Selbstmedikation

Hilfe beim quälenden Wechsel von Durchfall und Verstopfung

Krämpfe und wechselnde Symptome im Unterbauch kennzeichnen das Reizdarmsyndrom, an dem 10 bis 25% der Erwachsenen in Deutschland leiden. Frauen sind doppelt so häufig wie Männer betroffen, wobei 90% der Patienten unter 50 und jeder zweite sogar unter 35 Jahre alt ist. Die genaue Ursache ist nicht ausreichend bekannt, die Behandlung richtet sich individuell nach den Symptomen.

Da den Beschwerden keine erkennbare organische Ursache zugrunde liegt, spricht man von einer funktionellen Erkrankung des Gastrointestinaltraktes. Die Funktionsstörung ist zwar chronisch-rezidivierend, hat aber einen gutartigen Verlauf, so dass die Lebenserwartung nicht eingeschränkt wird. Auch wenn das Reizdarmsyndrom nicht lebensbedrohlich ist, empfinden die Betroffenen einen hohen Leidensdruck und fühlen sich in ihrer Lebensqualität stark beeinträchtigt. Die Betroffenen klagen über unspezifische Verdauungsstörungen, die sowohl den Dünn- als auch den Dickdarm betreffen. Die Symptome sind vielfältig und können wechseln. Sie sind zudem in Dauer und Intensität unterschiedlich ausgeprägt. Bauchschmerzen und Krämpfe werden meist von übermäßigen Blähungen und von Stuhlunregelmäßigkeiten begleitet. Dabei kann sowohl Durchfall als auch Verstopfung auftreten, häufig im Wechsel. Auch Schleimauflagerungen sind typisch. Bei einigen lassen die Beschwerden nach dem Toilettengang nach, andere haben das Gefühl einer unvollständigen Darmentleerung. Meist treten die Symptome besonders intensiv nach der Nahrungsaufnahme auf und viele verspüren eine Verstärkung bei Stress. Nachts sind die meisten beschwerdefrei.

Ausschlussdiagnose

Wichtig für die Diagnosestellung Reizdarmsyndrom ist der Ausschluss anderer Erkrankungen, die sich mit ähnlichen Symptomen äußern wie Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, Darmkrebs oder Magen-Darm-Infekte. So dürfen die Beschwerden beispielsweise nicht mit einem Gewichtsverlust oder mit Blutbeimengungen im Stuhl assoziiert sein. Zudem verlaufen die Schübe beim Reizdarm ohne entzündliche Veränderungen der Darmschleimhaut und Nahrungsmittelunverträglichkeiten sollten ausgeschlossen werden. Die Diagnostik umfasst eine Anamnese und eine ausführliche körperliche Untersuchung, die bildgebende Verfahren, Endoskopie und Labordiagnostik mit einschließt.

Ungeklärte Ursache

Die Entstehungsgeschichte des Reizdarmsyndroms ist nicht eindeutig geklärt. Man geht davon aus, dass es sich um ein multifaktorielles Geschehen handelt, wobei unterschiedliche Faktoren und Mechanismen diskutiert werden. Es wird vermutet, dass Stress und psychische Belastungen zwar die Beschwerden auslösen oder verschlimmern können, aber nicht verursachen. Neben einer genetischen Disposition, einer bakteriellen Fehlbesiedlung des Darms oder vorausgegangenen Entzündungen gibt es Hinweise auf eine Störung im enterischen Nervensystem, wobei Veränderungen des Serotoninstoffwechsels eine Rolle spielen.

Diagnosestellung

Das Reizdarmsyndrom wird anhand der 2006 aufgestellten Rom-III-Kriterien diagnostiziert. Die Diagnose berücksichtigt den typischen Symptomenkomplex und schließt organische Erkrankungen und Nahrungsunverträglichkeiten aus. Vom Reizdarmsyndrom spricht man, wenn wiederkehrende Bauchschmerzen oder Unbehagen im Bauch über mindestens drei Tage pro Monat während der letzten drei Monate auftraten und mindestens zwei der folgenden Kriterien zutreffen:

  • Beschwerden bessern sich nach dem Stuhlgang.
  • Beschwerden sind mit einer Änderung der Stuhlfrequenz verbunden.
  • Beschwerden gehen mit einer Änderung der Stuhlkonsistenz einher.

Die Kriterien müssen während der letzten drei Monate erfüllt worden sein, die Symptome müssen mindestens sechs Monate vor der Diagnose begonnen haben.

Enterisches Nervensystem

Das enterische Nervensystem (ENS) ist ein darmeigenes Nervensystem, das auch als Bauchhirn bezeichnet wird. Die über 100 Millionen in der Darmschleimhaut lokalisierten Nervenzellen sind für die Sekretion und Motorik des Magen-Darm-Traktes weitgehend autonom verantwortlich. Sie stehen zwar mit dem zentralen Nervensystem (ZNS) in ständiger Verbindung, doch funktioniert das Bauchhirn selbstständig und die Vorgänge des Verdauungssystems laufen normalerweise unbemerkt ab. Nur bei Störungen erhält das ZNS eine Rückmeldung. Daneben spielt das enterische Nervensystem eine wesentliche Rolle bei der Schmerzwahrnehmung von Dehnungsreizen im Gastrointestinaltrakt. Der Neurotransmitter Serotonin ist als wichtiger Botenstoff an der Steuerung der Verdauungsvorgänge und bei der Übertragung viszeraler Schmerzen beteiligt. Man vermutet, dass bei Reizdarmpatienten durch Störung des Serotoninstoffwechsels der sensorischen Neurone des enterischen Nervensystems eine verstärkte Schmerzperzeption aus dem Gastrointestinaltrakt vorliegt. Wahrscheinlich erfolgt eine übermäßige Serotoninausschüttung in den synaptischen Spalt der enterischen Neurone bei der Darmwanddehnung. Zudem scheint eine fehlerhafte Kommunikation zwischen ENS und ZNS sowie eine gestörte Schmerzperzeption im ZNS eine Rolle zu spielen. Bei den Betroffenen ist daher die Wahrnehmung normaler Verdauungsvorgänge schmerzhaft gesteigert. Im Vergleich zu Gesunden nehmen sie Dehnungen und Bewegungen des Darms intensiver wahr und reagieren besonders empfindlich auf die Aktivität der Darmmuskulatur. Da ihre Reizschwelle deutlich erniedrigt ist, lösen bei ihnen bereits geringe Dehnungsreize im Darm Schmerzen aus, die gesunde Personen nicht als schmerzhaft empfinden. Nicht nur abdominelle Schmerzen, auch Veränderungen der Stuhlkonsistenz und der Stuhlfrequenz sind die Folge.

Symptomorientierte Selbstmedikation

Im ersten Schritt sollten diätetische Maßnahmen zur Anwendung kommen, wobei kalorien-, volumen- und fettarme Mahlzeiten zu empfehlen sind. Außerdem ist es ratsam, individuell unverträgliche Speisen zu meiden und Stresssituationen zu reduzieren. Falls Entspannung und Ernährungsumstellung nicht ausreichen, kann eine symptomorientierte, zeitlich begrenzte Behandlung mit Medikamenten erfolgen. Das Spektrum der eingesetzten Arzneimittel ist ebenso groß wie die Symptomvielfalt. Je nachdem welches Beschwerdebild im Vordergrund steht, kommen Präparate gegen krampfartige Bauchschmerzen, Blähungen, Diarrhö oder Obstipation zum Einsatz. Anticholinergika mit dem Wirkstoff Butylscopolamin (z. B. Buscopan®) werden als Spasmolytikum bei krampfartigen Bauchschmerzen eingesetzt. Die Betroffenen sollten aber darauf hingewiesen werden, dass die Fahrtauglichkeit eingeschränkt sein kann, zudem sollten die Kontraindikationen wie Engwinkelglaukom oder Schwangerschaft bzw. Stillzeit abgeklärt werden. Alternativ können krampflösende ätherische Öle, wie beispielsweise in Anis, Fenchel, Kümmel, Pfefferminzblättern oder Kamillenblüten gegeben werden. Sie wirken gleichzeitig gärungswidrig sowie verdauungsfördernd und können als Tee oder in Fertigarzneimitteln zur Anwendung kommen. Es existieren Phytotherapeutika, welche ätherische Öle allein (z. B. Pfefferminzöl in Medacalm®) oder in Kombination (z. B. Kümmel- und Pfefferminzöl in Enteroplant® , Fenchel, Kümmelsamen, Pomeranzenschalen in Carminativum-Hetterich®) oder aber Auszüge aus Iberis amara und Angelikawurzel, Kamillenblüten, Kümmel- und Mariendistelfrüchte, Melissen- und Pfefferminzblätter, Schöllkraut, Süßholzwurzel (Iberogast®) enthalten. Gegen Blähungen können auch oberflächenaktive Substanzen wie Simeticon (z. B. Lefax®) oder Dimeticon (z. B. Sab Simplex®) Verwendung finden. Bei Verstopfung sollten vornehmlich osmotisch wirksame Laxanzien wie Lactulose (z. B. Bifiteral® Sirup) ausgewählt werden, die über eine Bindung von Wasser zur Erweichung und Vermehrung des Darminhaltes führen. Lactulose wird einschleichend dosiert bis die gewünschte Stuhlfrequenz erreicht ist. Eine Dauereinnahme ist möglich. Gegen Durchfall können Quellstoffe wie Flohsamenschalen (z. B. Mucofalk®) oder Apfelpektin (z. B. in Diarrhoesan®) zum Einsatz kommen. Sie wirken in Darm wasserbindend und führen so zu einer Konsistenzverbesserung des Stuhls und zu einer Verlängerung der Passagezeit. Antidiarrhoika wie Loperamid (z. B. Imodium® akut) hemmen über einen Angriff an periphere Opioidrezeptoren des Dünndarms die Peristaltik und können in der Selbstmedikation bei schweren Durchfällen für maximal 48 Stunden empfohlen werden.

 

Quelle

 Lennecke, K.: Selbstmedikation für die Kitteltasche, Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart (2007).

 Prof. Dr. med. Joachim F. Erckenbrecht, Düsseldorf; Dr. med. Astrid Blank, Kaiserslautern: Workshop "Reizdarmsyndrom", Hamburg, 18. Februar 2009, veranstaltet von der Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG, Ingelheim.

 

 


Apothekerin Gode Meyer-Chlond

 

 

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