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DPhG aktuell: Aut idem – Möglichkeiten und Grenzen apothekerlichen Handel

Die Aut-idem-Regelung beschäftigt die Apothekerschaft Ų das zeigte das rege Interesse am Vortrag von Prof. Dr. H. Blume (SocraTec R und D, Oberursel) in der Reihe "DPhG aktuell" am 8. Januar 2002 im Biozentrum der Universität Frankfurt am Main. Vor einem voll besetzten großen Hörsaal zeigte Professor Blume die Spannbreite der Aut-idem-Problematik auf.

Kosten, Kompetenz und Qualität

Unter dem Druck der Kostenexplosion des Gesundheitswesen sollen preiswertere Generika abgegeben werden, sofern

  • die ärztliche Verordnung dies nicht ausschließt,
  • generische Alternativen verfügbar sind,
  • kein Produkt aus dem unteren Drittel des Preissegmentes verordnet wurde.

Auch die öffentliche Diskussion, geführt von pharmazeutischer Industrie, Krankenkassen und Standesvertretungen der Ärzte bzw. Apotheker, stellt den Kostengedanken und die Kompetenzfrage in den Mittelpunkt. Entscheidender für den Patienten sollte nach Blume jedoch die Frage nach der Sicherstellung der therapeutischen Qualität sein. Nur die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft (DPhG) wies in einem, im Dezember letzten Jahres veröffentlichten Statement auf das Problem der Qualitätsunterschiede verschiedener Fertigarzneimittel hin und lehnte eine rein preisgetriebene Aut-idem-Regelung ab.

Qualität kein Problem?

Natürlich gewährleistet die Arzneimittelzulassung, dass ein Medikament wirksam, unbedenklich und qualitativ hochwertig ist. Die Praxis zeigt jedoch, dass Generika nicht immer bioäquivalent zum Originalpräparat bzw. zueinander sind. Blume zeigte an den Beispielen Verapamil, Carbamazepin, Ranitidin, Nifedipin retard und Diclofenac sehr eindrücklich die zum Teil gravierenden Unterschiede in In-vitro-Freisetzungstests bei unterschiedlichen Präparaten. Ob diese Unterschiede dann allerdings auch die therapeutische Äquivalenz beeinflussen, muss im Einzelfall überprüft werden.

Worauf muss bei der Substitution geachtet werden?

Die Apothekerin/der Apotheker sieht sich also vor die Aufgabe gestellt, von Fall zu Fall zu entscheiden, ob eine Substitution zu vertreten ist. Kritisch ist die Substitution, laut Blume, immer bei einer laufenden Medikation, wobei man sich hier noch Extremszenarien wie z. B. einen gut eingestellten Epileptiker, der plötzlich mit einem anders bioverfügbaren Medikament therapiert werden soll, vorstellen kann. Selbst wenn die Bioäquivalenz eines Präparates gezeigt ist, kann jedoch eine beeinträchtigte Compliance – schließlich soll der Patient plötzlich für die gleiche Krankheit ein anderes Präparat einnehmen – den Therapieerfolg in Frage stellen.

Ebenfalls kritisch ist die Substitution bei Wirkstoffen mit einer geringen therapeutischen Breite. Hier können durch die Gabe eines Generikums Konzentrationen erreicht werden, die nicht mehr so wirksam sind oder bei denen bereits vermehrt unerwünschte Wirkungen auftreten. Weniger kritisch ist die Substitution allerdings bei einer Akutbehandlung – hier zählt einzig und allein der Therapieerfolg und weniger die Therapieäquivalenz zu einem anderen Präparat.

Beleg der Bioäquivalenz

Wie kann aber nun die Apothekerin/der Apotheker entscheiden, dass ein Generikum als therapeutisch äquivalentes Substitutionsmittel geeignet ist? Der Goldstandard für den Beleg therapeutischer Äquivalenz ist der Bioäquivalenznachweis. Unter bestimmten Voraussetzungen können zum Nachweis der Bioäquivalenz bereits In-vitro-Tests ausreichen. Letztlich das entscheidende Kriterium sind an und für sich klinische Studien, die allerdings relativ aufwändig sind.

In-vitro-Tests sind immer dann ausreichend, wenn nicht die Freisetzung, sondern die Resorption des Wirkstoffes geschwindigkeitsbestimmend für die Bioverfügbarkeit ist. Dies trifft für gut lösliche Substanzen in sehr schnell freisetzenden Präparationen zu, die sich letztlich im Körper wie orale Lösungen verhalten, gleichgültig ob sie gut oder schlecht durch das Darmepithel permeieren können. Derartige Substanzen werden nach dem Biopharmaceutics Classification System (BCS) den Klassen I und III zugeordnet (Tab. 1). Bei einigen Substanzen liegt jedoch noch nicht genügend Datenmaterial zur Klassifizierung vor (Tab. 2) und 3, rechte Spalten).

Für Wirkstoffe der Klassen I und III (Tab. 2) gilt, dass die Bioverfügbarkeit bzw. Bioäquivalenz kein Problem darstellt, wenn

  • die Freisetzungsrate F > 85%/30 min bei allen physiologischen pH-Werten (1 – 8) ist und
  • die Darreichungsform keine Hilfsstoffe enthält, die die Resorption oder die Passagegeschwindigkeit durch den Magen-Darm-Trakt beeinflussen.

Eine Ausnahme bildet Theophyllin: Obwohl es zur BCS-Klasse I gehört, sind In-vivo-Studien nötig, weil seine therapeutische Breite sehr gering ist.

Bei den schlecht löslichen Wirkstoffen der BCS-Klassen II und IV (Tab. 3) sind In-vivo-Studien zum Nachweis der Bioäquivalenz erforderlich. Hier bestimmt die Freisetzungsgeschwindigkeit die Bioverfügbarkeit des Wirkstoffs. Dies ist am Beispiel von vier verschiedenen Carbamazepin-Tabletten deutlich zu sehen (Abb. 1).

In seltenen Fällen kann gegebenenfalls bei Wirkstoffen der BCS-Klassen II und IV auf In-vivo-Studien verzichtet werden, sofern eine In-vitro-/In-vivo-Korrelation nachgewiesen ist und deshalb aus den In-vitro-Befunden eine relativ sichere Prognose für die In-vivo-Situation gestellt werden kann. Die BCS-Klassifizierung lässt nur eine Einteilung für oral applizierte Präparate zu. Für Medikamente, die nicht-orale Applikationswege nutzen, muss die Bioäquivalenz auf jeden Fall durch In-vivo-Studien belegt werden.

Aut idem: wann und wie?

Zusammenfassend stellte Blume noch einmal klar, dass eine Arzneimittel-Substitution ohne Sicherung der Qualität nicht akzeptabel sei. Eine qualitätssichernde Substitution sei dann möglich, wenn keine therapeutischen Unterschiede zu erwarten sind, also

  • bei oralen wässrigen Lösungen (ohne Hilfsstoffe, die die Resorption oder den GI-Transit verändern),
  • bei schnell freisetzenden (85%/30 min) Präparaten mit Wirkstoffen der BCS-Klassen I oder III.

Eine qualitätserhaltende Austauschbarkeit muss durch In-vivo-Studien gesichert sein

  • bei allen nicht schnell freisetzenden oder modifiziert freisetzenden Präparaten,
  • bei allen Klasse-II- und Klasse-IV- Präparaten.

Wie reagiert die Apothekerin/der Apotheker auf die Aut-idem-Regelung?

Dass sich die Apothekerschaft mit dem Problem der Aut-idem-Regelung ziemlich allein gelassen fühlt, zeigte die rege Diskussion im Anschluss an den Vortrag von Blume. Die fragwürdige Qualität importierter Arzneimittel und die Problematik der "mutual recognition"-Regelung der anderen europäischen Arzneimittelzulassungen standen hier ebenso im Mittelpunkt wie die Frage nach der Haftbarkeit des abgebenden Apothekers, wenn das Medikament nicht die gewünschte Wirkung bzw. zu viele unerwünschte Wirkungen hervorruft.

Deutlich zeigte sich die prinzipielle Bereitschaft, mit Aut-idem-Abgaben zur Kostendämpfung beizutragen, allerdings wurde auch die Forderung nach geeigneten Hilfsmitteln laut – nach einer Qualitätsdatenbank beispielsweise, die allen Mitarbeitern in der Apotheke eine unter dem Aspekt der therapeutischen Qualität vertretbare Medikamenten-Substitution ermöglicht.

Professor Blume stellte zusammen mit Professor Dingermann eine Orientierungshilfe durch eine Arbeitsgruppe der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft in Aussicht. Hier sollen Richtlinien erarbeitet werden für eine GSP, eine "Good Substitution Practice", anhand derer die Apothekerin/der Apotheker beruhigter die Aut-idem-Regelung umsetzen kann. Ein entsprechender Vorschlag war kürzlich bereits von Dr. Brauer in einem Editorial dieser Zeitschrift unterbreitet worden.

Kastentext: Faustregel

In-vivo-Studien zum Nachweis der Bioäquivalenz von oral applizierten Präparaten sind nötig

  • bei Wirkstoffen der BCS-Klassen II und IV, die durch eine schlechte Löslichkeit charakterisiert sind,
  • bei nicht schnell freisetzenden Arzneiformen von BCS-Klasse-I- und -III-Wirkstoffen wie z. B. Retardpräparaten oder magensaftresistenten Formen.

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