Arzneimittel und Therapie

Wundermittel

Schwarzbeere – "Bio-Putzmittel" für die Gefäße?

Im Rhythmus der Jahreszeiten taucht jetzt in den Publikumsmedien ein Thema auf, das einer durchaus nachvollziehbaren Logik folgt: Im Frühjahr müssen nicht nur staubige Schränke, sondern gleich auch die eigenen Blutgefäße mal gründlich geputzt werden. Das richtige Mittel dazu sei die "Schwarzbeere", am besten deren Extrakte in Kapsel- oder Tablettenform, so findige Anbieter dieses neuen Nahrungsergänzungsmittels.

Wie es in den verschiedenen veröffentlichten Anzeigen steht, sei die Schwarzbeere "das perfekte Bio-Putzmittel für die Adern". Ihr blauer Farbstoff befreie die Adern von Kalk und Plaques, so wird behauptet. Damit sollen zahlreiche Zivilisationskrankheiten, zum Beispiel Infarkt, Schlaganfall, Demenz und Tinnitus und sogar Krebserkrankungen behandelt werden können. Das Gehirn profitiere weil es "schneller und präziser" arbeiten würde, bei Frauen "besserten sich Venenprobleme" und bei der "Mehrzahl der Männer stieg die sexuelle Kraft". Es sei eine Sensation, dass Wissenschaftler aus Boston jetzt Kapseln der Schwarzbeere als perfektes, weil völlig natürliches "Putzmittel" für das Gefäßsystem empfehlen.

Was denn nun die Schwarzbeere eigentlich ist, geht aus den Anzeigen nicht klar hervor. Exotisch scheint sie jedenfalls irgendwie zu sein. Da wird davon gesprochen, dass sie "nur in Neu-England" wächst, in anderen Anzeigen ist von der "Myrtillus-Beere aus Mexiko" die Rede, die eine "Verwandte der auch in Deutschland wachsenden Schwarzbeere" sei.

Mit dieser "Schwarzbeere" sind dann ganz profan die Früchte der Heidelbeere (Vaccinium myrtillus L.) gemeint. Sie enthalten die sekundären Pflanzenstoffe Proanthocyanidine und Anthocyanoside, die in tierexperimentellen Studien antioxidative, antiexsudative und gefäßprotektive Eigenschaften gezeigt haben.

Anthocyane schützen die Gefäße

Durch die Einnahme von Heidelbeeren und deren Extrakten soll Schäden durch freie Radikale vorgebeugt werden. Das ist zunächst einmal nicht völlig falsch. Einer der in der Anzeige erwähnten Forscher ist der Neurowissenschaftler Prof. Dr. James Joseph von der Tufts Universität, einer privaten Universität in Medfort (Massachusetts), einem Vorort von Boston. Dieser Wissenschaftler hat unter anderem verschiedene Antioxidanzien und Extrakte von Vaccinium myrtillus an Zellkulturen, Mäusen und Ratten untersucht und dabei zahlreiche Wirkungen, zum Beispiel eine verbesserte Durchblutung und Leistung des Gehirns bei Tieren, beobachtet. Möglicherweise können die Extrakte auch Alterungsprozesse aufhalten, was Professor Joseph allerdings erst an dem Fadenwurm Caenorhabditis elegans nachweisen konnte.

Im Gegensatz dazu tauchen die Namen von zwei anderen zitierten Wissenschaftlern, Petty Smith aus Cambridge und Dr. Martin Zillgens aus Paris, der angeblich "Schwarzbeeren-Kapseln" mit Erfolg gegen Tinnitus eingesetzt haben soll, in der internationalen wissenschaftlichen Literaturdatenbank Medline nicht auf.

Wirkungen gegendas Altern?

In kleineren Studien konnten Heidelbeeren helfen, einen kurzfristigen Gedächtnisverlust bei älteren Menschen wiederherzustellen. Außerdem sollen sie die Nachtsicht und die Anpassung des Auges an intensives Licht verbessern. Im Japan wird der Frucht die Fähigkeit zugeschrieben, bei müden Augen zu helfen, sie wird dort deshalb als die "Frucht des Augenlichts" bezeichnet. Ob die Heidelbeere einer altersbedingten Makuladegeneration vorbeugen kann, wird gerade untersucht.

Obst und Gemüse wirkt antioxidativ

Die Wirkungen, die mit Heidelbeer-Extrakten in den verschiedenen Untersuchungen erzielt werden konnten, beruhen wahrscheinlich auf ihrem Gehalt an Anthocyanen und anderen Antioxidanzien. Wenn es um diese Inhaltsstoffe geht, sind Heidelbeeren aber nicht die einzigen Kandidaten für ein "Bio-Putzmittel": Auch andere Früchte wie Pflaumen und Weintrauben enthalten in hohem Maß Antioxidanzien, ebenso Gemüsesorten wie Kohl und Spinat, und welcher Inhaltsstoff für welche Wirkung verantwortlich ist, ist noch lange nicht geklärt. So scheint alles auf die gute alte Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) hinauszulaufen, fünfmal am Tag Obst und Gemüse zu verzehren.

Unterschiedliche Inhaltsstoffe

Wer möchte, kann natürlich auch die teuren "Schwarzbeeren-Kapseln" futtern. Nachdem aber nicht einmal genau definiert ist, was denn eine Schwarzbeere eigentlich ist, wird es mit den Extrakten aus dieser "Zauberpflanze" noch unübersichtlicher. Bei den verschiedenen Anbietern im Internet finden sich unterschiedliche Stammpflanzen und unterschiedliche oder widersprüchliche Angaben über Extraktmenge und Anthocyangehalt.

So kosten zum Beispiel 180 Kapseln mit jeweils 250 mg Heidelbeerextrakt-Pulver (12,5 mg Anthocyane laut Hersteller) 35,50 Euro. Davon sollten zweimal täglich zwei Kapseln verzehrt werden. Echte Heidelbeeren dürften da besser und billiger sein.

Irgend eine nachvollziehbare Wirkung ist von den Kapseln nicht zu erwarten, denn wenn schon nicht klar ist, was in den Kapseln eigentlich genau drin ist, ist noch viel weniger klar, wie und wieso sie wirken. Aussagen zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit sind daher nicht möglich.

Quelle

McGuire, S. O.; et al.: Dietary supplementation with blueberry extract improves survival of transplanted dopamine neurons. Nutr Neurosci 9(5/6), 251-258 (2006).

DeRivera, C.; et al.: The effects of antioxidants in the senescent auditory cortex. Neurobiol Aging 27(7), 1035-1044 (2006).

Wilson, M. A.; et al.: Blueberry polyphenols increase lifespan and thermotolerance in Caenorhabditis elegans. Aging Cell 5(1) , 59-68 (2006).

hel

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