Arzneimittel und Therapie

Antiepileptikum

Rufinamid bei Lennox-Gastaut-Syndrom

Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der europäischen Arzneimittelagentur (EMEA) hat im Januar 2007 das Antiepileptikum Rufinamid (Inovelon®) zur Zusatztherapie bei Lennox-Gastaut-Syndrom zugelassen. Es ist die erste und bislang einzige Substanz, die durch die EMEA spezifisch für diese schwere Form der kindlichen Epilepsie zugelassen ist. Rufinamid soll in Deutschland im Mai als Filmtablette zur zweimal täglichen oralen Einnahme in den Dosisstärken 200 und 400 mg auf den Markt kommen.

Bereits im Oktober 2004 erhielt Rufinamid von der Europäischen Kommission den Status eines Orphan drug, eines Arzneimittels für seltene Erkrankungen. Es ermöglicht die gezielte Behandlung des Lennox-Gastaut-Syndrom (LGS) bei Patienten ab vier Jahren.

Das Lennox-Gastaut-Syndrom ist eine schwere Form der generalisierten Epilepsie, die im Allgemeinen Kinder betrifft, sich aber bis ins Erwachsenenalter fortsetzen kann. Es tritt im frühen Kindesalter auf und wird von verschiedenen Gehirndysfunktionen wie Gehirnblutung, Enzephalitis, Missbildungen des Gehirns sowie Stoffwechselstörungen verursacht. Die Hauptsymptome sind tonische Anfälle mit kontinuierlicher Muskelkontraktion sowie Entwicklungsverzögerung und Verhaltensstörungen. Die typische Manifestation sind Anfälle in verschiedenen Formen, wie etwa atonische Anfälle (plötzlicher Verlust von Muskelspannung und Bewusstsein), atypische Absencen (Blickkrämpfe) und myoklonische Anfälle (plötzliche Muskelzuckungen). Chirurgische Eingriffe sind indiziert, wenn eine medikamentöse Behandlung nicht ausreicht, um die Symptome in Griff zu bekommen.

Rufinamid moduliert Natriumkanäle

Rufinamid wird zusätzlich zu anderen antiepileptischen Arzneimitteln eingesetzt. Das Tri‑ azolderivat ist strukturell nicht mit anderen Antiepileptika verwandt. Rufinamid wirkt, indem es an Natriumkanäle an der Oberfläche von Gehirnzellen bindet, welche die elektrische Aktivität der Zellen steuern. Dadurch verhindert Rufinamid, dass die Kanäle vom inaktiven in den aktiven Zustand übergehen. Dies dämpft die Aktivität der Gehirnzellen und verhindert, dass sich abnorme elektrische Aktivitäten im Gehirn ausbreiten. So kann eine Ausbreitung der Anfallsaktivität vom epileptogenen Fokus blockiert werden.

Zweimal tägliche Einnahme

Die Dosis von Rufinamid ist vom Alter und Gewicht des Patienten abhängig und davon, ob der Patient außerdem Valproat einnimmt. Die Behandlung beginnt im Allgemeinen mit einer täglichen Dosis von 200 oder 400 mg, je nach Alter und Gewicht sowie der antiepileptischen Komedikation. Die Dosis wird dann, je nachdem wie der Patient auf die Behandlung anspricht, alle zwei Tage angepasst.

Rufinamid sollte zweimal täglich, morgens und abends, mit Wasser zu den Mahlzeiten eingenommen werden. Wenn der Patient die Tabletten nicht schlucken kann, können diese zerkleinert und mit Wasser vermischt eingenommen werden. Bei Patienten mit Leberfunktionsstörungen darf Rufinamid nur unter besonderer Vorsicht angewendet werden. Soll eine Behandlung mit Rufinamid abgesetzt werden, sollte dies schrittweise erfolgen: Die Dosis wird alle zwei Tage um etwa 25% reduziert.

Rufinamid wurde in einer placebokontrollierten Studie an 139 Patienten geprüft. Diese waren zwischen vier und 30 Jahre alt, drei Viertel waren jünger als 17 Jahre. Alle Patienten hatten ein Lennox-Gastaut-Syndrom, das nicht gemildert werden konnte, obwohl sie mindestens vier Wochen lang kontinuierlich mit bis zu drei anderen antiepileptischen Arzneimitteln behandelt worden waren.

Im Rahmen der Studie wurden die Wirkungen einer zusätzlichen Einnahme von Rufinamid mit den Wirkungen einer zusätzlichen Einnahme eines Placebos zusammen mit den bereits eingenommenen Arzneimitteln verglichen. Hauptindikatoren der Wirksamkeit war die Änderung der Zahl der Anfälle in den vier Wochen nach Beginn der zusätzlichen Einnahme von Rufinamid oder Placebo, verglichen mit den vier Wochen davor, sowie die Änderung im Schweregrad der Anfälle. Diese wurde auf einer siebenstufigen Skala vom Elternteil oder Betreuer des Patienten eingeschätzt.

In der Studie reduzierte Rufinamid signifikant Häufigkeit und Schweregrad der mit dem Lennox-Gastaut-Syndrom assoziierten epileptischen Anfälle. Bei den Patienten, die Rufinamid einnahmen, verringerte sich die Gesamtzahl der Anfälle um 35,8% gegenüber einem Ausgangswert von 290 Anfällen im vierwöchigen Zeitraum vor Beginn der Behandlung mit Rufinamid. Bei den Patienten, die zusätzlich zu ihren vorhandenen Arzneimitteln ein Placebo einnahmen, verringerte sich die Anfallshäufigkeit nur um 1,6%. Bei den Patienten, die Rufinamid einnahmen, gab es außerdem um 42,5% weniger tonischatonische Anfälle (häufig vorkommende Anfallsart beim Lennox-Gastaut-Syndrom, bei der der Patient oft zu Boden stürzt), verglichen mit einem Anstieg um 1,9% bei der Einnahme von Placebo. Darüber hinaus verringerte sich der Schweregrad der Anfälle unter Rufinamid bei etwa der Hälfte der Patienten, in der Placebogruppe hingegen nur bei etwa einem Drittel. Die häufigsten Nebenwirkungen von Rufinamid (beobachtet bei mehr als einem von zehn Patienten) waren Schläfrigkeit, Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen und Müdigkeit.

Quelle

Zulassung für Inovelon® bei Lennox-Gastaut-Syndrom. Pressemitteilung der Eisai GmbH, Frankfurt/Main vom 22. Januar 2007.

Informationen der EMEA.

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Das Lennox-Gastaut-Syndrom ist eine Form von Epilepsie, die bei Kindern in der Regel um das 4. Lebensjahr auftritt. Es kommt hierbei zu tonischen Anfällen und plötzlichem Tonusverlust, der zum Hinfallen führt. Benannt wurde das Syndrom nach den Neurologen William Gordon Lennox (USA) und Henri Gastaut (Frankreich), die diese Form der Epilepsie in den 1950er Jahren erstmals eingehend beschrieben und sich intensiv mit ihrer Erforschung und Abgrenzung zu anderen Formen der Epilepsie befassten.
Von 100 Kindern mit Epilepsie haben etwa fünf das Lennox-Syndrom. Es kann genetisch bedingt oder die Folge einer schweren prä- oder perinatalen Hirnschädigung sein. Es ist eine vergleichsweise schwer behandelbare Form von Epilepsie.
Steckbrief: Rufinamid
Vorgesehener Handelsname: Inovelon
Hersteller: Eisai GmbH, Frankfurt/M.
Indikation: Als Zusatztherapie bei Lennox-Gastaut-Syndrom.
Dosierung: Zweimal täglich 200 bis 400 mg oral
Nebenwirkungen: Schläfrigkeit, Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen und Müdigkeit.

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