DAZ aktuell

Beitragssatzsicherungsgesetz verabschiedet: Tiefe Einschnitte bei den Apotheken

STUTTGART (bra). Am Freitag, den 15. November 2002, hat der Bundestag in zweiter und dritter Lesung das Beitragssatzsicherungsgesetz verabschiedet. Trotz einiger marginaler Änderung in den Formulierungen wird sich im Gefolge der Neuregelung der Ertrag der öffentlichen Apotheken halbieren. Der bis 2001 noch 5-prozentige gesetzliche Abschlag ("Kassenzwangsrabatt"), den die Apotheken den gesetzlichen Krankenkassen zu gewähren haben, wird ab 2003 faktisch mehr als doppelt so hoch sein. Dabei ist unterstellt, dass der Großhandel den ihm gesetzlich auferlegten Rabatt zugunsten der GKV (über 600 Mio. Euro) weitgehend über Kürzungen des freiwilligen Rabattes kompensiert, den er Ų Ausdruck des Wettbewerbs zwischen den Großhandlungen Ų den Apotheken bislang gewährt.

Der Apothekerverband Nordrhein hat durch seinen Geschäftsführer Dipl. Math. Uwe Hüsgen analysiert, wie sich das nach Auffassung der Regierungskoalition im Bundesrat nicht zustimmungspflichtige Beitragssatzsicherungsgesetz (BSSichG) auf die Apotheken auswirken wird.

Ausgehend von der betriebswirtschaftlichen Situation im Jahre 2001 (siehe Kasten 1) erhöht sich der bis Anfang 2002 noch bei 5 % und derzeit bei 6 % liegende Zwangsrabatt der Apotheken zugunsten der GKV ab 2003 durch die neue Rabattstaffelung (siehe Kasten 2) nach Hüsgens Berechnungen im Mittel um 2,2 %-Punkte auf 8,2 % (siehe Kasten 3). Daraus ergibt sich für die Apotheken gegenüber dem Ausgangsjahr 2001 ein zusätzlicher Rohertragsverlust von rund 690 Mio. Euro (800 Mio. Euro [23,1 ./. 22,3], abzüglich der anteiligen Mehrwertsteuer).

Berücksichtigt man, dass 210 Mio. Euro (ein Prozent von 24,3 Mrd. Euro, also 243 Mio. Euro, abzüglich der MwSt.) dieses Rohertragsverlustes bereits durch die Erhöhung des Abschlages von 5 % auf 6 % zu Beginn des Jahres 2002 anfiel, so ergibt sich: Die Apotheken werden durch die Rabattstaffelung nach § 130 SGB V ab 2003 einen Rohertragsverlust von zusätzlich rund 480 Mio. Euro erleiden (690 ./. 210).

Die von der Politik angegebene Belastung der Apotheken um 350 Mio. Euro ist also geschönt – auch schon ohne zu berücksichtigen, dass der Großhandel den ihm oktroyierten Rabatt zugunsten der GKV mehr oder weniger vollständig auf die Apotheken abwälzen wird.

Auswirkungen des Großhandelsrabatts zugunsten der GKV

Gemäß Artikel 11 BSSichG hat der pharmazeutische Großhandel den Krankenkassen auf verschreibungspflichtige und zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnungsfähige (= erstattungsfähige) Arzneimittel auf den Apothekenabgabepreis (also den zivilrechtlichen Kaufpreis) 3 % Rabatt zu gewähren (Volumen nach Auffassung der Koalition: 600 Millionen Euro). Die Apotheken haben diese Zahlungen als "Inkassostelle" von den Großhandlungen einzuziehen und an die Krankenkassen weiterzuleiten.

Da der Arzneiverordnungs-Report 2002 (AVR) keine verlässlichen Daten zu den GKV-Ausgaben für verschreibungspflichtige, verordnungsfähige Arzneimittel hergibt, die Daten der ABDA jedoch in den vergleichbaren Segmenten mit denen des AVR übereinstimmen, wird nachfolgend (wieder) auf ABDA-Daten für das Jahr 2001 zurückgegriffen (siehe Kasten 4).

Die durchschnittliche Rendite des pharmazeutischen Großhandels, bezogen auf sein Deutschlandgeschäft mit öffentlichen Apotheken, oszilliert um ein Prozent des Umsatzes. Die von der DAZ (DAZ 2002, Nr. 42, S. 52) und der ABDA genannte Zahl von 250 Mio. Euro für die Gesamtrendite des deutschen pharmazeutischen Großhandels ist daher stimmig.

Dass der Großhandel den ihm von der Politik zugedachten Rabatt (nach Schätzung der Politik 600 Mio. Euro, eher aber 705 Mio. Euro) selbst allein zu schultern versuchen könnte, ist nicht mehr als ein frommer Wunsch. Er würde massiv in die roten Zahlen rutschen (250 Mio. Ertrag bisher, abzüglich 705 Mio. Rabatt des Großhandels zugunsten der GKV, ergibt ein Minus von 455 Mio.). Schon mit Blick auf seine Shareholder wird er alle Hebel in Bewegung setzen, um eine Verschlechterung seiner ohnehin mageren Umsatzrendite in Höhe von 1 % zu verhindern.

Er wird die ihm zugedachte Belastung also weiterreichen. Dass er sich dazu des Rabattes erinnert, den er den Apotheken freiwillig – genauer: aus Wettbewerbsgründen – bislang gewährt, liegt auf der Hand. Er wird diesen Rabatt so kürzen, dass er sich unter dem Strich schadlos hält – immer die drohende Alternative vor Augen: ohne Kürzung gäbe es rote Zahlen und letztlich nur noch das Ausscheiden aus dem Markt.

Folgen für die Apotheken

Die durch das BSSichG zu tragende Gesamtbelastung der Apotheken geht also über die Erhöhung des von den Apotheken direkt zu schulternden erhöhten Kassenabschlages nach § 130 SGB V auf durchschnittlich 8,2 % hinaus. Hinzu kommt die Abwälzung des eigentlich dem Großhandel zugeordneten Kassenabschlag in Höhe von 3 % der Apothekenabgabepreise aller Arzneimittel, die verschreibungspflichtig und zugleich GKV-erstattungsfähig sind. Beide Belastungen addieren sich auf einen Abschlag zugunsten der GKV in Höhe von über 11 % des GKV-Umsatzes.

Der zu versteuernde Gewinn der Durchschnittsapotheke würde sich dadurch – von 7,8 % des Umsatzes im Jahre 2001 – auf ca. 3,9 % (!) des Umsatzes halbieren. Dabei ist die durch den Gesundheitsausschuss leicht modifizierte Rabattstaffelung (siehe Kasten 2) bereits berücksichtigt.

Die mit dem Vorschaltgesetz verbundenen Belastungen der Apotheken würden, wenn das Gesetz so, wie bisher beschlossen, in Kraft tritt, nach Einschätzung des Apothekerverbandes Nordrhein etliche Apotheken in den finanziellen Ruin treiben – kleine, aber genauso auch große Apotheken, die investiert haben und natürlich in ihrer Planung nicht erwarten konnten, durch einen Eingriff des Gesetzgebers die Hälfte ihres Ertrages zu verlieren.

Nach Ansicht des Apothekerverbandes Nordrhein ist es deshalb nötig, den politischen Prozess weiter mit gezielten Aktionen zu begleiten, um auf die gravierenden Folgen für die öffentlichen Apotheken, auf die Mitarbeiter und nicht zuletzt auf die ebenso gravierende Gefährdung der – bisher noch ordnungsgemäßen – Arzneimittelversorgung der Bevölkerung hinzuweisen.

Kasten 1.: Betriebwirtschaftliche Situation der öffentlichen Apotheken 2001

Auf Grundlage der Datenbasis von Stat. Bundesamt, Institut für Handelsforschung, BMA/BMG u.a. gilt [s. auch: Die Apotheke: Zahlen Daten Fakten 2001; ABDA] für einen Apothekengesamtumsatz (GKV, PKV und sonstige Umsätze) von 100 Einheiten:

Gesamtumsatz der öffentlichen Apotheken (mit MwSt.) = 100,0% ./. Mehrwertsteuer (16 von 116 = 13,8) = 13,8 % = Nettoumsatz = 86,2 % ./. Wareneinsatz (= Einkauf + Lageranfangsbestand ./. Lagerendbestand) = *59,5 % = Rohertrag (= Betriebshandelsspanne = Wertschöpfung) = 26,7 % ./. steuerlich abzugsfähige Kosten (Personal-, Raumkosten etc.) = 18,9 % = Steuerliches Betriebsergebnis (= zu versteuernder Gewinn inkl. Kapitalverzinsung, Betriebwirtschaftlichem Gewinn [1,4 %; im Kern, wenngleich nicht der Höhe nach vergleichbar mit der Umsatzrendite von Kapitalgesellschaften], Honorierung der Arbeitsleistung des Apothekenleiters in seinem Betrieb etc.) = 7,8 %

*Im Wareneinsatz von 59,5% sind alle Rabatte, Boni, Skonti bereits berücksichtigt, die den Apotheken vom Großhandel oder beim Direkteinkauf gewährt werden.

Kasten 2.: Neuer Abschlag (Rabattstaffelung) nach § 130 Abs. 1 SGB V

"Die Krankenkassen erhalten von den Apotheken auf den für den Versicherten maßgeblichen Arzneimittelabgabepreis einen Abschlag. Der Abschlag beträgt bei einem Arzneimittelabgabepreis

von bis zu 52,46 Euro: 6,0 vom Hundert, von 54,81 Euro bis 820,22: 10,0 vom Hundert, von über 820,22 Euro: 82,02 Euro plus 6% vom Hundert des Differenzbetrages zwischen 820,22 Euro und dem für den Versicherten maßgeblichen Arzneimittelabgabepreis.

Der mit der Krankenkasse abzurechnende Betrag beträgt bei einem Arzneimittelabgabepreis von 52,47 Euro bis 54,80: 49,32 Euro

Kasten 3.: Auswirkungen der neuen Rabattstaffelung auf die Apotheken

Nach Auswertung des Rechenzentrums ARZ erhöht sich auf der Basis der Daten von September 2002 der an die Krankenkassen zu entrichtende Rabatt gemäß neuer Rabattstaffel für Apotheken (BSSichG Artikel 1, Nr. 7) von derzeit 6% um durchschnittlich 2,2% auf 8,2%.

GKV-Ausgaben für Fertigarzneimittel 2001: 21,3 Mrd. Euro Zuzahlung der Versicherten bei Fertigarzneimitteln: 1,8 Mrd. Euro = GKV-Umsatz mit Fertigarzneimitteln (nach Abzug des 5%igen Rabatts, inkl. Patientenzuzahlung): 23,1 Mrd. Euro GKV-Umsatz mit Fertigarzneimitteln (vor Abzug des 5%igen Rabatts, inkl. Patientenzuzahlung): 24,3 Mrd. Euro

Zwischenrechnung: 23,1 : 0,95 = 24,3 Probe: 5 Prozent von 24,3 = 1,2 und 24,3 ./. 1,2 = 23,1

GKV-Umsatz mit Fertigarzneimitteln: 22,3 Mrd. Euro (nach Abzug des neuen Rabatts [von 6% + 2,2% = 8,2%], inkl. Patientenzuzahlung)

Zwischenrechnung: 24,3 x (100 ./. 8,2) = 22,3

Quelle: Arzneiverordnungsreport 2002 und eigene Berechnungen

Kasten 4.: Der neue Rabatt, den der Großhandel der GKV gewähren muss

Verschreibungspflichtige Arzneimittel (ohne Mehrwertsteuer): 20,3 Mrd. Euro (69,5%) Verschreibungspflichtige Arzneimittel (mit Mehrwertsteuer): 23,5 Mrd. Euro Rabatt des Großhandels (3% auf alle verschreibungspflichtigen und zu Lasten der GKV erstattungsfähigen Arzneimittel, orientiert am Apothekenabgabepreis): 0,705 Mrd. Euro

Am Freitag, den 15. November 2002, hat der Bundestag in zweiter und dritter Lesung das Beitragssatzsicherungsgesetz verabschiedet. Trotz einiger marginaler Änderungen in den Formulierungen wird sich im Gefolge der Neuregelung der Ertrag der öffentlichen Apotheken halbieren. Der bis 2001 noch 5-prozentige gesetzliche Abschlag ("Kassenzwangsrabatt"), den die Apotheken den gesetzlichen Krankenkassen zu gewähren haben, wird ab 2003 faktisch mehr als doppelt so hoch sein. Dabei ist unterstellt, dass der Großhandel den ihm gesetzlich auferlegten Rabatt zugunsten der GKV (über 600 Mio. Euro) weitgehend über Kürzungen des freiwilligen Rabattes kompensiert, den er – Ausdruck des Wettbewerbs zwischen den Großhandlungen – den Apotheken bislang gewährt.

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