Psychologie

C.-V. SchwörerBeratung zur Basistherapie bei Typ-2-

Jede Beratung muss sich an den Wünschen und Bedürfnissen des Kunden orientieren. Dieses zentrale Paradigma wird oft ignoriert, wenn es darum geht, Typ-2-Diabetiker zu einem anderen Lebensstil zu überzeugen. Aus medizinischer Sicht sind hier die Wünsche der Patienten nicht therapiekonform. Aus Sicht der Disziplinen, die sich mit menschlichem Verhalten beschäftigen, ist die Basistherapie dagegen ein eigenständiger "Ausbildungsabschnitt", in dem Typ-2-Diabetiker lernen, ihre aktuellen Gewohnheiten Schritt für Schritt zu verändern.

Die Beratung richtet sich insofern nach den Wünschen der Patienten, als sie ihnen hilft, diese schwierige Aufgabe zu bewältigen. Mit Psychologie kommt Bewegung in die Basistherapie, und der Erfolg stellt sich ein - nicht nur beim Patienten: Eine gute Beratung bindet zufriedene Patienten in allen Gesundheitsfragen an die Apotheke.

Ohne Basistherapie ist eine erfolgreiche Behandlung von Typ-2-Diabetes nicht möglich. Doch trotz intensiver medizinischer Aufklärung scheitert die Basistherapie nach wie vor am Verhalten der Patienten, die ihr krankmachendes Ernährungs- und Bewegungsverhalten nicht nur beibehalten, sondern zusätzlich beratungsmüde und unwillig wurden. "Das bringt doch nichts", ist von Typ-2-Diabetikern, Apothekern und Ärzten seit vielen Jahren zu hören. Und solange die Basistherapie weiterhin nur aus medizinischer Sicht mit dem Ziel "Blutzuckersenkung" betrachtet wird, wird sich hieran auch nichts ändern.

Vielmehr ist die Übertragung von akutmedizinischem Denken auf die Basistherapie dafür verantwortlich, dass die Beratung (und Schulung) scheitert. Nach ihm ist die schnelle und radikale Umstellung des Ernährungs- und Bewegungsverhaltens zur Blutzuckersenkung unabdingbar. Doch Typ-2-Diabetiker wollen und wünschen diese schnelle Veränderung nicht, weil sie ihre Lebensqualität erheblich einschränkt. Da diese Wünsche nicht therapiekonform sind, werden sie in bester Absicht ignoriert. Stattdessen wird die Beratung zur Basistherapie auf einen medizinisch wünschenswerten, aber unzulässigen Umkehrschluss aufgebaut, nach dem die Blutzuckerwerte (bzw. deren Folgen) Diabetiker zur Verhaltensänderung motivieren. In großen Studien konnte aber lediglich gezeigt werden, dass die Bedingung-Folge-Formel stimmt: Wenn Typ-2-Diabetiker ihr Ernährungs- und Bewegungsverhalten verändern (Bedingung), dann verbessern sich die Blutzuckerwerte und Folgeerkrankungen können verhindert werden (Folge). Das Verhalten hat also Einfluss auf die Werte. Dass die Werte einen Einfluss auf das Verhalten hätten, ist hochspekulativ und, wie wir heute wissen, zwar wünschenswert, aber leider falsch.

Basistherapie als eigenständige "Ausbildung"

Bei der heute üblichen medizinischen Aufklärung und Beratung wird zudem davon ausgegangen, dass Diabetiker sofort und ohne Hilfen diese "Bedingung" herstellen könnten, wenn sie die langfristigen Folgen ihres Verhaltens kennen. Entsprechend werden die negativen Folgen ständig betont. Wissenschaftlich belegt ist hingegen, dass Angst kein Motivator und die Umstellung des Ernährungs- und Bewegungsverhaltens ein langer und schwieriger Lernprozess ist, weil alle Bereiche des Menschen tangiert werden. Unterstützung, Hilfen oder Beratung zur Bewältigung dieser Aufgabe, die über eine Ernährungsberatung hinausgehen, erhalten Typ-2-Diabetiker meist nicht.

Der Weg aus der bisherigen Sackgasse liegt auf der Hand: Wir müssen die Basistherapie als das anerkennen, was sie ist: ein eigener "Ausbildungsabschnitt", eine eigenständige Therapie, deren Aufgabe es ist, Diabetiker dabei zu unterstützen, das Ziel der Basistherapie Ernährung mit kalorienreduzierter Mischkost und mehr Bewegung ohne Einschränkung an Lebensqualität erreichen und leben zu können. Der Beratung zur Basistherapie kommt dabei die Aufgabe zu, alle hierfür notwendigen Strategien zu vermitteln und Diabetiker auf dem Weg von ihren bisherigen Gewohnheiten, Einstellungen, Haltungen und sozialen Zwängen, hin zum Ziel der Basistherapie zu begleiten.

Interdisziplinär, individuell und strukturiert

Damit verlässt die Beratung zur Basistherapie die sichere Struktur der medizinischen Aufklärung und begibt sich auf das schwierige Terrain der Verhaltensebene, der Lernbereiche und des sozialen Umfelds. Hilfen und Orientierungspunkte kann die Medizin hierzu nicht liefern. Anders die Disziplinen, die sich wissenschaftlich mit dem Verhalten von Menschen beschäftigen. In der Psychologie, Pädagogik und Soziologie sind viele Gesetzmäßigkeiten, die eine Verhaltensänderung verhindern oder motivieren bestens untersucht und wissenschaftlich untermauert. Dieses Wissen ist unabdingbar, wenn Diabetiker bei der Veränderung ihres Verhaltens wirkungs- und sinnvoll unterstützt werden sollen. Das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es den Typ-2-Diabetiker nicht gibt, sondern die ganze Bandbreite an Prototypikalität vertreten ist. Zudem wird jedes Beratungsgespräch von individuellen Faktoren bestimmt, die sich wechselseitig bedingen, ergänzen oder stören. Deshalb können wissenschaftlich belegte Erkenntnisse nur den Beratungsrahmen vorgeben, die Beratung erleichtern und dazu beitragen, Fehler zu vermeiden. Eine allgemeingültige "Gebrauchsanweisung" für eine maßgeschneiderte, individuelle Beratung wird es hingegen nie geben.

Apotheker sind ideale Berater

Eine so verstandene Beratung zur Basistherapie zeichnet sich dadurch aus, dass sie kontinuierlich Hilfestellung zur Lösung von Alltagsproblemen anbietet, die sich in unterschiedlicher Form auf dem langen Weg der Umstellung des Ernährungs- und Bewegungsverhaltens ergeben. Sie kann also niemals punktuell, sondern muss "lebensbegleitend" sein. Und genau dieser Umstand macht Apotheker zum idealen Berater der Basistherapie. Sie sind Beratungsprofis und begleiten Diabetiker über lange Zeit, Diabetiker vertrauen sich Apothekern gerne an und schätzen ihren Rat. Die Apotheke bietet einen hervorragenden Rahmen für die Beratung zur Basistherapie, weil Menschen damit vertraut sind, hier zu Gesundheitsfragen beraten zu werden. Apotheker wiederum, können sich einen spannenden und bisher unreglementierten Beratungsbereich erschließen, der zwar hohe Anforderungen an sie stellt, aber gleichzeitig mit vielen positiven Rückmeldungen und hoher Arbeitszufriedenheit belohnt wird.

Die Grundlage Ihrer Beratung

Der offensichtlichste Unterschied zur Ihrer gewohnten Beratung ist, dass bei der Basistherapie kein Produkt oder Medikament im Mittelpunkt der Beratung steht, sondern der Patient, sein Leben und seine "eingeschränkte Gesundheit". Deshalb ist die Beratung oft sehr persönlich und kann schnell "heikel" oder verletzend werden. Um Missverständnisse zu vermeiden, sollten Sie deshalb den Wissensstand des Patienten unbedingt berücksichtigen. Nur so kann er Ihren Ausführungen folgen und eigene Lösungen finden. Dies erfordert ein hohes Maß an Reflexion des eigenen Sprachstils und der eigenen Vorannahmen, weil Begriffe, die man selbst häufig verwendet, oft so vertraut werden, dass man glaubt, sie hätten Allgemeingültigkeit.

Beispielsweise sind für Sie als Apotheker Begriffe wie Stoffwechsel oder Stoffwechselstörung und deren Bedeutung eine Selbstverständlichkeit. Ganz anders bei Typ-2-Diabetikern. In der Regel wissen sie weder, was ein Glucosestoffwechsel ist, noch haben sie eine bildliche Vorstellung von ihrer Erkrankung. Deutliches Indiz hierfür sind Aussagen wie "Ich habe ein bisschen Zucker" oder "Es wird mir schon nicht schaden, wenn ich Bratkartoffeln esse". Selbst die Non-Compliance der medikamentösen Therapie ist häufig auf dieses fehlende Wissen zurück zu führen.

Wenn Sie auf diese Wissenslücke Ihre Beratung aufbauen wollen, werden Sie scheitern. Solange Diabetiker nicht wissen, welche konkreten Abläufe dafür verantwortlich sind, dass Blutzuckerwerte steigen und sinken, können sie diese nicht bewerten, gezielt einsetzen und generalisieren. Und Sie selbst bleiben in der Situation, weiter auf Appelle und Anordnungen zurückgreifen zu müssen - und zwar für jeden kleinen Schritt, den Sie einem Patienten nahe bringen wollen.

Wer fragt, bekommt Antworten

Bevor Sie mit einer Beratung zur Basistherapie beginnen, müssen Sie sich deshalb unbedingt Klarheit über den Wissenstand eines Patienten verschaffen. Dies geht am unverfänglichsten, wenn Sie in Ihrer Apotheke eine kleine Umfrage machen. Als Gesprächseinstieg eignen sich alle neutralen Aufforderungen wie: "Wir möchten in unserer Apotheke die Beratung von Diabetikern weiter verbessern. Dazu bräuchten wir Ihre Hilfe. Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir kurz einige Fragen zu beantworten?" Kaum jemand wird Ihnen diese Bitte abschlagen. Ihre Fragen können Sie frei wählen, doch sie sollten, wie in den folgenden Vorschlägen, immer auf den Stoffwechsel abzielen:

  • Wie würden Sie einem Außerirdischen eine Zuckerkrankheit/Diabetes erklären?
  • Wo bleibt der Zucker, wenn Sie Medikamente einnehmen, um die Blutzuckerwerte zu senken?
  • Was glauben Sie, bedeutet der Begriff "Stoffwechselerkrankung"?

Konkrete Bilder statt Fachchinesisch

Den Beginn der Beratung sollten Sie nicht direkt an die Befragung anschließen. Dies ist einerseits zu zeitaufwändig und wird andererseits leicht als schulmeisterlich aufgefasst. Außerdem ist es vorteilhafter, beim nächsten Apothekenbesuch an die allgemeinen Ergebnisse Ihrer Umfrage anzuknüpfen und damit dem Patienten zu signalisieren, dass sein Beitrag zur Verbesserung der Beratung ernst genommen wurde. Gleichzeitig haben Sie auf diese Weise einen idealen, unverfänglichen Gesprächseinstieg, um einem Diabetiker den Stoffwechsel zu erklären.

Verzichten Sie bei der Darstellung des Stoffwechsels auf jede Fachterminologie, sondern greifen Sie auf Beispiele zurück, die an die Lebenserfahrung des Patienten anknüpfen, damit er sich eine bildhafte Vorstellung vom Zusammenspiel Muskelzelle, Glucose und Insulin machen kann. Ziel dieses ersten Beratungsabschnittes ist ausschließlich, auf der Stoffwechselebene eine direkte Handlungs-Wirkungs-Beziehung herzustellen, die verdeutlicht, weshalb Blutzuckerwerte steigen und sinken. Wenn Ihnen dies gelingt, haben Sie die Tür zu einer Erfolg versprechenden Beratung aufgemacht, weil Sie die weiteren Beratungseinheiten auf "begreifbaren" Zusammenhängen aufbauen und alle Teilziele über sie erklären können.

Entlastung für Apotheker

Hilfsangebote, wie Sie den Glucosestoffwechsel in einer für Patienten verständlichen Bildsprache erklären können, werden Sie kaum finden. Die Fachliteratur ist zu spezifisch, und in Broschüren und Patientenratgebern wird der Stoffwechsel und seine Störungen nicht dargestellt. Eine Ausnahme macht der im Herbst 2005 erschienene Ratgeber "Diabetes - Neustart in ein gesundes Leben" (siehe Literaturempfehlung). Sein Aufbau entspricht den Schritten einer Beratung zur Basistherapie. Mit ihm kann ein Diabetiker die in der Apotheke erhaltene Beratung zu Hause in aller Ruhe vertiefen und erweitern. Dies hat für den Apotheker den Vorteil, dass viele Erklärungen und zeitintensive Wiederholungen unnötig werden und mehr Zeit für individuelle Problemlösungen bleibt.

Altes Denken liegt so nahe

Nichts ist in der Medizin verlockender als der schnelle Erfolg. Deshalb liegt es nahe, Diabetikern über den Stoffwechsel eine Diät und eine Ausdauersportart "verkaufen" zu wollen. Das funktioniert nicht. Diabetiker wollen zwar dazu beitragen, ihren Stoffwechsel zu normalisieren, aber sie wollen keine Diät oder schweißtreibenden Sport machen. Um diesen Konflikt aufzulösen, müssen in der Beratung Abstriche gemacht werden. Machen Sie diese nicht mehr bei den Wünschen und Bedürfnissen der Patienten, sondern da, wo es möglich ist: bei der medizinisch notwendigen schnellen Veränderung, diese kann kein Vermeidungsverhalten entwickeln. Auch wenn es schwer fällt, sich von hehren Zielen zu verabschieden, es ist allemal besser, ein Ziel mit kleinen Schritten zu erreichen, als wie bisher mit unrealisierbaren Forderungen frustriert auf der gleichen Stelle zu treten.

Mit vielen Schritten zum Erfolg

Den zeitintensivsten Beratungsabschnitt haben Sie bereits hinter sich. Ihre Patienten wissen, dass es in den Muskelzellen kleine "Kraftwerke" gibt, in denen die Nahrungsenergie in Bewegungsenergie umgewandelt wird. Günstig ist es, wenn Sie im nächsten Beratungsgespräch hieran anknüpfen und Ihre Beratung im Bereich Bewegung fortsetzen. Einerseits fällt es Diabetikern leichter, zunächst mehr Bewegung in ihr Leben zu bringen. Andererseits sind Veränderungen im Bewegungsverhalten für Apotheker leichter anzustoßen und zu korrigieren. Zudem ist der Einstieg in ein solches Beratungsgespräch sehr einfach. Sie brauchen einen Diabetiker nur zu fragen, ob er zu Fuß oder mit dem Fahrrad (statt mit dem Auto) gekommen ist. Bei

  • Nein-Antwort bedauern Sie die armen Muskelzellen, die gar keine Glucose verbrennen konnten und sich mit gefüllten Vorratslagern rumschlagen müssen;
  • Ja-Antwort loben Sie den Patienten und betonen Sie, wie gut es war, dass er zu Fuß oder mit dem Rad kam und die "Kraftwerke" in den Muskelzellen mächtig Glucose verheizen konnten.

Haben Sie keine Angst vor Wiederholungen, sondern gehen Sie bei den nächsten Apothekenbesuchen des Diabetikers in immer gleicher Weise vor. Durch die Wiederholungen verfestigen sich die neuen "Lerninhalte" - und schon nach einiger Zeit werden die Patienten Ihnen von ihren "Kraftwerken" erzählen.

Dies ist der Zeitpunkt für den nächsten Schritt Ihrer Beratung: Unterstützen Sie Diabetiker darin, dass sie die Absicht formulieren können, mehr Glucose als bisher in den Muskelzellen zu verbrennen. Bleiben Sie dabei realistisch. Zum jetzigen Zeitpunkt wird kein Sesselsitzer ein Marathonläufer, aber einen täglichen Spaziergang von 15 Minuten wird er durchaus ins Auge fassen, wenn Sie ihm die Notwendigkeit der Regelmäßigkeit über die Arbeitsweise der Bio-Programme erklären. Ganz nebenbei können Sie auf diese Weise vom Patienten bereits Vergessenes wieder auffrischen und bleiben trotzdem nicht auf der Stelle stehen.

Konkrete Ziele setzen

Viele Vorhaben scheitern, weil die Ziele zu vage und unkonkret sind. Darum sollten Sie es nicht dabei bewenden lassen, dass ein Patient die allgemeine Absicht äußert, Spaziergänge machen zu wollen. Ermutigen Sie ihn, noch in der Apotheke, ein ganz konkretes Kurzzeitziel zu formulieren und dies schriftlich festzuhalten. Um sich und dem Patienten diese Aufgabe zu vereinfachen, können Sie ein kleines Formular mit Fragen vorbereiten (s. Kasten unten).

Je nach Lebensumständen fallen die Antworten recht unterschiedlich aus. Trotz aller Individualität sind ganz konkrete Angaben notwendig, wann und für welche Strecke ein Spaziergang von 15 Minuten über die Dauer von vier Wochen hinweg gemacht wird. Auf die schriftliche Fixierung sollte nicht verzichtet werden, da hierdurch der Planung und Zielsetzung des Vorhabens ein stärkerer Verpflichtungscharakter zukommt. Bei Zielerreichung stellt diese Form des Vorgehens in Kombination mit der Belohnung zudem eine starke positive Rückmeldung dar. Damit kann die größte Schwierigkeit der Diabetestherapie, das weitgehende Fehlen von positiven, zeitnahen Rückmeldungen, abgepuffert werden. Und weil intrinsische Motivation zu Anfang noch nicht vorliegt, kann diese durch extrinsische Motivation aufgebaut werden. Sie ermöglicht Diabetikern die Erfahrung, Erfolg zu haben und zu erkennen, dass sie auf dem richtigen Weg zu mehr Gesundheit und einem neuen positiven Lebensgefühl sind.

Zielgerichtete Fragen leiten

Hat sich ein Diabetiker mit Ihrer Unterstützung entschlossen, täglich einen Spaziergang zu machen und sein Kurzzeitziel fixiert, dürfen Sie bei seinem nächsten Apothekenbesuch auf keinen Fall vergessen, ihn danach zu fragen, ob er sein Vorhaben umsetzen konnte. Und zwar aus zwei Gründen:

  • Der Patient fühlt sich ernst genommen, spürt, dass sein Anliegen auch das Ihre ist, und baut weiter Vertrauen zu Ihrer Beratung auf.
  • Nur so erfahren Sie, wie Sie die Beratung sinnvoll fortführen können. Letztendlich gibt es auf Ihre Frage nach dem täglichen Spaziergang - trotz der breiten Palette an Antworten - nur drei Kernaussagen: Der tägliche Spaziergang
  • wurde immer gemacht,
  • wurde gar nicht gemacht,
  • wurde nur manchmal (also nicht täglich) gemacht. Ihre weitere Vorgehensweise kann auf zwei Strategien reduziert werden:
  • Loben Sie die Patienten, die ihren täglichen Spaziergang gemacht haben. Loben Sie überschwänglich und selbst dann, wenn Sie den Verdacht haben, dass Sie ein wenig angeflunkert werden. Lob erfreut und motiviert zum Handeln, selbst wenn zu Anfang ein wenig gemogelt wird.
  • Die Ursache für "er wurde nicht (regelmäßig) gemacht" lässt sich fast immer auf einen einzigen Punkt reduzieren: den "inneren Schweinehund" oder, wie er im o.g. Ratgeber sehr viel freundlicher genannt wird, den "dicken Dackel Emil". Diese erlernte Gedankenstimme liefert Diabetikern die Begründung für ihr Vermeidungsverhalten - und diese Begründungen werden nun auch Ihnen vorgetragen. Jetzt ist die hohe Kunst der Beratung gefragt, wenn Sie nicht wieder in alte Strukturen zurück fallen und Ihre bisherige Beratung zunichte machen wollen.

Achtung, ganz böse Falle

Begründungen für Vermeidungsverhalten, ob zur Bewegung oder zur Ernährung, sind einer der heikelsten Punkte bei Beratungsgesprächen. Hier werden die meisten Beratungsfehler gemacht, weil man nach den bekannten Mustern der Zustimmung oder Ablehnung reagiert. Grundfalsch! Denn Sie sitzen in der Sackgasse eines klassischen Kommunikationskillers. Wenn Sie die vorgetragenen Argumente als Scheinargumente entlarven, kränken Sie den Vortragenden und bezichtigen ihn indirekt der Lüge. Stimmen Sie aber zu, outen Sie sich als jemand, dem man alles "auftischen" kann. Und wenn Sie die Scheinargumente ignorieren, fühlen sich die Patienten zurückgewiesen und fordern immer massiver eine Stellungnahme ein.

Es gibt nur eine Strategie, wie Sie aus diesem Kommunikationskiller ohne Schaden herauskommen: Sie müssen dem Patienten den Weg ebnen, damit er ohne Gesichtsverlust seine pseudologischen Argumente selbst entlarven und mit Ihrer Unterstützung eine neue Vorgehensweise in Augenschein nehmen kann. Bei Diabetikern, die den o. g. Ratgeber besitzen, fragen Sie freundlich "Wie könnte man den dicken Dackel Emil auch hier besser in den Griff bekommen?" und Sie sind mitten in der gemeinsamen Problemlösung, wie das aktuelle Vermeidungsverhalten korrigiert werden kann. Menschen glauben nur das, was sie selbst sagen. Unterstützen Sie deshalb Diabetiker darin, dass sie die Lösungen selbst finden und formulieren können.

Geschichten sind gute Brücken

Etwas schwieriger ist es, ohne den Ratgeber den "inneren Schweinehund" oder den "dicken Dackel Emil" ins Spiel zu bringen. Legen Sie sich deshalb bereits im Vorfeld eine eigene Geschichte zurecht, auf die Sie in solchen Situationen zurückgreifen können. Achten Sie darauf, dass Ihre Geschichte zwar die Struktur des Vermeidens enthält, jedoch mit der aktuellen Situation und den vorgetragenen Argumenten nichts zu tun hat. Einleiten könnten Sie Ihre Geschichte mit "Was Sie mir da erzählen, kommt mir sehr bekannt vor. So ähnlich ging es ..." und dann von Ihrer Cousine erzählen, die ihre Steuererklärung vor sich her schob, oder einer Reise, die nicht gemacht wurde, oder ... Die Möglichkeiten sind unbegrenzt, nur das Ende sollte immer gleich sein: Das Vorhaben wurde in die Tat umgesetzt. Mit solchen kurzen Geschichten schlagen Sie mehrere Fliegen mit einer Klappe:

  • Sie knüpfen an dem an, was der Patient erzählt, enthalten sich aber der Bewertung.
  • Sie bieten ein Orientierungsmodell zur Problemlösung an.
  • Sie unterbreiten einen konkreten Lösungsvorschlag, den Sie mit Ihrem Gesprächspartner besprechen können, und landen wieder in der aktuellen Situation.

Motivknödel statt Sportappelle

Neben dem Grundsatz der kundenorientierten Beratung ist wissenschaftlich belegt, dass die Beratung an den Lebenserfahrungen des Kunden anknüpfen und ihr Inhalt für ihn relevant, bedeutsam und konkret sein muss. Das Bedürfnis nach Bewegung ist bei den meisten Typ-2-Diabetikern jedoch verschüttet und verlernt.

Durch viele negative Erfahrungen wurden massive Abwehrstrategien aufgebaut, sodass die Betonung der "Wohltaten", die mit sportlichen Aktivitäten einhergehen, unglaubwürdig und wirkungslos ist. Sinnvoll ist hingegen, bestehende Bedürfnisse und Motivknödel in den Mittelpunkt der Beratung zu stellen und "mehr Bewegung" lediglich als Nebeneffekt zu betrachten.

Fall 1

Frau H., 67 Jahre, rüstige Rentnerin, Witwe. Frau H. ist ungern in Rente gegangen, weil sie ihren Beruf als Verkäuferin gerne ausgeübt hat. Seit dem Tod ihres Mannes ist sie viel alleine und dankbar für jedes längere Gespräch, das Sie mit ihr führen. Sie erzählt viel aus ihrem arbeitsreichen Leben, klagt über Einsamkeit und bedauert, dass sie nicht einmal mehr von ihren Kindern gebraucht wird.

Die Beratung: Um Frau H. zu motivieren, ist es ratsam, ihr eine Wandergruppe oder einen Wanderverein zu empfehlen. Diese Empfehlung ist für sie bedürfnisorientiert, relevant und bedeutsam. Denn hier hat sie die Möglichkeit Menschen kennen zu lernen, gleichgesinnte Gesprächspartner zu finden und Aufgaben für die Gemeinschaft zu übernehmen. Konkret wird Ihre Empfehlung dadurch, dass Sie der Patientin drei Adressen für die Kontaktaufnahme mitgeben - und, wenn möglich, die jeweiligen Vereine kurz beschreiben. Damit können Sie verhindern, dass die Umsetzung daran scheitert, dass die Patientin nicht weiß, an wen sie sich wenden soll. Drei Vorschläge sind ausreichend, da Wahlmöglichkeit besteht, ohne durch zu viele Alternativen zu verwirren.

Fall 2

Herr Z., 42 Jahre, leitender Bankangestellter, Single. Da Herr Z. beruflich stark engagiert ist, hat er wenig Freizeit. Diese verbringt er vor dem Computer oder schaut sich Sportsendungen im Fernsehen an. Als agiler und kontaktfreudiger Mensch würde er gerne mehr unternehmen. Konventionelle Sportarten lehnt er ab, weil er hier nur schlechte Erfahrungen gemacht.

Die Beratung: Obwohl Herr Z. leistungsorientiert und kontaktfreudig ist, kommen für ihn zum jetzigen Zeitpunkt keine Wettkampfsportarten in Frage. Hier könnte der unsportliche Herr Z. keine Erfolgserlebnisse verbuchen und würde frustriert aufgeben. Anders sieht es aus, wenn Sie ihm z. B. einen Anfängerkurs für Inline-Skating empfehlen. Da hier alle auf dem gleichen Niveau starten und es unerheblich ist, ob jemand dünner oder dicker ist, kann Herr Z. an seine beruflichen Erfahrungen anknüpfen, dass gesetzte Ziele mit Engagement und Einsatz zu erreichen sind. Zudem kann Herr Z. sich ohne körperliche Überanstrengung mit anderen Teilnehmern im sportlichen Vergleich messen und Erfolgserlebnisse erzielen. Gemeinsame Aktivitäten und Interessen verbinden, sodass Herr Z. nicht nur ungezwungen Menschen kennen lernen und seine Kontaktfreudigkeit ausleben, sondern sich über das Inline-Skating einen neuen Lebensbereich erschließen kann. Damit könnte der agile, noch recht junge Mann seine knappe Freizeit inhaltsreicher gestalten und hätte an Lebensqualität dazu gewonnen.

Vermeiden Sie Warum-Fragen

Sie liegen einem ständig auf der Zunge und dort sollten sie auch bleiben: die Warum-Fragen. "Warum hast du deine Hausaufgaben nicht gemacht?" "Warum muss ich dir alles zweimal sagen?" Jeder von uns kennt von klein auf solche Warum-Fragen, den Vorwurf, den Anforderungen nicht entsprochen zu haben und sich hierfür rechtfertigen zu müssen. Warum-Fragen zum Verhalten stellen immer ein Machtgefälle her, blockieren Reziprozität und verhindern damit eine partnerschaftliche Lösung von Problemen. Stattdessen provozieren sie langatmige Erklärungsversuche und lösen negative Gefühle aus.

Gewöhnen Sie sich deshalb an, statt nach dem "Warum" lösungsorientiert zu fragen. Damit eröffnen Sie den Patienten die Möglichkeit, eigene Lösungsansätze zu finden und sie mit Ihnen zu besprechen. Hier einige Beispiele, wie typische Warum-Fragen in Gesprächssituationen aussehen (Kästchen) und wie sie durch Fragen, die auf eine Problemlösung hinführen, ausgetauscht werden können (Pfeile):

  • Warum haben Sie den Spaziergang wieder ausfallen lassen? => An welchem Punkt haben Sie sich entschlossen, den Spaziergang doch nicht zu machen?
  • Warum haben Sie die Ziele, die Sie erreichen wollten, nicht aufgeschrieben? => Welches ist die größte Schwierigkeit, mit der Sie beim Aufschreiben Ihrer Ziele zu kämpfen haben?
  • Warum bewegen Sie sich im Alltag nicht ein bisschen mehr, das würde Ihnen gut tun? => Haben Sie schon einmal versucht, zu flotter Radiomusik unbeschwert durch die Wohnung zu tanzen?

Natürlich ist es einfacher, Warum-Fragen zu stellen. Sie sind bequem, denn sie erfordern keine Auseinandersetzung mit dem Problem, sondern delegieren diese an den Gefragten. Da Patienten das Problem jedoch nicht ohne Unterstützung lösen können, führen Warum-Fragen zwangsläufig zu einer für alle Beteiligten unerfreulich Beratungssituation, aus der sie nur schwer wieder herauskommen können.

Gelernt ist gelernt

Es ist nicht einfach, eine gute Beratung zur Basistherapie durchzuführen. Doch es lohnt sich, hier dazuzulernen. Patienten beratend zur Seite zu stehen, mitzuerleben, wie Menschen ihr Leben wieder in den "Gesundheitsgriff" bekommen, einen mitmenschlichen Kontakt zu Kunden zu pflegen und wirklich helfen zu können, ist eine sehr befriedigende Aufgabe. Hinzu kommt, dass sich die "Folgen" einer erfolgreichen Basistherapie nicht auf die Senkung der Blutzuckerwerte beschränken. Sie sind wesentlich umfassender: Erhöhter Blutdruck und zu hohe Cholesterinwerte sinken, eine neue Fitness stellt sich ein, überflüssige Pfunde schmelzen dahin. Deshalb können Sie die Beratung zur Basistherapie, die Sie bei Typ-2-Diabetikern erfolgreich durchführen, mit leichten Modifikationen bei allen Patienten und Menschen einsetzen, die ihr Ernährungs- und Bewegungsverhalten umstellen wollen. Und weil die Gesetzmäßigkeiten, Ziele und Strategien der Beratung zur Basistherapie immer die gleichen bleiben, können Sie mit dem Gelernten Ihre Kunden ständig besser beraten, da auch hier die Übung den Meister macht. Versuchen Sie es ruhig einmal. Sie haben nichts zu verlieren, aber jede Menge zu gewinnen.

Jede Beratung muss sich an den Wünschen und Bedürfnissen des Kunden orientieren. Dies fällt jedoch besonders schwer, wenn es darum geht, Typ-2-Diabetiker von einem anderen Lebensstil zu überzeugen. Ohne diese Basistherapie ist die medikamentöse nicht auf Dauer erfolgreich. Die Basistherapie ist ein eigenständiger "Ausbildungsabschnitt", in dem Typ-2-Diabetiker lernen, ihr Ernährungs- und Bewegungsverhalten Schritt für Schritt zu verändern. Die Beratung richtet sich insofern nach den Wünschen der Patienten, als sie ihnen hilft, diese schwierigen Aufgaben zu bewältigen. Mit Psychologie kommt Bewegung in die Basistherapie, und der Erfolg stellt sich ein – nicht nur beim Patienten: Eine gute Beratung bindet zufriedene Patienten in allen Gesundheitsfragen an die Apotheke.

Tipp

Da die Antworten des Patienten auf Ihre Fragen vorhersehbar sind, können Sie Ihre weitere Gesprächsstrategie bereits im Vorfeld festlegen und damit, vor allem in der Anfangsphase, mehr Sicherheit auf unbekanntem Terrain erlangen.

Vorbildlich

Aktionswoche zum Weltdiabetestag Jedes Jahr am 14. November ist Weltdiabetestag. Im November 2005 veranstalteten der Deutsche Diabetiker Bund und die Deutsche Diabetes-Stiftung sogar eine Diabetes-Aktionswoche unter der Schirmherrschaft der Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt. In Nordrhein haben sich 104 Apotheken daran beteiligt und bei 1675 Kunden den Blutzuckerspiegel gemessen. Dadurch erfuhren 177 der getesteten Personen (12,5%) erstmals von erhöhten Blutzuckerwerten und wurden von den Apothekern mit dem Verdacht auf Diabetes an einen Arzt verwiesen. Die Apotheken führten nicht nur die Tests durch, sondern informierten auch über einen gesünderen Lebensstil, der einer Erkrankung an Diabetes vorbeugt.

Fühlen Sie sich unbehaglich?

Wahrscheinlich werden Sie sich am Anfang Ihrer neuen Beratungsstrategie sehr unbehaglich und "komisch" fühlen. Und dies umso mehr, je wichtiger für Sie der Schutzschild der medizinischen Kompetenz ist. Sich auf die Alltagsebene zu begeben, bildhafte Erklärungen zu finden, erwachsenengerechte Geschichten zu erfinden und unterhaltsam zu erzählen, erfordert Kreativität und den Mut, ständig über den eigenen Schatten zu springen. Dies in Eigenregie zu lernen, ist nicht immer einfach und gelingt oft nicht auf Anhieb. Deshalb sollten Sie die Messlatte, die Sie sich selbst setzen, nicht zu hoch hängen. Und wenn Sie die wesentlichsten Beratungsgrundsätze beachten, sind Sie in der Regel immer auf der richtigen Seite.

Beratung zur Basistherapie

  • Durchgängig steht die begleitende, an den Bedürfnissen und Wünschen des Diabetikers orientierte Hilfestellung im Mittelpunkt.
  • Ziel ist, die Verhaltensänderung zu unterstützen, nicht die Blutzuckerwerte zu senken. Diese sinken in Folge einer gelungenen Verhaltensänderung von selbst.
  • Die Beratungsinhalte sind nicht medizinisch ausgerichtet, sondern auf das aktuelle Leben und das Lebensumfeld des Diabetikers zugeschnitten.
  • Die Beratung bezieht sich auf konkrete Fragen und unterbreitet konkrete, praktische Vorschläge, wie Verhalten in Teilabschnitten verändert werden kann.
  • Der Patient entscheidet, welchen Schritt er ausprobieren möchte. Die Beratung kann lediglich Vorschläge machen und Anregung sein.
  • Die Beratung berücksichtigt, dass die angestrebten Verhaltensänderungen nur langsam durchgeführt werden können und viele Lebensbereiche tangieren.
  • Es gibt nicht den Diabetiker. Die Beratung muss auf den einzelnen Patienten, seine Lebenserfahrungen, seine Vorstellungen und Möglichkeiten zugeschnitten sein.

Die Autorin

Dr. Claudia-Viktoria Schwörer lebt und arbeitet als Autorin, Medizinjournalistin und Trainerin in Hamburg. Ihr zentrales Anliegen ist, das Wissen der Medizin, Psychologie und Pädagogik miteinander zu verbinden, um die Beratung und Schulung von chronisch kranken Menschen zu verbessern. Sie hat Psychologie und Pädagogik studiert und ist seit vielen Jahren im Medizinbereich tätig. Als Fachfrau für Kommunikation führt sie Fortbildungsveranstaltungen für Ärzte und Diabetesberaterinnen durch und hält Vorträge für Nicht-Mediziner zu Gesundheitsfragen.

Anschrift: Dr. Dipl.-Psych. Claudia-Viktoria Schwörer, Hopfenstraße 26, 20359 Hamburg cvschwoerer@t-online.de

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.