Arzneistoffporträt

Cranberry: Bakterienabwehr bei Harnwegsinfekten

Vom Hausmittel zur gut erforschten Therapie

Von Stefanie Burkhardt-Sischka

Die Cranberry (Vaccinium macrocarpon) ist ein altes indianisches Heilmittel. Sie wurde schon von den Ureinwohnern der Neuen Welt bei Blasen- und Nierenleiden eingesetzt. Seit den 1980er Jahren ist sie Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. Die Ergebnisse demonstrieren ihre Effizienz bei akuten sowie rezidivierenden Harnwegsinfekten. Denn ihre polyphenolischen Inhaltsstoffe hemmen die Anheftung von Coli-Bakterien an die Blasenschleimhaut. In einer aktuellen Metaanalyse hat die renommierte Cochrane Collaboration die Cranberry als geeignetes Mittel zur Prophylaxe von Harnwegsinfekten beurteilt.

Die Cranberry-Pflanze ist ein immergrüner Zwergstrauch, der 20 cm hoch werden kann.
Foto: Quiris

Die Cranberry (Vaccinium macrocarpon) wird auch als Großfrüchtige Moosbeere oder Amerikanische Preiselbeere bezeichnet. Ihre Heimat sind die Hochmoore des nordöstlichen Nordamerika.

 

Sie gehört wie die Preiselbeere (Vaccinium vitis-idaea) und die Heidelbeere (Vaccinium myrtillus), die in Europa heimisch sind, zur Familie der Heidekrautgewächse (Ericaceae). Der immergrüne Zwergstrauch kann ungefähr 20 cm hoch werden und bildet mit seinen bis zu 2 m langen Ausläufern geschlossene Teppiche. An den dünnen, aufsteigenden Zweigen befinden sich länglich-ovale, 1 bis 1,5 cm lange dunkelgrüne Blätter. Ende Juni bis Anfang Juli erscheinen weißlich zartrosa gefärbte, 6 bis 10 mm große, glockenförmige Blüten. Aus ihnen entwickeln sich runde oder ovale, etwa 20 mm lange und 15 mm breite, leuchtend rote Beeren. Ein Wachsüberzug verleiht ihnen eine glänzende Oberfläche. Im Innern der Beeren befinden sich vier große Luftkammern, die sie schwimmfähig machen.

 

Cranberries haben ein festes, knackiges Fruchtfleisch und einen fruchtig-herben Geschmack. Ihre Reife erreichen sie Ende September bis Anfang November.

 

Kulturgeschichte

Die Cranberry war ein bedeutendes Nahrungs- und Heilmittel der Ureinwohner Nordamerikas. Die weißen Siedler übernahmen sehr früh die Cranberry in ihre Volksmedizin und Küche. Bereits 1643 findet man sie im Kochbuch der Pilgrim Fathers. Die Beeren waren bald so beliebt, dass die Wildbestände trotz ihres massenhaften Vorkommens geschützt werden mussten. Schon im 18. Jahrhundert wurden Gesetze erlassen, die das Sammeln der Beeren regelten. Die erste Inkulturnahme der Cranberry erfolgte 1810.

 

Cranberry-Inhaltsstoffe

Bedeutende Inhaltsstoffe der Cranberry sind oligomere Proanthocyanidine und Fruchtsäuren, darunter Ascorbinsäure (30 bis 40 mg pro 100 g Fruchtfleisch), Benzoesäure, Chinasäure, Oxalsäure und Malonsäure. Über ein ähnliches Inhaltsstoffspektrum verfügen auch die Gewöhnliche Moosbeere (V. oxycoccos) und die Preiselbeere (V. vitis-idaea).

 

Proanthocyanidine behindern die Adhäsion von Coli-Bakterien

Seit Anfang der 1920er Jahre führte man die bakterienhemmende Wirkung des Cranberrysaftes auf eine Senkung des Urin-pH-Wertes durch Fruchtsäuren zurück [1]. Diese Theorie wurde allerdings einige Jahrzehnte später widerlegt.

 

Im Jahre 1984 entdeckten Wissenschaftler einen völlig anderen Wirkmechanismus [2]. Sie fanden heraus, dass Cranberrysaft die Anheftung von Coli-Bakterien an das Epithel der Harnwege verhindert. Die Erreger finden keinen Halt und können so mit dem Harn ausgeschwemmt werden. Die Adhäsion der Bakterien gilt als Grundvoraussetzung für eine Infektion [3].

 

Um sich an die Schleimhaut anheften zu können, bildet Escherichia coli auf seiner Zelloberfläche Fimbrien aus. Diese Fimbrien produzieren Adhäsine, und diese wiederum treten mit Adhärenzrezeptoren der Schleimhautoberfläche des Harntraktes in Kontakt. Bei E. coli konnten zwei verschiedene Fimbrien-Typen festgestellt werden:

 

  • Typ-1-Fimbrien können durch Fructose und Mannose blockiert werden.
  • Fimbrien vom Typ 2, sogenannte p-Fimbrien, sind bei besonders virulenten Stämmen zusätzlich zu Typ-1-Fimbrien vorhanden. Sie können zu hartnäckigen Harnwegsinfekten und in der Folge zu einer Pyelonephritis führen, daher werden sie als "p"-Fimbrien bezeichnet. Sie werden nicht durch Fructose oder Mannose an der Adhäsion gehindert.

Bei beiden Fimbrien-Typen zeigt der Saft der Cranberry eine antiadhäsive Wirkung [4, 5].

A-Typ-Proanthocyanidine entscheidend

Als wirksamkeitsbestimmende Inhaltsstoffe des Cranberrysaftes wurden oligomere Proanthocyanidine mit einer ganz spezifischen Struktur identifiziert [6, 7]. Sie werden als A-Typ-Proanthocyanidine bezeichnet.

 

Im Jahr 2005 erschien das Ergebnis einer Studie, die die Wirkung von Cranberrysaft im Vergleich zu anderen Proanthocyanidin-haltigen Lebensmitteln wie Traubensaft, Apfelsaft, grüner Tee und Schokolade auf p-Fimbrien tragende Coli-Bakterien aufzeigen sollte [8]. Danach konnte nur dem Cranberrysaft mit seinen A-Typ-Proanthocyanidinen ein antiadhäsiver Effekt zugeschrieben werden. Die in den anderen Lebensmitteln enthaltenen, als B-Typ bezeichneten Proanthocyanidine zeigten diese Wirkung nicht.

 

Weiterhin wurde festgestellt, dass A-Typ-Proanthocyanidine auch die Ausbildung von p‑Fimbrien verhindern können. Dies zeigten In-vitro-Studien, bei denen Coli-Bakterien auf Cranberry-Proanthocyanidin-haltigen Nährmedien kultiviert wurden [9, 10].

 

Klinische Studien belegen Wirksamkeit

Frauen sind aufgrund ihrer Anatomie besonders anfällig für Infekte der Harnwege. Zudem werden diese Infekte durch Schwangerschaft, Unterkühlung, sexuelle Aktivität, aber auch durch fortgeschrittenes Alter begünstigt.

 

Die erste im größeren Maße angelegte klinische Studie (randomisiert, doppelblind, Placebo-kontrolliert) wurde mit 153 Frauen in Durchschnittsalter von 78 Jahren an der Harvard Medical School durchgeführt [11]. Die Einnahme von täglich 300 ml Cranberrysaft reduzierte signifikant die Anzahl von Bakterien im Urin.

 

Eine große finnische Studie an 150 Frauen im Durchschnittsalter von 30 Jahren ergab eine signifikante Verringerung der Rezidivrate von Harnwegsinfekten unter Einnahme von Saft aus Preiselbeeren und Moosbeeren, die ähnliche Inhaltsstoffe wie Cranberries aufweisen [12].

 

Im Jahr 2007 wurde eine an der Columbia University in New York durchgeführte Studie veröffentlicht [13]. Wegen der positiven Ergebnisse bezeichnen die Forscher den regelmäßigen Konsum von Cranberryprodukten bei Patienten mit rezidivierenden, unkomplizierten Harnwegsinfekten als eine alternative Methode zur Antibiotikaprophylaxe.

 

Von der Cochrane Collaboration anerkannt

Aufgrund der positiven Ergebnisse der klinischen Studien ist Cranberrysaft auch von der Cochrane Collaboration als Mittel zur Prophylaxe von Harnwegsinfekten anerkannt worden [14].

Eine Studie, bei der Kosten und Effektivität von verschiedenen Cranberryprodukten untersucht wurden, ergab bei 150 sexuell aktiven Frauen unter der Einnahme von Saft und Trockenextrakt ein signifikant geringeres Auftreten von Harnwegsinfekten [15]. Auch die Verordnung von Antibiotika konnte signifikant reduziert werden. Dabei schnitten Trockenextrakttabletten kostengünstiger ab als Saft.

Patientinnen mit unkomplizierten, rezidivierenden Harnwegsinfekten können Cranberrysaft oder Cranberry-Trockenextrakt* regelmäßig einnehmen. Beim Fruchtsaft ist der relativ hohe Gehalt an Zucker (bei Diabetes ggf. Insulindosis anpassen) und an Säure (Schädigung des Zahnschmelzes bei täglichem Verzehr) zu berücksichtigen.

 

Literatur 

[1] Blatherwick NR, Long ML. Studies on urinary acid II. The increased acidity produced by eating prunes and cranberries. J Biol Chem 1923;57:815-818.

[2] Sobota AE. Inhibition of bacterial adherance by cranberry juice: Potential use for the treatment of urinary tract infections. J Urol 1984;131:1013-1016.

[3] Evans DG, et al. Plasmid controlled colonization factor associated with virulence in ETEC for humans. Infect Immun 1975;12:656-667.

[4] Zafiri D, et al. Inhibitory activity of cranberry juice on adherance of type 1 and type P-fimbriated Escherichia coli to eucaryotic cells. Antimicrob Agents Chemother 1989;33:92-98.

[5] Ofek I, et al. Anti Escherichia coli adhesin activity of cranberry and blueberry juices. N Engl J Med 1991; 324:1599.

[6] Howell AB, et al. Inhibition of adherence of P-fimbriated Escherichia coli to uroepithelial-cell surfaces by proanthocyanidin extracts from cranberries. N Engl J Med 1998;339:1085-1086.

[7] Fool LY, et al. A-type proanthocyanidin trimers from cranberry that inhibit adherence of uropathogenic P‑fimbriated E. coli. J Nat Prod 200;54:1225-1228.

[8] Howell AB, et al. A-type proanthocyanidins and uropathogenic bacterial anti-adhesion activity. Phytochemistry 2005;66:2281-91.

[9] Ahuja S, Kaak B, Robots J. Loss of fimbrial adhesion with the addition of Vaccinium macrocarpon to the growth medium of P-fimbriated E. coli. J Urol 1998; 159:559-562.

[10] Lui Y, et al. Role of cranberry juice an molecular scale surface characteristics and adhesion behaviour of Escherichia coli. Biotechnol Bioeng 2006;93(2): 297-305.

[11] Avorn J, et al. Reduction of bacteriuria and pyuria after ingestion of cranberry juice. J Am Med Assoc 1994; 271:751-754.

[12] Kontiokari T, et al. Randomised trial of cranberry-lingonberry juice and Lactobacillus GG drink for the prevention of urinary tract infections in women. Br Med J 2001;332:1571-1575.

[13] Santillo VM, Lower FC. Cranberry juice for the prevention and treatment of urinary tract infections. Drugs Today 2007;43(1):47-54.

[14] Jepson RG, Craig JC. Cranberries for preventing urinary tract infections. Cochrane Database of Systematic Reviews 2007, Issue 3. Art. No. CD001321. DOI:10.1002/1465858.CD001321.pub4.

[15] Stothers LA. A randomised trial to evaluate effectiveness and cost effectiveness of naturopathic cranberry products as prophylaxis against urinary tract infection in women. Cdn J Urol 2002;9:1558-1562.

 


Autorin 

Dr. rer. nat. Stefanie Burkhardt-Sischka Birkenstr. 2, 71106 Magstadt

 


* Das Präparat Cystorenal® Cranberry plus enthält eine Kombination von 300 mg Cranberry-Extrakt und 100 mg Kürbiskern-Extrakt pro Kapsel. Kürbissamen sind ein bewährtes Mittel bei Blasenschwäche und Reizblase. Die Kombination aus Cranberry und Kürbissamen ist sehr gut verträglich. Selbst bei einer langfristigen Einnahme bestehen keine Bedenken.
 

Die leuchtend roten Cranberries sind etwa 20 x 15 mm groß.
Foto: Quiris

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