparate wurden verpflichtet, der Aufsichtsbehörde in vorgegebenen Abständen Bericht zu erstatten. Doch auch unter diesem drug monitoring ließ sich bei Clobutinol kein klinisch relevantes arrhythmogenes Potenzial vermuten. Das Wissen und die technischen Möglichkeiten waren noch nicht weit genug entwickelt. Erst seit einigen Jahren sind Techniken zur Untersuchung des Potenzials von Arzneistoffen bezüglich einer möglichen QTc-Verlängerung verfügbar. Zunehmend erwacht ein verstärktes Interesse an dem Verständnis der QTc-Verlängerung und dem möglichen Einfluss auf die Entstehung von Arrhythmien. In der konsequenten Folge dieser Weiterentwicklung des Wissenstandes erteilte das BfArM 2004 im Rahmen des Verlängerungsverfahrens für ein Clobutinol-haltiges Arzneimittel dem pharmazeutischen Hersteller die Auflage, Ergebnisse aus präklinischen und klinischen Untersuchungen zu der Frage QTc-Verlängerung durch Clobutinol beizubringen. In der klinischen Studie an gesunden Probanden zeigten dann die vorläufigen Ergebnisse im August 2007 schon bei bestimmungsgemäßem Gebrauch eine sehr deutliche Verlängerung des QTc-Intervalls, die in diesem Ausmaß so nicht zu erwarten gewesen war. Doch das Wissen ist nicht statisch. Tagtäglich kommen neue Erkenntnisse hinzu. Wichtig ist es, sie zu sammeln und zu beschreiben. Und sie dann mit Augenmerk und Sachverstand zu werten und zu wichten. In dem speziellen Fall bedeutete es, den "alten" Wirkstoff Clobutinol nicht zu unterschätzen und als "harmloses" OTC-Präparat anzusehen. Es bedeutet, dem Hersteller nach modernem Erkenntnisstand Auflagen zu erteilen, damit vorhandene Wissenslücken geschlossen werden können. Es bedeutet aber auch, in der Apotheke besonders bei OTC-Arzneimitteln aufmerksam zu bleiben. Denn der eigentliche Wirkmechanismus von Clobutinol ist bis heute nicht detailliert aufgeklärt. Wir wissen nur, dass Clobutinol seine antitussive Wirkung über einen zentralnervösen Angriffspunkt entfaltet und den Hustenreflex im Hustenzentrum der Medulla oblongata unterbricht. Klinische Studien, die die Wirksamkeit sicher belegen, wurden nicht publiziert. Damit würde Clobutinol meines Erachtens nach heute keine Zulassung erhalten.

Nur weil wir mit unserem aktuellem Wissenstand unerwünschte Arzneimittelwirkungen als solche nicht wahrnehmen oder sie nicht richtig bewerten, darf nicht das Gefahrenpotenzial unterschätzt werden, das Arzneimittel in sich bergen. Auch wenn ein Arzneistoff über 40 Jahre in der Selbstmedikation erfolgreich eingesetzt wurde, so ist das noch lange kein qualitativer Beweis für seine Wirksamkeit und Unbedenklichkeit. Das zeigt der vorliegende Fall. Arzneimittel gehören in die Hand eines Fachmanns, der für UAW sensibilisiert ist, der vor Ort individuell beraten kann. Sie gehören nicht in den Versandhandel. Und schon gar nicht gehören sie in einen sogenannten "Pharma Punkt" in einem Drogeriemarkt, wo es keinerlei Information oder Beratung gibt. Wo niemand sofort eine Alternative zur Hand hat. Wo Auskünfte nur über eine kostenpflichtige Hotline zu erhalten sind. Und wo auch niemand lächelnd die angebrochene klebrige Silomat-Saft-Flasche ganz unkompliziert zurücknimmt.

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