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Arzneimittel bald im Media-Markt? (Kommentar)

"Pillen aus dem Supermarkt" - jetzt endlich ist es auch in Deutschland soweit. Wenn auch nur mit großen Einschränkungen und eigentlich nicht wirklich. Doch ganz falsch ist diese Schlagzeile einer regionalen Tageszeitung zumindest aus den Augen des Verbrauchers auch nicht (siehe den Bericht in unserer Montagsausgabe vom 14. Juni sowie Bericht und Interviews hier).

Die neue Variante im Versandhandelsgeschäft, die Kooperation von dm-Drogeriemärkten mit der Europa-Apotheek Venlo, ist ernst zu nehmen. Die dm-Drogeriemärkte versuchen ihre Kundenfrequenz zu steigern, indem sie als Servicestelle für die Europa-Apotheek fungieren: dm-Drogeriemärkte als Annahme- und Ausgabestelle für Rezepte. In zunächst acht dm-Testfilialen in Nordrhein-Westfalen können Kunden diesen Service in Anspruch nehmen. Vorteil für die niederländische Versandapotheke: sie spart Versandkosten, die man an die Kunden weitergeben will.

Rund 200 ausgewählte rezeptfreie Arzneimittel sollen laut Europa-Apotheek bei der Bestellung über die dm-Filiale günstiger sein als über das Internet. Der Kunde soll bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln mindestens 2,50 Euro, maximal 15 Euro sparen, heißt es in einer Pressemitteilung. Bis der Kunde in Besitz seiner Medikamente ist, also von der Abgabe des Rezepts im dm-Markt bis zur Abholmöglichkeit der Ware, vergehen etwa drei Tage. Eine Arzneimittelberatung im Drogeriemarkt selbst findet nicht statt, kann und darf auch nicht stattfinden. Hat der Kunde das Bedürfnis, eine Frage zu seinen Arzneimitteln zu stellen, kann er sich über ein Service-Telefon (eine 180er Nummer) direkt an die Europa-Apotheek in Venlo wenden.

Na, liebe Medien von Tageszeitung, Funk und Fernsehen, das ist doch wieder einmal ein Superservice, den man in allen Sparten bejubeln muss, oder nicht? Irre schnell in der Belieferung, tolle freundliche Umgebung im Drogeriemarkt, so ein richtiges "Einkaufserlebnis" - und erst die kompetente, freundliche und direkte Beratung über persönliche Arzneimittelfragen am Telefon. Kann es überhaupt noch fortschrittlicher sein und mehr tollen Service geben?

Lassen wir mal den Zynismus beiseite. Was da abläuft, um das deutsche Versandhandelsgesetz zu umgehen, spottet jeder Beschreibung. Hat sich unsere Superministerin den Versandhandel und den Wettbewerb im Versandhandel so vorgestellt? Ist der dm-Drogeriemarkt der Vorläufer für weitere Aktivitäten von anderen Handelskanälen, die sich ebenfalls als Arzneimittelausgabe und -abholstelle profilieren wollen? Was hindert die kleine Reinigung oder den großen Media-Markt daran, seine Kundenfrequenz zu erhöhen und mit der Europa-Apotheek zusammen zu arbeiten? Mutieren bald Esso- und Aral-Tankstellen zu Rezeptannahmestellen für DocMorris- und Europa-Apotheek-Filialen? Oder steigen auch noch Schlecker-, Rossmann- und Müller-Märkte ins Rezeptannahmegeschäft ein samt Post AG?

Höchste Zeit, dass sich Juristen dieses Themas annehmen. Nach ersten Einschätzungen von Experten operiert der dm-Markt hier als Rezeptsammelstelle. Nach meinen Kenntnissen liegen die geplanten dm-Testfilialen wie z. B. in Düsseldorf, Krefeld oder Mönchengladbach nicht in mit Apotheken unterversorgten Gebieten, die eine Rezeptsammelstelle rechtfertigten. Außerdem: Rezeptsammelstellen bedürfen doch einer Genehmigung der zuständigen Kammer. Den Bedarf für eine Rezeptsammelstelle einer niederländischen Versandapotheke in einer dm-Drogeriemarktfiliale kann ich beim besten Willen nicht ausmachen. Abgesehen davon, wie sehen denn die rechtlichen Folgen aus, wenn in einer dm-Filiale versehentlich ein Kunde das falsche Päckchen aus Venlo erhält?

Ob unser Gesundheitsministerium sieht, welches Chaos in der Arzneiversorgung mit der Versandhandelszulassung losgetreten wurde? Ich habe da meine Zweifel (siehe das Editorial in dieser Ausgabe). Ich bin auch sicher: der Versandhandels-Hype wird abstürzen, wenn Patienten die Schnelligkeit, Lieferfähigkeit und Freundlichkeit ihrer "Hausapotheke" wiederentdeckt haben.

Peter Ditzel

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