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Apothekerforum Baden-Württemberg: Weg mit dem Beitragssatzsicherungsgesetz

STUTTGART (hel). "Rot-grün gefährdet die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung Ų das Beitragssatzsicherungsgesetz (BSSichG) muss zurückgenommen werden", diese Forderung stellten die rund 200 Teilnehmer des Apothekerforums Baden-Wüttemberg in einer Resolution am 22. März in Stuttgart und diskutierten über die Erfolgsaussichten der Klage gegen dieses Gesetz beim Bundesverfassungsgericht.

Mit dem BSSichG wollen die gesetzlichen Krankenkassen (GKV) im Arzneimittelbereich bekanntlich 1,42 Mrd. Euro einsparen. Erzielt werden sollten diese Einsparungen durch Abschöpfung von Rabatten bei Pharmaindustrie, Großhandel und Apotheken. Das Gesetz sollte den Großhandel mit rund 600 Mio. Euro und die Apotheken mit rund 400 Mio. Euro belasten. Doch die Realität sieht anders aus: Der Großhandel gibt die Rabatte zum größten Teil an die Apotheken weiter, und jede Apotheke wird im Schnitt mit 45 300 Euro belastet.

Hoffnung auf Rücknahme des Großhandelsrabatts

Dr. Günther Hanke, der Präsident der Landesapothekerkammer (LAK) Baden-Württemberg, und Fritz Becker, Präsident des Landesapothekerverbandes (LAV), berichteten über den parlamentarischen Abend am 18. März und über den außerordentlichen Apothekertag, der am 19. März in Berlin stattfand (wir berichteten ausführlich in unserer Montagsausgabe AZ vom 22. März 2003). Peter Ditzel, Chefredakteur der Deutschen Apotheker Zeitung, moderierte die Veranstaltung.

Mit scharfen Worten kritisierten Referenten und Teilnehmer das Beitragssatzsicherungsgesetz. Politik und Krankenkassen betrachten die Apotheken als "Selbstbedienungsladen, um die kranken Kassen zu sanieren", monierte Hanke. Er wies den Vorwurf des "Lobbygeschreis" zurück und verwies auf die Zahlen und Fakten, die trotz anderslautender Behauptungen im Ministerium bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes bekannt waren. So sei Ulla Schmidt das Ausmaß der Belastungen, die die Apotheken treffen würden, bewusst gewesen. Deshalb forderte Hanke die Teilnehmer auf, jetzt die Politiker vor Ort anzusprechen: "Zeigen Sie konkret, wie stark betroffen Sie sind."

Fritz Becker klagte über "beratungsresistente Politiker", die den Apothekern "getürkte Zahlen" vorwürfen. Becker rief zu einer "knallharten Lobbyarbeit" auf: "Nutzen Sie Ihre Chancen bei den Politikern vor Ort." Die Politiker müssten permanent "mit Zahlen gefüttert werden." Diese Zahlen müssten stimmen und echt sein, nur so könne man langfristig Vertrauen schaffen. Bis jetzt hat Baden-Württemberg bereits die Januarzahlen geliefert, die Rechenzentren anderer Bundesländer haben diese Daten noch nicht zur Verfügung gestellt.

Becker sprach von einem "hausgemachten Ausgabenanstieg" der Krankenkassen und verwies auf Einsparpotenziale, beispielsweise bei der Zuzahlung. So seien heute etwa die Hälfte aller Rezepte von der Zuzahlung befreit. Der Rohertrag aller Apotheken betrug im Jahr 2002 rund 4 Mrd. Euro, die Gesamtausgaben der GKV lagen 2002 bei 142,6 Mrd. Euro. Damit haben die Apotheken einen Anteil von 2,8% an den Gesamtausgaben. "Wie man bei 2,8% der Gesamtausgaben das Gesundheitswesen retten kann, ist mir schleierhaft", so Becker, "die Apotheken können nicht die Heilsbringer für das Gesundheitswesen sein."

Die wirtschaftliche Basis der Apotheker müsse stimmen, damit die Leistungen erbracht werden können. Wenn diese Leistungen nicht mehr erwünscht seien, solle die Politik ehrlich sagen, dass sie die Apotheken abschaffen wolle, meinte Becker. Ansonsten müssten die Apotheker eine "faire Basis" erhalten "es muss sich wirtschaftlich wieder lohnen." Als wichtigste Forderung nannte Becker die Abschaffung des Artikels 11 des BSSichG, des Großhandelsrabattes: "Wenn wir mit den bisherigen Änderungen weiterleben müssen, wird es zu einem Apothekensterben kommen. Es ist 5 nach 12, und die Uhr läuft weiter gegen uns."

Mit dem Grundgesetz vereinbar?

Ina Hofferberth, Geschäftsführerin des LAV Baden-Württemberg und Uwe Kriessler, Leiter Administration und Recht der LAK, gingen auf die rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit dem umstrittenen Beitragssatzsicherungsgesetz ein. Im Oktober hatte die ABDA bei den Professoren Zuck und Schnapp ein Gutachten in Auftrag gegeben, das sich mit der Verfassungsmäßigkeit des Beitragssatzsicherungsgesetzes beschäftigt. Anfang November wurden alle Apotheken aufgerufen, sich an einer Verfassungsbeschwerde zu beteiligen.

Am 23. Dezember reichten über 4000 Apotheker einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ein, die das Inkrafttreten des Gesetzes verhindern und einen vorläufigen Rechtsschutz gewährleisten sollte. Diese einstweilige Anordnung wurde am 22. Januar 2003 vom Bundesverfassungsgericht mit der Begründung abgelehnt, der mögliche Schaden für die GKV sei größer als der für die Apotheker.

Im März 2003 reichten die Apotheker eine endgültige Verfassungsbeschwerde ein. Hier wird die Vereinbarkeit von Bundesrecht mit dem Grundgesetz überprüft. An dieser Verfassungsbeschwerde beteiligt sich mit 4000 Apotheken eine ganze Branche, die zudem jetzt auch mit echten Betriebskennzahlen statt nur mit Prognosen argumentieren kann: Die Vernichtung vieler Apotheken droht, da die gesetzlichen Eingriffe existenzgefährdend sind.

Hofferberth sagte, mit den neuen Zahlen werde der Nachweis erbracht, dass die wirtschaftliche Existenz der Apotheken in ihrer Gesamtheit gefährdet sei, und damit auch die ihnen auferlegte Aufgabe, die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sicherzustellen.

Hofferberth erklärte, in welchen Punkten das Gesetz die Grundrechte verletzt. Diese Grundrechtverletzungen seien nicht durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt:

  • So ist eine Sonderabgabe nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig, und die sind hier nicht erfüllt.
  • Das Gesetz greift in die Berufsfreiheit ein, die den Erwerb und die Betätigung an sich schützt.
  • Das Gesetz greift in die Eigentumsgarantie ein, die das Erworbene und das Ergebnis der Betätigung schützen soll. Da viele Apotheken jetzt keinen Geschäftswert mehr haben, der vor allem als Alterssicherung der Inhaber dienen sollte, ist dieser Grundsatz verletzt.
  • Das Gesetz greift in einen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ein.
  • Außerdem wird der Gleichheitsgrundsatz verletzt: Eine einzelne Berufsgruppe muss den größten Teil des GKV-Finanzdefizits aufbringen, obwohl sie nicht dafür verantwortlich ist. Damit fehlt die Ausgewogenheit.
  • Der Artikel 11 des BSSichG, der den Großhandelsabschlag betrifft, ist zwar nicht direkt gegen die Apotheker gerichtet, wirkt sich aber gegen diese aus. Hier ist ein faktischer Grundrechtseingriff (Art. 12 und 14 GG) gegeben. Der Großhandelsabschlag ist ein ungeeignetes und untaugliches Mittel, das zwar den Großhandel belasten soll, tatsächlich aber die Apotheken belastet, da ein Weitergabeverbot fehlt.
  • Die Einziehung verschiedener Rabatte, wie sie § 130 a SBG V (Herstellerabschlag) fordert, stellt eine verfassungswidrige Indienstnahme Privater zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben dar.

Eine Frage der Zustimmungspflicht

Außerdem haben die Länder Baden-Württemberg, Saarland und Sachsen-Anhalt Normenkontrollanträge eingereicht. Inhaltliche Schwerpunkte dieser Anträge sind formale Fragen, vor allem die nach der Zustimmungspflichtigkeit des Gesetzes. Nach Meinung der Bundesländer hat die Landesregierung das Gesetz ohne die erforderliche Zustimmung des Bundesrats erlassen. Der Bund habe für den erhöhten Apothekenabschlag keine Gesetzgebungskompetenz besessen. Die Aufspaltung in einen zustimmungspflichtigen und zustimmungsfreien Teil sei willkürlich gewesen, und damit sei die Zustimmungspflicht des Bundesrates verletzt worden, so die Länder.

Außerdem enthält das BSSichG Abschlagsregelungen für Arzneimittelpreise. Da 80% der Arzneimittel zu Lasten der GKV verordnet werden, ist damit die Mehrzahl der Arzneimittel und damit der Regelungstatbestand der Arzneimittelpreisverordnung (AMpreisV) betroffen. Eine mittelbare Änderung der zustimmungspflichtigen AMpreisV ist aber zustimmungsbedürftig.

Nachbesserung ist denkbar

Wenn die Verfassungswidrigkeit des BSSichG festgestellt würde, gäbe es zwei Möglichkeiten: Das Gesetz kann entweder für nichtig erklärt oder an den Gesetzgeber zur Nachbesserung verwiesen werden. Für den Fall der Rückabwicklung des Gesetzes sollten alle Apotheken und Rechenzentren derzeit Zahlungen an die GKV nur unter Vorbehalt leisten.

Hofferberth machte den Apothekern keine übertriebenen Hoffnungen: Die Klagen könnten zwar erfolgsträchtig sein, doch wahrscheinlich könne mit einer Entscheidung frühestens zum Jahresende gerechnet werden, so Hofferberth.

Resolution des Apothekerforums Baden-Württemberg

Rot-Grün gefährdet Arzneimittelversorgung der Bevölkerung – das Beitragssatzsicherungsgesetz muss zurückgenommen werden.

Das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Beitragssatzsicherungsgesetz sieht durch Einführung von Sonderrabatten eine Belastung der Pharmabranche in Höhe von 1,37 Mrd. Euro vor. Die Pharmaindustrie soll davon 420 Mio. Euro tragen (§ 130a BSSichG), der pharmazeutische Großhandel 600 Mio. Euro (Art. 11 BSSichG) sowie die Apotheken 350 Mio. Euro (§ 130 BSSichG).

Ab 1. Januar 2003 sind die bereits in der politischen Auseinandersetzung um das BSSichG vorab von den Apothekern vorgebrachten Befürchtungen bittere Realität geworden. Der pharmazeutische Großhandel reicht den auf ihn entfallenden Rabatt an die Apotheken weiter. Damit haben die Apotheken nicht, wie im Gesetz vorgesehen, 350 Mio. Euro zu tragen, sondern mindestens 900 Mio. Euro! Dadurch sind Hunderte von Apotheken in ganz Baden-Württemberg in ihrer Existenz bedroht. Viele familienfreundliche Arbeitsplätze, auch in strukturschwachen Gebieten, sind gefährdet. Eine solche existenzgefährdende Belastung der Apotheken ist in keiner Weise begründbar und gerechtfertigt.

Das Apothekerforum fordert daher den Gesetzgeber auf, umgehend die aus dem BSSichG resultierende Überlast für die Apotheken zurückzunehmen.

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