Arzneistoffporträt

Drug-Targeting von ätherischem Pfefferminzöl – Topische Behandlung des R

Etwa 10 bis 20 Prozent der europäischen Bevölkerung leidet am Reizdarmsyndrom. Es handelt sich um eine organisch unauffällige, nicht-entzündliche funktionelle Erkrankung des Darms, die mit Bauchschmerzen einhergeht. Die Symptomatik lässt sich durch Pfefferminzöl bessern, doch ist eine spezielle Formulierung erforderlich, damit das Pfefferminzöl an den Wirkort im distalen Dünndarm und Dickdarm gelangt.

Symptomatik des Reizdarmsyndroms

Patienten mit Reizdarmsyndrom leiden unter intermittierenden, diffusen Bauchschmerzen entlang des Dickdarms, vor allem im linken Unterbauch, und weisen Stuhlunregelmäßigkeiten auf. Sie haben zu häufige Stuhlgänge, Verstopfungen oder eine Mischform von beiden. Die Intensität und Lokalisation der Schmerzen sind wechselhaft. In der Nacht sind die Patienten häufig beschwerdefrei, und die Schmerzen treten meist erst nach der ersten Mahlzeit am Tag auf; nach dem Essen sind sie oft besonders stark. Blähungen, Windabgang und Aufstoßen können begleitend vorkommen. Der Abgang von Schleim im Stuhl ist eher selten.

Die Stuhlunregelmäßigkeiten sind in drei nahezu gleichermaßen vertretene Gruppen unterteilt:

  • Durchfall (31% der Patienten),
  • Verstopfung (21%) und
  • Durchfall im Wechsel mit Verstopfung (27%).

Nur 21 Prozent der Patienten haben einen normalen Stuhlgang. Vermehrte Stuhlentleerungen treten vor allem morgens nach dem Essen auf, zusammen mit starkem Stuhldrang. Die Patienten klagen oft über ein Gefühl einer unvollständigen Darmentleerung. Zu den genannten Symptomen können zusätzlich Sodbrennen, Übelkeit, Brechreiz, psychovegetative Beschwerden (Kopfschmerz, Globusgefühl und Herzbeschwerden) hinzukommen.

Ungefähr 70 Prozent der Patienten mit einem Reizdarmsyndrom haben leichte Beschwerden, die nur ab und zu vorkommen. 25 Prozent haben mittelstarke Symptome, die öfters auftreten und länger andauern. Fünf Prozent leiden ständig unter starken Beschwerden [3].

Diagnose

Das Reizdarmsyndrom wird in der Anamnese anhand der 1988 aufgestellten Rom-II-Kriterien diagnostiziert (s. Kasten). Die Diagnose erfasst den typischen Symptomenkomplex und schließt organisch fassbare Erkrankungen und Nahrungsmittelunverträglichkeiten aus.

Ein Reizdarmsyndrom liegt vor, wenn der Patient in den letzten zwölf Monaten abdominelle Schmerzen mit zwei oder drei bestimmten Symptomen (Verbesserung nach Stuhlgang, Veränderung der Stuhlfrequenz, Veränderung der Stuhlform) während mindestens zwölf Wochen hatte. Weitere Symptomen wie veränderte Stuhlpassage, Schleimabgang, Blähungen sichern die Diagnosestellung. Gewichtsverlust, Fieber, refraktärer Durchfall, gastrointestinale Blutungen oder Anämie sind Alarmsymptome, die auf organische Ursachen deuten und bei klassischen Reizdarmpatienten nicht auftreten. Zudem empfiehlt sich die rektale Austastung, um z.B. ein Rektumkarzinom nicht zu übersehen.

Eine häufig übersehene Differentialdiagnose ist die Lactoseintoleranz aufgrund eines Lactasemangels (s. u.), der mittels Atemtest oder (einfacher) durch Dokumentation des Blutzuckerverlaufs nach Lactosegabe nachgewiesen werden kann. Empfehlenswert ist ebenfalls die bakteriologische Untersuchung des Stuhls auf pathogene Erreger.

Pathogenese

Die Entstehung der typischen Beschwerden beim Reizdarmsyndrom ist nicht eindeutig bekannt. Es sind unterschiedliche Faktoren und Mechanismen in der Diskussion. Von zentraler Bedeutung dürfte das enterische Nervensystem (ENS) und seine Beziehung zum Zentralnervensystem (ZNS) sein. Als ENS wird das neuronale Netzwerk bezeichnet, das sich in den Wänden von Speiseröhre, Magen und Darm befindet und die Verdauungsabläufe halbautonom reguliert. Eine viszerale Überempfindlichkeit gilt als wichtiger Auslöser eines Reizdarmsyndroms. Auch Stress und psychische Faktoren spielen eine Rolle. Zudem sind die den Darm betreffende Wahrnehmung sowie psychosoziale Faktoren in Betracht zu ziehen.

Viszerale Überempfindlichkeit

Die Reizschwelle bei Patienten mit Reizdarmsyndrom ist erniedrigt. Bei ihnen führen bereits geringe Dehnungsreize im Darm zu Schmerzen, die von anderen Personen noch nicht als schmerzhaft empfunden werden. Diese Überempfindlichkeit hängt mit dem ENS zusammen und tritt unabhängig von abnormer Darmmotilität oder psychologischen Beeinträchtigungen auf. Sie kann auch den Magen und die Speiseröhre betreffen.

Die Entstehung des Reizdarmsyndroms wird heute auf einer neuronalen Gehirn-Darm-Achse gesucht. Entzündungen und Verletzungen können die Reizleitung in das ZNS verstärken. Auch nach Wegfall der Ursache kann ein entsprechendes Schmerzgedächtnis für Jahre zurückbleiben.

Das Schmerzempfinden und die Schmerzverarbeitung scheinen bei den Geschlechtern unterschiedlich zu sein. Frauen klagen häufiger über chronische viszerale oder muskulo-skeletale Schmerzen, vor allem im Abdomen oder im Beckenbereich. Die Menstruation führt oft zu einer Verschlechterung der Symptomatik. Die Diagnose Reizdarmsyndrom wird bei Frauen mit Dysmenorrhö dreimal häufiger gestellt als bei Frauen mit normaler Menstruation [20].

Stress, Depressionen, Angsterkrankungen

Stress, egal welcher Genese, kann ein Reizdarmsyndrom verschlimmern oder neuerlich auslösen. Bis zu 50 Prozent der Patienten zeigen psychopathologische Auffälligkeiten wie Depressionen und Angsterkrankungen. Umgekehrt können die Symptome des Reizdarmsyndroms Stress und Depressionen auslösen und verstärken, sodass es zu einem Teufelskreis für die betroffenen Patienten kommt [21, 22].

Nahrungsmittelunverträglichkeiten ausschließen

Auch die Ernährung und die individuelle Enzymausstattung eines Menschen können für krankhafte Symptome im Darm verantwortlich sein. Als Beispiel sei hier der Lactasemangel genannt, welcher ähnliche Beschwerden wie das Reizdarmsyndrom hervorrufen kann. Bei Personen mit Lactasemangel gelangt Lactose in den Dickdarm, wodurch es aufgrund einer erhöhten Osmolarität zu Diarrhö und aufgrund des bakteriellen Abbaus der Lactose zu Blähungen und krampfartigen Bauchschmerzen kommt.

Obwohl ein Patient sowohl an Lactasemangel als auch an Reizdarmsyndrom leiden kann, empfiehlt es sich, am Anfang der Diagnose eines Reizdarmsyndrom einen Lactasemangel sowie andere Nahrungsmittelunverträglichkeiten und -allergien auszuschließen.

Reizlinderung durch Pfefferminzöl

Pfefferminzöl ist ein ätherisches Öl mit ausgeprägter spasmolytischer und blähungstreibender Wirkung [8]. Die spasmolytische Wirkung beruht auf Menthol, dem Hauptbestandteil von Pfefferminzöl [9]. Sie wird durch eine Hemmung der spannungsabhängigen Calciumkanäle der glatten Muskelzellen und den dadurch reduzierten Calciumeinstrom in die Zellen erzielt. Auf diese Weise normalisiert Pfefferminzöl die Darmmotilität [10]. Zudem mildert Pfefferminzöl Blähungen [11], indem es Darmgasen das Entweichen ermöglicht [7].

Nach oraler Applikation wird Pfefferminzöl - wie ätherische Öle im Allgemeinen - im oberen Dünndarmabschnitt resorbiert und gelangt sehr rasch in den Blutkreislauf. Der daraus folgenden schnellen Wirkstoffanflutung begegnet der Körper mit einer ebenso schnellen Eliminierung des Wirkstoffs über die Niere [5]. Das eingenommene Menthol entfaltet seine Wirkung also nicht am gereizten Darm, sondern belastet auf systemische Weise den Organismus und kann zu entsprechenden unerwünschten Wirkungen führen.

Topische Anwendung in gereizten Darmabschnitten

Ein gezielter Transport des Pfefferminzöls zu den gereizten Darmabschnitten gelingt dagegen mit einem intelligenten Drug-Targeting. In dem Präparat Medacalm® ist das Pfefferminzöl in einer Oleo-Gel-Matrix innerhalb einer Kapsel gebunden. Die spezielle Beschichtung der Kapsel löst sich bei einem pH-Wert von > 6,8 auf; daher passiert die Kapsel nach oraler Applikation den Magen und den oberen Dünndarm unbeschadet und verliert erst im distalen Dünndarm und im Dickdarm ihre Beschichtung [6]. Die Oleo-Gel-Formulierung verzögert auch danach die Freisetzung des Pfefferminzöls im Darm (> 12 Stunden nach Einnahme) [6]. Auf diese Weise werden die systemische Resorption und die schnelle Ausscheidung des Pfefferminzöls weitgehend vermieden; stattdessen erfolgt eine gezielte, nahezu topische Anwendung im gereizten Darm.

Signifikante Besserung nach zwei Wochen

Bei Behandlung des Reizdarmsyndroms mit Pfefferminzöl tritt eine Besserung der Symptomatik in der Regel in den ersten zwei Behandlungswochen ein und stabilisiert sich anschließend. Die Stuhlkonsistenz bessert sich von wässrig zu weich oder normal, entsprechend nimmt die Stuhlfrequenz ab [7]. Bei den Patienten, die dreimal täglich eine Pfefferminzölkapsel (Medacalm®) erhielten, waren die Schmerzen nach drei Wochen signifikant vermindert (p = 0,03) [12].

Kaum Nebenwirkungen

Es wurden nur sehr wenige unerwünschte Arzneimittelreaktionen bei Behandlung mit Medacalm® berichtet [13]. Die bei Anwendung von anderen Pfefferminzöl-Formulierungen bekannten Nebenwirkungen im oberen Gastrointestinaltrakt (Aufstoßen, Säureregurgitation oder Sodbrennen) sowie Übelkeit traten kaum auf [7]. In seltenen Fällen klagten die behandelten Patienten über vorübergehende Hitze-Empfindungen und Brennen im After während der Defäkation [7].

Rom-II-Kriterien

Der Patient hatte während der letzten zwölf Monate mindestens zwölf Wochen lang abdominelle Schmerzen oder ein abdominelles Unwohlsein, das mindestens zwei der folgenden Symptome beinhaltet:

  • Erleichterung durch Defäkation
  • Änderung der Stuhlfrequenz
  • Änderung der Stuhlkonsistenz

Folgende Symptome erhärten die Diagnose:

  • Abnorme Stuhlpassage
  • Schleimabgang
  • Blähungen

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