Feuilleton

Ausstellung: Carl Spitzweg – der malende Apotheker

Bis zum 10. November zeigt das Museum Georg Schäfer in Schweinfurt eine Sonderausstellung über Carl Spitzweg, den wohl bekanntesten Maler, der vor seiner künstlerischen Laufbahn als Apotheker tätig gewesen war. Die knapp 300 Exponate stammen alle aus dem Bestand des Museums und werden großenteils zum ersten Mal öffentlich gezeigt. Sie sind auch in einem umfassenden Katalog, der zu dieser Ausstellung erschienen ist, abgebildet und erläutert.

Vom Hobby zum Beruf

Zu Lebzeiten war Spitzweg zwar als Maler anerkannt und erfolgreich, aber keineswegs berühmt. Er selbst hatte sich auch eher als durchschnittlichen Künstler eingeschätzt, zumal er keine klassische Ausbildung an einer Malerakademie erhalten hatte; er war schlicht ein Autodidakt und hatte allenfalls durch freundschaftliche Beziehungen zu anderen Malern fachliche Anregungen erhalten.

Dass Spitzweg es dennoch gewagt hat, sein Hobby zum Beruf zu machen, ist weder dem Glauben an seine künstlerische Berufung noch einem Mäzen zu verdanken, sondern der Tatsache, dass er 1833 durch eine Erbschaft relativ vermögend und finanziell unabhängig geworden war. Der persönliche Glücksfall erwies sich schließlich auch als ein Glücksfall für die Kunst.

Doch zurück zu den Anfängen: 1808 in München geboren, beendet Spitzweg im Alter von 20 Jahren in der dortigen Hof-Apotheke seine praktische Ausbildung und weitere vier Jahre später sein Studium – "mit Auszeichnung". Darauf leitet er als Provisor eine Münchner Apotheke, und sein weiterer Berufsweg scheint ihm vorgezeichnet. Doch als er im nächsten Jahr zunächst das Erbe antritt und darauf eine schwere Krankheit durchmacht, beschließt er, den Apothekerberuf aufzugeben, um sich hinfort ganz der Malerei zu widmen. Er unternimmt zahlreiche Reisen, auf denen er sich neue Inspirationen holt. Ansonsten lebt er in eher bescheidenen Verhältnissen in München. Seine Schaffenskraft bleibt ihm bis an sein Lebensende erhalten.

1837 entsteht "Der arme Poet", zwei Jahre später fällt dieses heute so populäre, auf unzähligen Postern reproduzierte und in Studentenbuden an der Wand hängende Bild in der Ausstellung des Münchner Kunstvereins durch. Doch Spitzweg lässt sich nicht entmutigen, er ist ja unabhängig. Er gewinnt eine Art Kundenkreis, ohne dass er auf Auftragsarbeiten angewiesen ist. Die Sujets seiner Bilder wählt er sich selbst, und manche fesseln ihn so sehr, dass er sie mehrmals bearbeitet – der Vergleich der einander so ähnlichen Originalwerke untereinander und mit Fälschungen, von denen es auch nicht wenige gibt, ist für Kunsthistoriker eine reizvolle Aufgabe.

Sonderlinge – vom Bücherwurm bis zum Chemikus

Um 1850 malt Spitzweg so bekannte Meisterwerke wie "Der Bücherwurm", "Der Kaktusliebhaber", "Der abgefangene Liebesbrief", "Der strickende Wachposten" und auch "Der Alchimist"; eine zweite Fassung dieses letzteren Bildes ist unter dem Titel "Der Chemikus" inventarisiert, während zwei weitere Fassungen im Besitz der Sammlung Georg Schäfer heute als Fälschungen gelten. Dieses gerade bei Apothekern so beliebte Thema ist eine Parabel auf das Spannungsverhältnis zwischen Mensch und Technik:

Der Chemiker – es könnte ja auch ein Apotheker sein – schaut ängstlich-hoffnungsvoll auf einen Destillationsprozess, den er in Gang gesetzt hat und natürlich glücklich zu Ende führen möchte; die kritische Stelle, auf die sich sein Blick richtet, ist die Verbindungsstelle zwischen dem Abtropfrohr der Destillierblase und dem Hals der Vorlage, in der sich das Destillat sammelt. Ob die Verbindung der beiden zerbrechlichen Glaskörper wohl hält? – auch nach jahrelanger Erfahrung scheint diese Frage immer wieder spannend zu sein, so jedenfalls die Botschaft dieses Bildes.

Der Chemiker – oder Apotheker – ist einer jener Sonderlinge und komischen Käuze, die es Spitzweg besonders angetan hatten, angefangen beim "armen Poeten", über Blumenliebhaber, Büchernarren und Sonntagsjäger bis hin zum Eremiten, der sich in der Einöde gemütlich eingerichtet hat und dort auch leiblichen Genüssen nicht abhold ist. Spannungsvoll bis grotesk ist immer wieder die Begegnung von Mann und Frau – sei es in freier Landschaft oder in engen Altstadtgassen. (Auch "Der verliebte Provisor" gehört hierher, er ist allerdings nicht in der Ausstellung vertreten.)

Menschliche Schwächen hintergründig verborgen

Spitzweg hat die Menschen so in ihre Umgebung hineinkomponiert, dass ihre charakterlichen Schwächen offenbar werden, wenn auch oft erst nach genauem Hinsehen und Erfassen der Zusammenhänge. Regelrechte Handlungsabläufe lassen sich so aus einer dargestellten Szene ablesen. Und wenn der Betrachter den tieferen Sinn dieser Szene erfasst hat und über die teils peinlichen, aber doch verzeihlichen, weil typisch menschlichen Fehler der Personen quasi mitlachen kann, dann zollt er auch dem Maler den gehörigen Respekt, der dies so feinsinnig erdacht und mit dem Pinsel auf die Leinwand übertragen hat.

In späteren Lebensjahren wandte sich Spitzweg mehr der Landschaftsmalerei zu. Sein leichter, flockiger Farbauftrag scheint die impressionistische Sichtweise vorwegzunehmen, doch Spitzweg malte nicht den unmittelbaren Eindruck eines Augenblicks in freier Natur – er malte zu Hause, im dritten Stock eines Hauses am Münchner Heumarkt. Dort starb er 1885 als "Junggeselle" im Alter von 77 Jahren. Noch eine Woche vor seinen Tode hatte er in einem Brief geschrieben: "... aber die Liebe zum Leben mögen wir nie verlieren, bis ganz zu allerletzt".

Nachruhm

Der Schweinfurter Ausstellungskurator Jens Christian Jensen deutet den späten Erfolg von Spitzwegs Werk so: "Erst musste der 1. Weltkrieg verloren gehen, erst Unsicherheit und Lebensdepression das scheinbar festgefügte Weltbild erschüttern, ehe man ihn als Maler deutscher humoriger Innerlichkeit erkannte, der in seinen Bildern ein gegen alle Abgründe abgeschirmtes, gemütvolles und menschliche Schwächen fast liebevoll abschilderndes beschränktes Reich errichtet hatte – zum Vergnügen aller."

Unter den abermals veränderten Lebensverhältnissen der Gegenwart hat die Wertschätzung für das Werk des malenden Apothekers nicht abgenommen. Seine Bilder begeistern auch noch heute – ob man sie nun original im Museum oder in dem ausgezeichneten Katalog be- trachtet.

Kasten

Museum Georg Schäfer, Brückenstraße 20, 97421 Schweinfurt, Tel. (0 97 21) 5 19 20, www.museumgeorgschaefer.de

Geöffnet: Dienstag bis Sonntag: 10.00 bis 17.00 Uhr, Donnerstag: bis 21.00 Uhr.

Katalog mit dem gesamten Spitzweg-Bestand des Museums Georg Schäfer. Autor Jens Christian Jensen. 344 Seiten, ca. 500 Abbildungen (davon 124 in Farbe). 25,– Euro (nur im Museum) bzw. 49,95 Euro (im Buchhandel). Prestel Verlag, München. ISBN 3-7913-2723-2

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