DPhG-Leitlinien

Gute Substitutionspraxis – GSP

Von H. Blume, K.G. Brauer, T. Dingermann, E. Mutschler, I. Zündorf

1. Präambel

Bisher orientieren sich deren Einnahmen an der Lohnsummenentwicklung. Diese hält jedoch immer weniger Schritt mit der allgemeinen Wohlstandsentwicklung, die zunehmend mehr von (beitragsfreien) Kapitalerträgen als von (beitragspflichtigen) Arbeitslöhnen getragen wird. Auf der Kostenseite sorgen – vor allem in den Industrienationen – der medizinisch-pharmazeutische Fortschritt und die zunehmende Überalterung der Bevölkerung für finanziellen Druck.

Die Vorgaben der Politik haben vor allem in der Bundesrepublik Deutschland, aber auch in anderen Ländern zur Einführung von Generika geführt, die sich im Markt als billigere Alternativen zu den meist erheblich teureren, innovativen Arzneimitteln positionieren. Dementsprechend wird von der Politik und den Krankenversicherungen zunehmend erheblicher Druck ausgeübt, die Therapie auf solche niedrigpreisigere Produkte umzustellen. In Deutschland hat dies bereits erhebliche Verschiebungen auf dem Arzneimittelmarkt bewirkt: Die Marktanteile von Generika und Importarzneimitteln sind signifikant gestiegen.

Einigkeit herrscht bei den Fachleuten darüber, dass bei jedem Präparateaustausch die Qualität und die biopharmazeutischen Eigenschaften der Arzneimittel ebenso berücksichtigt werden müssen wie die Besonderheiten des zu therapierenden Krankheitsbildes. Angesichts der Bedeutung dieser Aspekte für die Therapiesicherheit sollen in der nachfolgenden Leitlinie die wesentlichen Eckpunkte dargestellt und wichtige Regeln für eine "gute Substitutionspraxis" (GSP = Good Substitution Practice) dargestellt werden, wobei grundsätzlich nur der Austausch zwischen wirkstoffidentischen Präparaten zur Diskussion steht (aut idem und nicht aut simile).

Bei der Anwendung von Generika – und analog auch beim Einsatz von Re- und Parallelimporten – sind verschiedene Szenarien von praktischer Relevanz, die mit Blick auf die Sicherstellung des gewünschten therapeutischen Erfolgs unterschiedlich kritisch zu bewerten sind:

  • Präparateaustausch während einer laufenden Medikation (generische Substitution): Hier geht es vornehmlich um die adäquate Weiterbehandlung des mit Hilfe des bisher verordneten Präparates gut eingestellten Patienten. In solchen Fällen muss dafür gesorgt werden, dass der optimale therapeutische Effekt weiterhin im vollen Umfang gesichert ist. Dabei spielen die Eigenschaften der Arzneistoffe ebenso eine wesentliche Rolle wie die Qualität der Präparate sowie Compliance-relevante Faktoren.

pharmazeutisch äquivalent sind, d. h. denselben Wirkstoff in identischer Dosis und in einer vergleichbaren Darreichungsform enthalten,

  • bei der Anwendung am Menschen bioäquivalente Eigenschaften entfalten.

    Insgesamt sind zum Nachweis dieser therapeutischen Äquivalenz wirkstoffidentischer Arzneimittel verschiedene Verfahren akzeptabel:

    • Für sehr schnell freisetzende orale Zubereitungen mit gut löslichen Arzneistoffen ist ein Nachweis der Bioäquivalenz auch mit Hilfe von In-vitro-Untersuchungen möglich, solange die Wirkstofffreisetzung mindestens 85% innerhalb von 30 Minuten beträgt. Unter diesen Umständen kann nämlich davon ausgegangen werden, dass sich die Präparationen nach Einnahme durch den Patienten bereits im Magen komplett auflösen und damit praktisch wie eine orale Lösung verhalten. In solchen Fällen ist eine Beeinflussung der Bioverfügbarkeit durch die galenischen Eigenschaften der festen oralen Zubereitung nicht zu erwarten. Diese Annahme gilt jedoch nicht für schlecht lösliche Stoffe, da bei ihnen eine ähnlich rasche Freisetzung nur durch Zumischung von Hilfsstoffen erreicht werden kann, die auch die Resorption beeinflussen.

    Ein Bioäquivalenznachweis über In-vitro-Methoden muss dagegen im Einzelfall wissenschaftlich begründet werden, wobei die charakteristischen Eigenschaften sowohl des enthaltenen Arzneistoffs als auch der Darreichungsform berücksichtigt werden müssen. Dieser Weg ist (bisher) grundsätzlich nur für orale Arzneimittel möglich (siehe Grundsätze für die generische Substitution. Unter Berücksichtigung der vorgenannten Aspekte werden aus pharmazeutischer Sicht folgende Rahmenbedingungen für eine generische Substitution für notwendig gehalten:

    Bei einer Reihe von Erkrankungen ist die sorgfältige Einstellung des Patienten auf die jeweilige Therapie sowie deren Überwachung sowohl für den Behandlungserfolg als auch für die Vermeidung – oder zumindest eine Verringerung – der Nebenwirkungen von entscheidender Bedeutung. In allen diesen Fällen ist eine Substitution des zur Therapieeinstellung oder während einer Dauertherapie verwendeten Präparates ohne Berücksichtigung der Arzneimittelqualität nicht akzeptabel. Vielmehr darf bei solchen Patienten eine Substitution nur erfolgen, wenn allgemein zugängliche, zuverlässige Bioäquivalenzdaten für das zur Substitution vorgesehene Fertigarzneimittel vorliegen. In Tabelle 1 sind Arzneimittelgruppen aufgeführt, bei denen diese Aspekte bei einer eventuellen Substitution zu berücksichtigen sind.

    4. Darreichungsformen, bei denen eine Substitution nur unter speziellen Voraussetzungen erfolgen sollte

    Unter solchen Voraussetzungen ist bei einer Substitution sicherzustellen, dass die jeweiligen Arzneimittel den enthaltenen Wirkstoff mit äquivalentem Ausmaß und weitgehend gleicher Geschwindigkeit für die Aufnahme in den Organismus zur Verfügung stellen. Auch in diesen Fällen ist eine unkritische Substitution des zur Therapieeinstellung oder während einer Dauermedikation verwendeten Arzneimittels ohne angemessene Berücksichtigung der Qualität nicht akzeptabel.

    Tabelle 2 aufgeführten Zubereitungsformen sind diese Aspekte bei einer geplanten Umstellung besonders zu beachten.

    Vergleichbare Darreichungsformen. Im Zusammenhang mit einem Präparatewechsel ist außerdem darauf zu achten, dass ein Austausch nur zwischen gleichen oder "austauschbaren" Darreichungsformen erfolgt. Als "austauschbar" können Präparationen dann angesehen werden, wenn sie

    • auf demselben Applikationsweg (z. B. oral, rektal, nasal,...) gegeben werden und

    • Tabelle 3 in den jeweiligen Spalten aufgeführten Präparategruppen.

    Die in den Präparaten enthaltenen Arzneistoffe weisen unterschiedlich problematische Eigenschaften hinsichtlich der Bioverfügbarkeit, vor allem nach peroraler Applikation, auf. Als besonders kritisch gilt in diesem Zusammenhang eine schlechte Löslichkeit der Wirksubstanzen: So wurden immer wieder Bioverfügbarkeitsprobleme vor allem bei Präparaten mit schlecht löslichen Arzneistoffen festgestellt, z. B. bei Carbamazepin, Ciclosporin, Glibenclamid, Nifedipin oder Phenytoin. Die entsprechenden Produkte können eine ausreichende Bioverfügbarkeit nur dann gewährleisten, wenn sie die erforderlichen galenischen Eigenschaften besitzen.

    Bioäquivalenznachweis durch In-vitro-Untersuchungen. Ein entscheidender Einfluss der biopharmazeutischen Eigenschaften der Darreichungsform auf die Bioverfügbarkeit kann dann ausgeschlossen werden, wenn die Freisetzung aus der festen oralen Form so rasch erfolgt, dass dieser Prozess nach der Einnahme bereits im Magen abgeschlossen ist und folglich das Arzneimittel als Lösung in den Darm weitergeleitet wird.

    Bei allen Präparaten, die im gesamten Magen-Darm-Trakt (pH 1 – 8) gut lösliche Arzneistoffe enthalten und in Puffersystemen bei pH 1, 4,5 und 6,8 innerhalb von 30 Minuten mehr als 85% der enthaltenen Dosis freisetzen, kann davon ausgegangen werden, dass sie sich in vivo wie orale Lösungen verhalten. In diesen Fällen kann von einem analogen In-vivo-Verhalten ausgegangen werden und die entsprechenden Produkte sind dann als therapeutisch gleichwertig anzusehen.

  • In der Praxis kann die Entscheidung, ob zur Beurteilung der Bioäquivalenz In-vivo-Studien erforderlich sind oder ob eine Bewertung aufgrund von In-vitro-Freisetzungsdaten möglich ist, mit Hilfe des Schemas 2 vorgenommen werden.

    Insgesamt kommt also für die Beurteilung wirkstoffgleicher Fertigarzneimittel der Löslichkeit der enthaltenen Arzneistoffe entscheidende Bedeutung zu. Gut lösliche Substanzen sind bezüglich der Bioverfügbarkeit als weniger kritisch einzustufen, während schlecht lösliche meist Probleme bereiten. Eine Klassifizierung der Arzneistoffe nach ihrer guten oder schlechten Löslichkeit ist den nachfolgenden Tabellen 4 und 5 zu entnehmen. Diese Tabellen sollten baldmöglichst durch experimentelle Daten aus Löslichkeitsuntersuchen für alle generika-relevanten Wirkstoffe ergänzt werden.

    6. Pflanzliche Arzneimittel

    dem verwendeten Extraktionsmittel (Art und Konzentration) und

  • Extrakte, die sich in einem der deklarierten Parameter unterscheiden, können nicht als "Wirkstoff-identisch" angesehen werden und lassen sich somit auch nicht nach der "Aut-idem-Systematik" austauschen. Vielmehr wäre ein Austausch solcher hinsichtlich der Wirkstoffzusammensetzung ungleicher Extrakte als "Aut-simile"-Substitution zu werten.

    Schema 3).

    7. Arzneimittelauswahl und generische Substitution in der Apothekenpraxis (Aut-idem-Regelung nach SGB V)

    Bei einer Verordnung, die eine generische Substitution nicht explizit ausschließt und so den Apotheker nach den gesetzlichen Vorgaben verpflichtet, generisch zu substituieren, sollte nach Schema 4 vorgegangen werden.

    Auch wenn unter den oben konkretisierten, fachlichen Gesichtspunkten ein Präparateaustausch gemäß den im SGB V vorgegebenen Preiskriterien verantwortbar erscheint, sollte gleichwohl in bestimmten Situationen auf eine Substitution verzichtet werden, z. B.

    • wenn es sich um ängstliche oder agitierte Patienten handelt, bei denen ein Präparateaustausch (gleichgültig um welche Art von Arzneimittel es sich handelt) zur Einnahmeverweigerung oder zu einer gravierenden Verschlechterung der Compliance führen würde, oder

    • wenn die Substitution bei dem Patienten Befürchtungen auslösen könnte (z. B. bei Antiepileptika oder Arzneimitteln zur Verhinderung von Abstoßungsreaktionen nach Transplantationen), dass sich sein Krankheitsbild durch den Präparateaustausch verschlechtern könnte;

    dabei ist unerheblich, ob die Ängste rational begründet sind oder nicht. Die Entscheidung über die Möglichkeit einer Substitution – also den Wechsel von einem auf ein anderes Fertigarzneimittel – ist eine höchstpersönliche Aufgabe des Apothekers. Zur Vorbereitung kann er sich der Hilfe pharmazeutischer Mitarbeiter bedienen. Der Einsatz von Hilfsmitteln bei der Arzneimittelauswahl (EDV, Literatur) ist regelmäßig zu trainieren. Diese Maßnahmen sind im Sinne des Qualitätsmanagements festzuhalten.

    Es empfiehlt sich außerdem, jeden vorgenommenen Arzneimittelaustausch kurz zu dokumentieren. Dies gilt vor allem für "problematische" Substitutionen.In den Fällen, in denen ein Fertigarzneimittel durch ein anderes substituiert wurde, bietet der Apotheker Hilfen an, damit der verordnende Arzt – entweder über den Patienten oder direkt durch den Apotheker – darüber informiert werden kann, welches Fertigarzneimittel der Patient erhalten hat.

    Die Leitlinie wurde der Öffentlichkeit in einer Pressekonferenz am 6. März 2002 in Frankfurt/Main vorgestellt.

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