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Wo führt das alles hin?

Eine erste große Veränderung im Apothekenbereich gab es, als das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1958 die gesetzlichen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit der Apotheker für unvereinbar mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit erklärte: die Apothekenvermehrung begann. Mit dem Jahr 2004 setzte der zweite Umsturz ein, mit dessen Folgen wir immer noch und wohl auch weiterhin zu tun haben werden: der Versandhandel mit Arzneimitteln wurde zugelassen, die Politiker schickten die Apotheker in einen Preiskampf bei OTC-Arzneimitteln, die Ware Arzneimittel wurde kommerzialisiert. Was daraus geworden ist, spüren wir heute alle.

Nachdem es DocMorris vorerst nicht gelungen war, das deutsche Fremdbesitzverbot auszuhebeln, versucht das Unternehmen nun – mit Hilfe deutscher Kolleginnen und Kollegen – den Markt mit seinem Kooperationsmodell zu durchdringen. Die erste "Markenpartner-Apotheke", die unter dem grünen Kreuz mit der Abgabe billiger Arzneimittel segelt, wurde am 8. Januar in St. Wendel eröffnet. Die zweite deutsche DocMorris-Apotheke soll einer Presseinfo zufolge am 15. Januar in Flensburg eröffnet haben. Es gehen Gerüchte, dass bereits über 50 Kolleginnen und Kollegen einen Kooperationsvertrag von DocMorris unterschrieben haben sollen, um vom Billig-Image der Niederländer zu profitieren und brav Lizenzgebühren an die Kapitalgesellschaft DocMorris zu zahlen.

Ob das Image so gut trägt, mag dahin gestellt bleiben. Denn vieles wird wohl an der Leistungsfähigkeit des Mutterhauses, der Versandapotheke, gemessen. Und da könnte womöglich schon bald ein Imageschaden eintreten. Durch einen Zufall fielen einer Apotheke Taxbeanstandungen der Techniker Krankenkasse gegenüber DocMorris in die Hände. Die Apotheke leitete sie dann an den Apothekerverband Westfalen-Lippe weiter. Der überprüfte diese Unterlagen und musste ein haarsträubendes Ergebnis feststellen: Von den 109 auf den Rezepten verordneten Präparaten waren von DocMorris 89 nicht korrekt beliefert bzw. nicht korrekt berechnet worden. In 50% der beanstandeten Fälle wurde ein falscher Vertragspreis in Ansatz gebracht – da mag in erster Linie die Krankenkasse ein Problem mit ihrer umworbenen Apotheke haben. In rund 17% der Fälle allerdings musste die Kasse vermerken: "Abgabe weicht von der Verordnung ab". Dies bedeutet im Klartext, dass hier ein anderes als das verordnete Arzneimittel abgegeben wurde. Wie der Apothekerverband anhand der PZN ermittelte, erhielten die Patienten dann schon mal ein Gichtmittel (Allopurinol) statt eines Beta-Adrenorezeptor-Antagonisten (Dilatrend) oder ein Immunsuppressivum (Rapamune) statt des verordneten Diuretikums (Furosemid). Wie diese Belieferungen pharmazeutisch zu beurteilen sind und was sie unter Umständen für den Patienten bedeuten, muss ich hier nicht ausführen.

Internet- oder Versandapotheke – das sind für Drogeriemärkte nach wie vor Zauberwörter. Am liebsten würden sie selbst in den Arzneiversand oder in die Arzneimitteldistribution einsteigen, wenn da nicht das Fremd- und Mehrbesitzverbot der Apotheken wäre. Und so begnügen sie sich zunächst mit mancherlei Kooperationen: Rossmann mit der Deutschen Internet Apotheke in Erftstadt oder dm-Drogeriemärkte mit der Europa-Apotheek in Venlo und dem unlängst erstrittenen Abholmodell. Sie erhoffen sich davon Kundenzulauf oder zumindest einen Fuß in der Tür des Arzneimittelhandels zu haben. Ein Branchenblatt für den Lebensmitteleinzelhandel und die Drogeriemärkte, die "Lebensmittel Zeitung", mutmaßt in einem Kommentar: "Ein nachhaltiger Wandel der Apothekenlandschaft dürfte aber in den kommenden zehn Jahren von den in unserer Branche bekannten Playern mitbestimmt werden. Zum Beispiel von den Betreibern der Drogeriemärkte." In einem Artikel auf Seite 1 der jüngsten Ausgabe meldet das Blatt, dass Rossmann sich an einer Internet-Apotheke beteiligen will, sobald die Rechtsgrundlage dafür geschaffen ist: "Wenn es erlaubt ist, machen wir mit", wird Drogeriekettenchef Rossmann zitiert, man warte nur noch auf die EU-Entscheidung. dm hat unterdessen seinen Bestell- und Abholdienst reaktiviert, Rossmann möchte sich ebenfalls in diesem Segment engagieren. Wie wird das Spiel um Abgabemärkte für Arzneimittel weitergehen? Die Lebensmittel Zeitung kennt den Traum für die Lebensmitteleinzelhandels-Branche und den Albtraum für Apotheker: "Große Regale offerieren Freiverkäufliches zu Niedrigstpreisen, Rezeptpflichtiges wird am Schalter ausgegeben." Wird das die Pharmazie der nächsten Jahre? Sind es Apotheker selbst, die diese Richtung unterstützen? Lesen Sie Erfahrungen einer Apothekerin, die in einer englischen Kettenapotheke als Angestellte arbeitete (s. Seite 64).

Peter Ditzel

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