DAZ aktuell

Meinung: Darf's ein bisschen Mehr(-besitz) sein?

Die altvertraute Frage beim Metzger um die Ecke gewinnt in diesen Tagen eine neue, gesundheitspolitische Bedeutung. Im Eckpunktepapier des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung zur Modernisierung des Gesundheitswesens heißt es unter dem mutigen Stichwort "Verbesserung der Arzneimittelversorgung" lapidar: "Aufhebung Mehrbesitzverbot bei gleichzeitiger Gewährleistung wohnortsnaher Versorgung (Liberalisierung des Apothekenrechts). Zulassung von Versandapotheken (E-Commerce - Liberalisierung der Vertriebswege)".

Die Botschaft ist überdeutlich: Das Ministerium beabsichtigt offenbar nicht mehr, Versandhandel für alle Apotheken in Deutschland unter Wahrung fairer Wettbewerbsbedingungen, wie von der Ministerin einmal versprochen, zuzulassen. Es will vielmehr á la Doc Morris eigenständige Versandapotheken "zulassen", die eigenständig neben Offizin-Apotheken und ohne selbst Offizin-Apotheken zu sein, einen Teil der ambulanten Arzneimittelversorgung übernehmen sollen.

Die angekündigte förmliche Zulassung von Versandapotheken deutet darauf hin, dass der Staat durch ein System der Lizenzierung - wie im Bereich der Telekommunikation - die Zahl der Versandapotheken strikt begrenzen und das knappe Gut an Lizenzen womöglich á la UMTS meistbietend versteigern könnte, wie dies dem Vernehmen nach ein finanzwissenschaftliches Gutachten vorgeschlagen haben soll. Wäre dem so, würde der Staat bei der Vergabe von Zulassungen oder Lizenzen Einnahmen erzielen, zugleich müssten die Versandapotheken durch flankierende Maßnahmen in den Stand versetzt werden, zunächst teuer bezahlte Lizenzen zu finanzieren und zugleich den Betrieb rentabel zu führen. Die Zusicherung der Politik, durch Krankenkassen solle weder Zwang noch Druck auf Patienten ausgeübt werden, Verschreibungen solchen Versandapotheken zuzuleiten, ist da zumindest erklärungsbedürftig.

Es liegt in der Logik solcher Überlegungen, dass dann auch ein Mehrbesitz an Apotheken unausweichlich ist, wenn die Zulassung von Versandapotheken zu Gunsten von Apothekern erfolgen soll, die bereits eine öffentliche Apotheke betreiben. Der beamtete Staatssekretär des Ministeriums Schröder versichert dem Vernehmen nach, es sei lediglich an Mehrbesitz, nicht aber an Fremdbesitz gedacht. Die parlamentarische Staatssekretärin des Ministeriums Caspers-Merk stellt auf einer Veranstaltung in Aussicht, die Regierung denke nicht an eine "große Filialisierung von Apotheken", es sollten maximal 5 Apotheken pro Apotheker erlaubt sein (vgl. DAZ 07/2003, S. 683).

Der liberale Gesundheitsökonom, Peter Oberender, hatte bereits 1997 vorgeschlagen, dem Apotheker - selbstverständlich nur einem Apotheker! - den Betrieb von 2, 3 oder auch 5 Apotheken zu gestatten. Die scheinbar ordoliberalen, "verführerischen Fanfarenklänge vom Bayreuther Festspielhügel", wie der Verfasser diesen Vorschlag seinerzeit apostrophiert hat, haben inzwischen - der "Fortschritt" ist eine Schnecke - das Ohr der Ministerin erreicht.

Glauben die Ministerin und ihre Berater, Versandapotheken mit der Eröffnung einer solchen ökonomischen Möglichkeit für viele Apotheker akzeptabel, ja geradezu attraktiv zu machen? Gegen solche Hoffnung steht die nüchterne Feststellung, dass ein exklusiver Mehrbesitz für bereits niedergelassene Apotheker mit der geradezu wohlwollend-mittelständisch anmutenden Begrenzung auf 5 Apotheken nur einen untauglichen Versuch darstellt, Verwirrung zu stiften und das eigentliche Ziel der rot-grünen Koalition zu kaschieren.

Als Ziel ihrer Politik haben der Bundeskanzler vor dem Bundestag im Dezember 2002, und die Ministerin in einem Interview mit der FAZ im Januar 2003 ausdrücklich den Mehrbesitz und den Fremdbesitz erklärt. Der Kanzler verkündete locker-flockig, wenn es Drogerieketten gäbe, müsse es auch Apothekenketten geben können und die Ministerin teilte in einem gewiss sorgfältig redigierten Text dem FAZ-Leser mit, warum sollten nicht Apotheker und Nicht-Apotheker jeweils mehrere Apotheken betreiben können. Beide Aussagen sind eindeutig, sie werden weder durch das Eckpunktepapier noch durch die Mitteilungen beamteter oder parlamentarischer Staatssekretäre relativiert oder aufgehoben. Dass jedoch Bundeskanzler und Ministerin einerseits und die Staatssekretäre der Ministerin andererseits zu ein und demselben Sachverhalt sich widersprüchlich äußern, bedarf der Erläuterung.

Seit geraumer Zeit ist es nicht etwa exklusives Herrschaftswissen oder Besserwissen von Juristen, sondern in den Berufsorganisationen der Apotheker einhellige Überzeugung, dass es einen noch so streng limitierten Mehrbesitz unter striktem Ausschluss von Fremdbesitz von Rechts wegen nicht geben kann. Das freiberufliche Prinzip des "Apothekers in seiner Apotheke" mag politisch umstritten, inzwischen auch rechtlich angegriffen sein, es ist jedenfalls ein konsequentes Prinzip und geltendes Recht.

Bereits die Legalisierung einer zweiten Apotheke für einen approbierten Apothekeninhaber gibt dieses Prinzip auf und unterstellt jedes berufliche oder ökonomische Engagement für eine zweite oder jede weitere Apotheke uneingeschränkt dem Grundsatz der Berufsfreiheit nach Art. 12 des Grundgesetzes. Es gibt dann keinen sachlichen, verfassungsrechtlich legitimen Grund, ein solches Engagement á la Oberender auf 2, 3 oder 5 Apotheken beschränken und Fremdbesitz ausschließen zu wollen. Eben dies haben die Apotheker in den Niederlanden geglaubt und praktiziert. Dieser scheinbare Königsweg hat in der juristischen Sackgasse geendet. Inzwischen kann jedermann in den Niederlanden Apotheken gründen und betreiben.

Man mag kaum glauben, dass der Ministerin und ihren Staatssekretären diese rechtlichen Erkenntnisse und praktischen Erfahrungen etwa nicht vermittelt worden sind. Oder ist es so, dass Juristen im Gesundheitsministerium nicht gehört werden oder nicht mehr ihre Rechtsauffassung mitteilen dürfen, etwa nach dem allzu gern praktizierten Missverständnis, juristische Maßstäbe und Einsichten seien lediglich Ausfluss des gesunden Menschenverstandes und stünden somit jedem zur Verfügung, welcher Fakultät und welcher Profession oder Position er auch immer sei?

Weil man das alles nicht glauben will, weil man in früheren Jahren mit Ministerien und Ministerialbeamten ganz andere positive berufliche Erfahrung gemacht hat, drängt sich ein Verdacht auf: Das Reden des Ministeriums vom apothekergeneigten Mehrbesitz ohne große Ketten und erst recht ohne schnöden Fremdbesitz könnte ein taktisches Spiel sein, in dem Apothekern und Apothekerorganisationen die fatale Rolle zufallen soll, über Fremdbesitz zu reden und reden zu müssen, wo doch ein wohlwollendes Ministerium die Apotheker eben hiervon bewahren will. Das wäre ein übles Spiel, das man der Politik nicht durchgehen lassen sollte.

Wer immer noch geneigt sein mag, Staatssekretären und gedruckten Eckdaten des Ministeriums zu glauben, weil sie den Eindruck erwecken, Apotheker würden vor schrankenlosem Mehrbesitz und rüdem Fremdbesitz bewahrt, sollte aufwachen. Im Laufe des Jahres 2003 wird sich mutmaßlich entscheiden, ob der Gesetzgeber das bisherige Apothekensystem beibehält oder schrankenlosen Fremd- und Mehrbesitz zulässt. Wer den Apothekern ein bisschen Mehrbesitz in Aussicht stellt, praktiziert grobe Irreführung am Rande des groben Unfugs.

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