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Sensation mit Folgen?

Still und leise hat das Kammergericht Berlin ein Urteil gesprochen, das die Debatte um den Versandhandel mit Arzneimitteln neu anheizen dürfte. Urteilstenor und Begründung der Entscheidung können ohne Übertreibung als sensationell bezeichnet werden: Nach Auffassung der Berliner Richter ist der grenzüberschreitende Versandhandel niederländischer Internet-Apotheken mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln nach Deutschland illegal. Die laxen und lückenhaften Versandhandelsregelungen unseres Nachbarn entsprechen nicht deutschen Sicherheitsstandards.

In ihrem ausführlichen Urteil machen sich die Berliner Richter die Mühe, das niederländische Versandhandelsrecht näher unter die Lupe zu nehmen (warum bedarf es dazu eigentlich erst eines Gerichtsurteils?). Mit viel Akribie weisen sie Schritt für Schritt nach, welch' gravierende Sicherheitslücken und Regelungsdefizite dort bestehen. Von Arzneimittelsicherheit und wirksamem Verbraucherschutz kann, so das kühle Resümee, bei der "Postorder-Pharmazie" à la Niederlande nicht gesprochen werden.

Eine Revision gegen ihr Urteil haben die Berliner Richter nicht zugelassen. Alle rechtlichen Fragen, so ihre knappe Anmerkung, seien nämlich spätestens mit dem DocMorris-Urteil des Europäischen Gerichtshofs hinreichend geklärt. Nunmehr hat Jack Vaterval, der DocMorris-Mitbegründer und Beklagte des Verfahrens, nur noch die Möglichkeit, eine so genannte Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen. Aber ob er das Berliner Urteil vom Bundesgerichtshof bestätigt wissen möchte?

Wir haben das Urteil des Kammergerichts für Sie auf Seite 92 zusammengefasst. Im Wortlaut steht ihnen die furiose Entscheidung, deren Auswirkungen beträchtlich sein dürften, im Internet bei unserer DAZonline zur Verfügung unter www.deutsche-apotheker-zeitung.de.

Ist es eine Ironie der Geschichte oder die (bewusste oder unbewusste) taktische Meisterleistung des verantwortlichen deutschen Gesetzgebers, dass es nunmehr gerade die vermeintlichen DocMorris & Co.-Verbündeten (Bundesregierung und Europäischer Gerichtshof) sind, die ausländischen Versandhändlern und Internet-Apotheken den Garaus machen könnten?

Entziehen das DocMorris-Urteil des Europäischen Gerichtshofs, das den nationalen Gesetzgebern einen weiten Spielraum bei der Regelung des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln einräumt, und das hohe Sicherheitsniveau der viel gescholtenen GMG-Regelungen des deutschen Gesetzgebers über das Ob und Wie des Versandhandels in Deutschland dem grenzüberschreitenden Versandhandel seinen rechtlich-ökonomischen Boden? Immerhin beziehen sich weit mehr als 2/3 des Versandhandels mit Arzneimitteln auf verschreibungspflichtige Medikamente (von denen wiederum ca. 80 Prozent nach Deutschland geliefert werden).

Wie wohl die Akteure und Betroffenen auf das Berliner Urteil reagieren werden? Beantragt jetzt DocMorris in Deutschland eine deutsche Versandhandelserlaubnis? Sie dürfte von der zuständigen (deutschen) Behörde nur dann erteilt werden, wenn beim Versender die Vorgaben des deutschen Arzneimittel-, Apotheken- und Verbraucherschutzrechts erfüllt sind. Und vor allem: Die Regelungen könnten von den Überwachungsbehörden dann auch effektiv überprüft werden.

In der Tat würde – auch preisrechtlich – ein Stück mehr Wettbewerbsgleichheit mit deutschen Anbietern erreicht. Und ohne Wenn und Aber wäre klargestellt, dass grenzüberschreitender Arzneimittelversand nicht im rechts- und überwachungsfreien Raum stattfindet.

Fest steht aber auch: Krankenkassen und andere Vertragspartner, die nach dem Berliner Urteil sehenden Auges weiterhin mit niederländischen Versandapotheken paktieren und für sie werben, verhalten sich ihrerseits illegal. Sie machen sich schadensersatzpflichtig und strafbar. Und strafbarer Arzneimittelhandel ist kein Kavaliersdelikt.

Man darf gespannt sein, wie staatliche Aufsichtbehörden, das Bundesversicherungsamt, Wettbewerbsvereine, Apothekerkammern und -vereine, ja gegebenenfalls auch Staatsanwaltschaften auf das Berliner Urteil reagieren werden. Die neue Spitze der ABDA (samt personalintensiver Rechtsabteilung) steht vor ihrer ersten großen Herausforderung. Insbesondere die Berliner Apothekerkammer und der Berliner Apothekerverein müssen jetzt nachhaltige Unterstützung aus der Jägerstraße erhalten, um mit Erfolg alle juristischen Hebel in Bewegung setzen zu können. Und die Politik sollte mehr denn je auf die Sicherheitsrisiken eines grenzüberschreitenden Arzneimittelhandels hingewiesen werden. Das Berliner Urteil bietet hierfür den notwendigen Fingerzeig.

Noch ist es merkwürdig still allenthalben. Aber vielleicht ist es ja die Ruhe vor dem Sturm.

Dr. Christian Rotta

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