Mykologie

H.-P. Hanssen Pilze als Aphrodisiaka und Tonika – Potenzsteigerung durch V

Pilze spielen weltweit eine zwar kleine, aber nicht uninteressante Rolle in der Volksmedizin [15]. Dass einige Arten auch als Aphrodisiaka verwendet werden, hat verschiedene Gründe: Pilze, die psychoaktive Substanzen enthalten und als Rauschdrogen verwendet werden, haben aufgrund der Genusserfahrungen meistens auch den Ruf von "Liebesdrogen". Manche Pilzfruchtkörper, z. B. Morcheln, besitzen ein phallisches Aussehen; der Fliegenpilz gilt als Glücksbringer. Es gibt aber auch Pilze mit einer unmittelbaren aphrodisierenden Wirkung, wie neuere pharmakologische Untersuchungen belegen; die dafür verantwortlichen Inhaltsstoffe sind erst teilweise bekannt.

Potenzsteigerung durch Volksmedizin und Nahrungsergänzungsmittel?

Was sind Aphrodisiaka?

"Es gibt weder eine wissenschaftliche noch eine pharmakologische oder medizinische Definition von Aphrodisiakum oder Liebesmittel" und "Aphrodisiaka sind für Sex und Erotik, was Gewürze für das Essen sind". Mit diesen Thesen leiten die Autoren Christian Rätsch und Claudia Müller-Ebeling ihr "Lexikon der Liebesmittel" ein [1]. Danach kann eine "Substanz als Aphrodisiakum wirken, weil sie als Potenz-, Fruchtbarkeits- oder Genussmittel eine pharmakologische Aktivität hat, eine kognitive Struktur aktiviert (symbolisch, linguistisch), psychologisch suggestiv wirkt oder auf sinnlicher Ebene sensorisch stimuliert".

Ein medizinisches Standardwerk macht es sich einfacher: Es definiert Aphrodisiaka als "den Geschlechtstrieb und die Potenz steigernde Mittel", und ältere Ausgaben nennen als Beispiele Yohimbin und Strychnin sowie Androgene für den Mann [2].

Fliegenpilz

Der Fliegenpilz (Amanita muscaria) gehört zu den Knollenblätterpilzen (Amanitaceae). In vielen Ländern seines sehr großen Verbreitungsgebiets in der nördlichen Hemisphäre ist sein Gebrauch als Aphrodisiakum nachgewiesen [3]. Der scharlachrote Hut mit den weißen Schuppen (Abb. 1) hat die Menschen schon immer fasziniert und gilt als Glückssymbol schlechthin ("Glückspilz"). Der Pilz enthält vom Isoxazol abgeleitete Amide, insbesondere Ibotensäure, die im Säugerorganismus zum psychoaktiven Muscimol decarboxyliert wird (s. Formeln), sowie originäres Muscimol, Muscazon und in geringer Menge Muscarin. Das Muscimol wird unverändert mit dem Urin ausgeschieden. Deshalb war es bei sibirischen Völkern üblich, bei rituellen Zusammenkünften nicht nur den Fliegenpilz selbst zu konsumieren, sondern auch den von den Konsumenten ausgeschiedenen Urin zu trinken. Im Umland von Hamburg soll eine aphrodisierende Suppe aus Fliegenpilzen bereitet worden sein. In Russland werden frische Fliegenpilze in Wodka eingelegt. Ferner soll die getrock–nete Huthaut von A. muscaria geraucht werden.

In der Homöopathie gilt "Agaricus muscarius" als Mittel gegen Beschwerden des gesamten Nervensystems und wird bei Übererregbarkeit sowie Blasen- und Darmkrämpfen verwendet.

Morcheln und Trüffeln

Die Hirschtrüffel (Elaphomyces granulatus, Abb. 2), auch Hirschschwamm genannt, gehört zu den Ascomycetes (Schlauchpilze) und wächst unterirdisch. Sie fand in der Veterinärmedizin als Brunstmittel, besonders bei Rindern und Schweinen, Verwendung. In Nord- und Mitteleuropa war die Hirschtrüffel auch in Apotheken erhältlich. Sie wurde Liebestränken zugegeben und sollte Männern die Kraft eines brünstigen Hirsches geben.

In Skandinavien versuchten Männer angeblich, die Liebeslust von Frauen zu wecken, indem sie den Pilz unter ihre Speisen mischten oder ihn auf ihrem Körper verrieben [1].

Die echten Trüffeln (Tuber spp.) nehmen unter allen Pilzen den kulinarischen Spitzenrang ein, haben aber auch einen Ruf als Aphrodisiaka. Nachdem 1981 das männliche Sexualhormon α-Andro–stenol (5α-Androst-16-en-3α-ol) in der Schwarzen Trüffel (T. melanosporum) nach–gewiesen wurde, gilt das Geheimnis um die "Diamanten der Küche" größtenteils als gelöst [4]. α-Androstenol riecht moschusartig und wirkt sowohl beim Menschen als auch beim Schwein als Pheromon; daher können abgerichtete Schweine (Trüffelschweine) die unter der Erde verborgenen Fruchtkörper erschnüffeln.

Auch Speisemorcheln (Morchella spp.) gehörten zu den Aphrodisiaka. Die Spitzmorchel (M. esculenta) wurde im Volksmund als "Stutenzitzen" oder "Eichelmorchel" bezeichnet.

Stinkmorchel und Schleierdame

Schon wegen des Aussehens ihrer phallusförmigen Fruchtkörper zählten die Morcheln zu den Aphrodisiaka. Der auffällige Geruch der Stinkmorchel (Phallus impudicus; lat. impudicus = schamlos), der als "unangenehm", "stinkend" oder "nach Aas" beschrieben wird, wurde mit den Aus–dünstungen von Genitalien assoziiert. Junge, noch geschlossene Fruchtkörper sind genießbar ("Hexen–eier"); aus ihnen wurden Liebestränke bereitet [14]. Die Steigerung der Manneskraft durch den Pilz hat auch Wolfram von Eschenbach in seinem Epos Parzifal (Ende 12. Jh.) beschrieben.

Die zu den Stinkmorcheln gehörenden, vor allem in den Tropen verbreiteten Netzpilze oder Schleier–damen (Dictyo–phora spp., Abb. 3) sind von Ritua–len in Mexiko und Ostasien bekannt. Auf Papua-Neuguinea sollen sie mit Begeisterung als Aphrodisiaka verspeist werden [1].

Zauberpilze

Fast überall auf der Welt wird psilocybinhaltigen Pilzen eine aphrodisierende Wirkung zugeschrieben. Die meisten Arten gehören zur Gattung Psilocybe. Von ihnen kommen der Spitzkegelige und der Blauende Kahlkopf (P. semilanceata und P. cyanescens, Abb. 4) auch in Deutschland vor.

Psilocybin ist – wie LSD – ein Indolalkaloid (Tryptamin-Derivat). Der Schweizer Chemiker und LSD-Entdecker Albert Hofmann hat es 1958 aus P. cubensis isoliert und synthetisch hergestellt [13]. Es wird im Körper durch sofortige Abspaltung des Phosphorsäurerestes in das psychoaktive Psilocin umgewandelt (s. Formeln). Getrocknete psilocybinhaltige Pilze und ihre Sporen fallen deshalb bei uns unter das Betäubungsmittelgesetz [13].

In vielen traditionellen Kulturen werden psilo–cybinhaltige Pilze als heilig betrachtet und von Schamanen bei Heilzeremonien ver–wendet [5].

In Mexiko werden verschiedene Psilocybe-Arten (u. a. P. cubensis, Göttlicher Dungpilz, Teonanacatl, "Fleisch der Götter") seit vorkolumbischer Zeit bei religiösen Anlässen rituell verspeist [3]. Angeblich soll es nach dem Genuss der Pilze zu erotischen Visionen und Empfindungen sowie zu Dauererektionen (Priapismus) kommen. In der Volksmedizin werden sie bei Fieber, Magen-Darm-Beschwerden, Kopfschmerzen, Schwellungen und epileptischen Anfällen verwendet [3].

In den 60er-Jahren wurden die "Zauberpilze" (magic mush–rooms) weltweit bekannt, und Scharen von "Pilzpilgern" mach–ten sich auf den Weg zu den mittlerweile legendären Orten in Mittel–amerika und Südostasien.

Auch der zu den Tintlingen zählende Dunkelrandige Düngerling (Panaeolus subbalteatus) enthält Psylocybin und gilt als besonders aphrodisierend. Der Pilz wächst häufig auf Pferdewiesen und auf Pferdedung. Es wird berichtet, dass "Pferde diese Pilze gern fressen und offensichtlich davon aufgeregt und geil werden" [1]. Einige Arten der nahe verwandten Gattung Psathyrella (Mürblinge, Faserlinge, Abb. 5) sollen ebenfalls psychoaktiv wirken.

Lackporling und Raupenpilz

Auch in der traditionellen chinesischen Medizin (TCM), die reich an Pilzdrogen unterschiedlichster Art ist [6], werden Pilze als Aphrodisiaka verwendet. Dazu zählt der Glänzende Lackporling (Ganoderma lucidum, chin. Ling zhi, jap. Reishi), der im Chinesischen als "Pilz der Unsterblichkeit" bezeichnet wird. Er gilt als tonisierend, beruhigend und sexuell stärkend. Zwar wurden aus ihm zahlreiche Inhaltsstoffe mit sehr unterschiedlichen pharmakologischen Aktivitäten isoliert [7], aber darunter waren keine Substanzen mit eindeutig aphrodisierender Wirkung. Das gilt auch für den in China offizinellen Kokospilz (Poria cocos, chin. Fu ling, Hoelen), der –traditionell in "Lenzmitteln" (Sexualtonika) enthalten ist.

Die Gattung Cordyceps (Kernkeule) ist sowohl in Ostasien als auch in Mittelamerika, wo einzelne Arten u.a. als Aphrodisiaka in Gebrauch sind, verbreitet. Der Chinesische Raupenpilz (Cordyceps sinensis), der hauptsächlich in Tibet und im Himalaya vorkommt, besiedelt Insektenlarven, z. B. die Larven des Fledermausfalters, mit denen zusammen er als Arzneidroge verwendet wird (chin. Dong chong xia cao, Abb. 6 und 7). Er wird in China, Nepal und Bhutan als unspezifisches Tonikum, in Nepal auch speziell als Aphrodisiakum geschätzt, ist im letzten Jahrzehnt international bekannt geworden und seither im Wert gestiegen (s. Kasten "Raubbau am Pilz").

Pharmakologische Tests ergaben, dass ein noch nicht genau identifiziertes Protein im Raupenpilz als Vasorelaxans aktiv ist [8, 9]. Der Effekt geht mit der Bildung von Stickstoffmonoxid einher, was vermuten lässt, dass der Wirkungsmechanismus zumindest teilweise auf einer PDE-5-Hemmung beruht (s. Kasten). Weitere Untersuchungen zeig–ten, dass Extrakte aus dem Pilz die Testosteron-Produktion in Leydigzellen von Mäusen stimu–lieren [11].

Vor wenigen Jahren ist es gelungen, den chinesischen Raupenpilz in Deutschland zu kultivieren. Seither werden die daraus hergestellten Extrakte bei uns als Nahrungsergänzungsmittel angeboten.

Steigende Nachfrage nach Sexualtonika

Es ist abzusehen, dass in Gesellschaften, deren Mitglieder immer älter werden, auch Störungen der Sexualfunktion und ihre Behandlung eine wachsende Rolle spielen werden. Der Trend ist schon jetzt erkennbar: Die Nachfrage nach synthetischen Potenzmitteln, aber auch nach natürlichen Sexualtonika nimmt deutlich zu.

Von Hans-Peter Hanssen, Hamburg

Einige Pilze haben den Ruf, die Liebeslust und die sexuelle Potenz zu steigern. Sie spielen deshalb in der Volksmedizin vieler Völker eine Rolle oder werden sogar zu Nahrungsergänzungsmitteln verarbeitet. Manche Pilze wie der Fliegenpilz oder die Stinkmorchel verdanken ihren Ruf nur ihrem Aussehen, andere jedoch ihren bioaktiven Inhaltsstoffen. Dazu gehören das halluzinogen wirkende Psilocybin der "Zauberpilze", das Sexualhormon Androstenol in den echten Trüffeln und ein als PDE-5-Hemmer wirkendes Protein im Chinesischen Raupenpilz. Zwar machen die synthetischen PDE-5-Hemmer den traditionellen Potenzmitteln starke Konkurrenz, doch der Chinesische Raupenpilz wird nun sogar in Deutschland kultiviert.

Ein aphrodisierendes Buch

Die Botschaft des Autorenpaares ist eindeutig: "Aphro–disiaka sind für den Sex und die Erotik, was Gewürze für das Essen sind" und "Je weniger jemand ein Aphrodisiakum nötig hat, desto besser wirkt es."

In der ausführlichen Einleitung des "Lexikons der Liebesmittel" kann der Leser neben diesen Leitsätzen noch mehr über die Kulturgeschichte der Aphrodisiaka, deren Magie und Mysterien, die Sinnlichkeit und die Ideologie, aber auch Grundlegendes zum Gebrauch und Dosierungen nachlesen. Die beiden Autoren Christian Rätsch und Claudia Müller-Ebeling sind Experten und führen den Leser fachkundig in die faszinierende Welt der Aphrodisiaka ein.

Im alphabetischen Teil, der nach deutschen Namen geordnet ist, findet man rund 500 Monografien der Sub–stanzen, die aus ethnologischer, pharmakologischer, chemischer, mystischer, magischer und/oder schulmedizinischer Sicht als Liebesmittel oder Liebestöter gelten und gegolten haben. Es handelt sich dabei um Substanzen aus dem Pflanzen-, Tier- und Stein–reich sowie um Chemikalien und Medikamente.

Häufig sind den einzelnen Porträts Kommentare und persönlichen Erfahrungstipps der Autoren beigefügt.

Informationen für einen verantwortungsvollen und selbstbestimmten Umgang mit den Liebesmitteln werden selbstverständlich auch mitgeliefert. Eine umfangreiche Bibliographie, Tipps für Bezugsquellen sowie ein Register im Anhang runden das kompetente, drei Kilogramm schwere Nachschlagewerk ab.

Ein üppig ausgestattetes Buch zum "Schmökern", in dem es Spaß macht zu blättern und in dem man, auch wenn sich gelegentlich kleine Fehler eingesch–li–chen haben, eine Fülle an Informationen und Anregungen findet. Ein Buch auch für lange Abende zu zweit – aphrodisierend.

Raubbau am Pilz

Viagra schützt die Tierwelt" – so kommentierte –eine deutsche Tageszeitung eine Publikation in der englischen Zeitschrift "Environmental Conservation", der zufolge über 50-jährige Männer in Hongkong lieber Viagra® (Sildefanil) als traditionelle chinesische Potenz–mittel wie Nashorn oder Robbenpenis nehmen [12]. Doch dass dank der synthetischen PDE-5-–Hemmer alle natürlichen Potenzdrogen obsolet geworden sind, trifft nicht zu. Eine Ausnahme stellt z. B. der Chinesische Raupenpilz (Cordyceps –sinensis) dar.

Bei den chinesischen Nationalen Meisterschaften im Jahre 1993 stellten zwei bis dahin völlig unbekannte Athletinnen neue Weltbestleistungen über die Laufstrecken von 1500 m, 3000 m und 10.000 m auf. Ihr Trainer ließ verlautbaren, dass diese Erfolge auf die "revitalisierende" Kraft des Raupenpilzes zurückzuführen seien. Nachdem dann zunehmend über die positiven Wirkungen dieses Pilzes – auch bei erektiler Dysfunktion – berichtet wurde, hat das Interesse –enorm zugenommen. Im Jahr 2002 wurden in Bhutan schätzungsweise 2000 kg Raupen mitsamt Raupenpilz gesammelt. Ein Jahr später verdreifachte sich die Ernte, und der Preis stieg auf 7000 US $ pro kg, was etwa der Hälfte des Goldpreises entsprach (New –Scientist, 13.09.2005). Ökologen sehen den Ansturm auf den begehrten Pilz mit Sorge.

PDE-5-Hemmer gegen ED

Neben dem vorzeitigen Samenerguss (Ejaculatio prae–cox) ist die Potenz- oder Erektionsstörung (erektile Dysfunktion, ED) die zweithäufigste Sexualfunktionsstörung bei Männern.

Die Erektion beginnt im Kopf: Zunächst werden sexuell stimulierende Reize, die unterschiedlicher Natur sein können (etwa visuell, olfaktorisch oder taktil) im Gehirn verarbeitet und über das Rückenmark an die Erektionszentren im unteren Rückenmark weitergeleitet. Dies gibt dem Penisschwellkörper den Impuls, Stickstoffmonoxid (NO) zu bilden. NO bewirkt die Umwandlung von Guanosintriphosphat in zyklisches Guanosinmonophosphat (cGMP), das die glatte Gefäßmuskulatur erschlaffen lässt, sodass mehr Blut in den Schwellkörper einströmt: Es kommt zur Erektion.

Das cGMP wird durch die Phosphodiesterase Typ 5 (PDE-5) abgebaut und damit wirkungslos. Sildefanil (Viagra®) und verwandte Arzneistoffe sind PDE-5-Hemmer, erhöhen dadurch die cGMP-Konzentration und verstärken die Erektion. Der sexuelle "Primärreiz" muss allerdings vorher stattgefunden haben [10].

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