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Aut-idem-Regelung: Sie müssen sich damit auseinander setzen!

MÜNSTER (was). Eine neue Aut-idem-Regelung ist in Kraft und sorgt bei Apothekern und Ärzten für Verunsicherung und Ärger. Voll zur Anwendung kommt die Regelung voraussichtlich erst ab Juli 2002. Dennoch sollten sich die Apotheker schon jetzt mit ihr auseinander setzen und die Weichen richtig stellen. Hilfestellung dazu gab der Vortrag von Gabriele Beck-Overwiening, Reken, auf einer Informations- und Fortbildungsveranstaltung der Apothekerkammer Westfalen-Lippe am 18. März 2002 in Münster.

Am 23. Februar 2002 trat das Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetz (AABG) in Kraft. Darin wurden folgende Sparmaßnahmen festgelegt:

  • Die Pharmaindustrie zahlt einmalig 200 Millionen Euro an die Krankenkassen.
  • Neue Arzneimittel werden nur noch im Krankenkassenkatalog zugelassen, wenn sie einen spürbaren medizinischen Fortschritt ausmachen (also keine neuen Me-too-Präparate).
  • Krankenhausärzte dürfen bei ambulanter Nachbehandlung nur noch Arzneimittel mit Wirkstoffbezeichnung verordnen.
  • Der Kassenrabatt wird von 5 auf 6% erhöht, zunächst auf zwei Jahre begrenzt.
  • Eine neue Aut-idem-Regelung wird gültig.

Aut idem wird in Apotheken seit Jahren im Nacht- und Notdienst praktiziert: Ist das verordnete Arzneimittel nicht vorhanden, wird die unverzügliche Versorgung des Patienten gewährleistet, indem ein wirkstoffgleiches Präparat abgegeben wird. Die Berufsvertretung der Apotheker fordert seit langem, diese "Kompetenz bei Einbruch der Dunkelheit" auch in den normalen Apothekenalltag zu integrieren und aut idem im vollen Umfang zu etablieren. Die neue Aut-idem-Regelung erfüllt diese Forderung zwar nicht voll, darf aber als Schritt in die richtige Richtung verstanden werden. Die Apotheker können aktiv zu einer ökonomischen und guten Arzneimittelversorgung beitragen.

Was verändert

sich im Einzelnen?

Die neue Aut-idem-Regelung bezieht sich ausschließlich auf Kassenrezepte. Privatrezepte sind nicht betroffen. Seit dem 23. Februar gilt auf Kassenrezepten die so genannte Kästchenumkehr: Früher erlaubte der Arzt durch Ankreuzen des Aut-idem-Feldes die Auswahl eines wirkstoffgleichen Arzneimittels. Seit dem 23. Februar verbietet er mit dem Kreuzchen (oft aber auch durch den Zusatz "non aut idem" oder "Keine Substitution") den Arzneimittelaustausch.

Fehlt das Kreuzchen, hat der Apotheker die Möglichkeit bzw. die Verpflichtung, ein wirkstoffgleiches, preisgünstigeres Arzneimittel abzugeben. Genau genommen ist er zur Abgabe eines preisgünstigen Arzneimittels aber nur dann verpflichtet, wenn der Arzt unter der Wirkstoffbezeichnung verordnet hat oder ein nicht preisgünstiges Handelspräparat verordnet hat.

Von der Aut-idem-Regelung sind grundsätzlich alle im Artikelstamm gelisteten Arzneimittel betroffen, beispielsweise auch Impfstoffe, Betäubungsmittel und Phytopharmaka. Bei Aminosäuremischungen, Eiweißhydrolysaten, Elementardiäten und Sondennahrungen wehrt sich die ABDA gegen einen Austausch.

Der Gesetzgeber nennt sieben Voraussetzungen für die Austauschbarkeit (siehe Tab.). Einige davon erscheinen auf den ersten Blick einfach (identischer Wirkstoff, gleiche Wirkstärke), sind es aber nicht immer: Können Benzylpenicillin-Kalium oder -Natrium und Benzylpenicillin-Procain (eine Depotform) als identische Wirkstoffe angesehen werden? Wann sind Phytopharmaka wirkstoffgleich? (siehe hierzu auch Artikel "Gute Substitutionspraxis" in DAZ Nr. 10, S. 1211).

Zwei der in der Tabelle genannten Kriterien der Austauschbarkeit sind zurzeit noch nicht voll anwendbar: Hinweise zur Austauschbarkeit von Darreichungsformen werden noch vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen erarbeitet. Die oberen Preislinien für die "Preisgünstigkeit" werden von den Spitzenverbänden der gesetzlichen Krankenkassen erstmals frühestens im Sommer 2002 festgelegt. Sie sollen dann für jedes Quartal neu in der ersten Woche des Vormonats bestimmt werden.

Das untere Preisdrittel

Ein Arzneimittel gilt dann als preisgünstig, wenn es "das untere Drittel des Abstandes zwischen dem Durchschnitt der drei niedrigsten Preise und dem Durchschnitt der drei höchsten Preise wirkstoffgleicher Arzneimittel nicht überschreitet". Das braucht der Apotheker aber nicht selbst zu berechnen; die Preislinien werden ihm in Zukunft für jedes Quartal vorgegeben.

Damit ausreichend Präparate zur Auswahl stehen, gibt es die so genannte Fünfer-Regel: Die billigsten fünf Arzneimittel einer Gruppe gelten immer als preisgünstig, auch wenn die Preislinie überschritten wird.

Indikationsgleichheit

Die "Zulassung für denselben Indikationsbereich" verbietet es, ein wirkstoffgleiches Präparat abzugeben, das einen anderen Indikationsbereich oder weniger Indikationsbereiche hat. Zum Beispiel kann man Concor Cor, das für die Herzinsuffizienz zugelassen ist, nicht durch ein anderes Bisoprolol-Präparat ersetzen, das bei Bluthochdruck und koronarer Herzkrankheit indiziert ist. Auch darf man Beloc-Zok nicht gegen Metoprolol-Generika austauschen, die einen Indikationsbereich weniger haben. Der umgekehrte Fall wäre im Hinblick auf die Indikationsbereiche erlaubt, verbietet sich aber wegen fehlender "Preisgünstigkeit".

In den meisten Fällen unterscheiden sich die Indikationsgebiete möglicher Austauschpräparate jedoch nicht. Aut idem ist nämlich vor allem für Arzneimittel relevant, für die es Generika gibt. Die meisten Generika sind Bezug nehmend zugelassen worden, wobei nachgewiesen werden muss, dass sie für die gleichen Indikationsgebiete tauglich sind wie das erstangemeldete Präparat. Die ABDA erarbeitet zurzeit im Artikelstamm rasch abrufbare Informationen zur Indikationsgleichheit.

Pharmazeutische Bedenken im Einzelfall

Pharmazeutische Bedenken gegen eine Substitution können im Einzelfall bestehen. Bedenken ergeben sich insbesondere aus dem Gespräch mit dem Patienten, wenn er zum Beispiel Probleme mit der Arzneiform oder mit einem Hilfsstoff äußert (ein Tipp: die Cave-Zusatzmodule der ABDA-Datenbank nutzen).

Älteren Menschen fehlt bei einem Wechsel auf ein wirkstoffgleiches Generikum oft der Wiedererkennungseffekt. Kinder verweigern die Einnahme eines Arzneimittels, wenn es einen anderen Geschmack hat. Bei Bedenken gegen eine Substitution darf nicht einfach auf den Austausch verzichtet werden, sondern es muss mit dem Arzt Rücksprache genommen werden, der dann gegebenenfalls die Verordnung ändert.

Aut idem in der Übergangsphase

Nach Ansicht des Bundesgesundheitsministeriums sollen die Apotheken schon jetzt preisgünstige Arzneimittel abgeben. Solange jedoch weder die Preislinien noch die Gruppen vergleichbarer Darreichungsformen bekannt sind, haben die Apotheker einen relativ großen Spielraum beim Austausch. In der Übergangsphase gilt für Festbetragsarzneimittel: Was bis zum Festbetrag reicht, ist preisgünstig.

Die Apotheker stellen in der Übergangsphase die Weichen für die spätere Aut-idem-Praxis. Tun sie es nicht, laufen sie Gefahr, dass die Ärzte in Zukunft nur noch das Billigste aufschreiben, also aut idem zerstören. Apotheker können beispielsweise von Firmen, deren Arzneimittel im unteren Preisdrittel liegen, Bioverfügbarkeits- und Qualitätsdaten anfordern. Einige Hersteller mit guten Daten können dem Arzt empfohlen werden.

Die Patienten werden durch Handzettel in der Apotheke und in der Arztpraxis auf die neue gesetzliche Regelung hingewiesen. Der Arzt kann über jeden Austausch durch eine Kopie des bedruckten Rezeptes informiert werden.

Müssen Apotheker jetzt laufend Kurven lesen?

Die gute Substitutionspraxis kann nicht so weit gehen, dass der Apotheker die Bioäquivalenzdaten sämtlicher Arzneimittel überprüft. Alle Arzneimittel mit Bezug nehmender Zulassung (also nach AMG 3. Novelle 1988) mussten Bioäquivalenz mit dem Erstanmelder nachweisen (dabei sind 20% Abweichung erlaubt). Unabhängig davon sind Bioverfügbarkeits-/Bioäquivalenzdaten nach Anordnung des BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) unter anderem notwendig für alle Antibiotika, alle Herzglykoside und Zytostatika, Arzneimittel mit enger therapeutischer Breite, mit schweren unerwünschten Wirkungen oder mit retardierter oder modifiziert freisetzender Arzneiform.

Arzneistoffe lassen sich in einem biopharmazeutischen Klassifizierungssystem (BCS) nach ihrer Löslichkeit unter physiologischen Bedingungen und ihrer Permeabilität (also der Fähigkeit, Körperzellen zu durchdringen) in vier Gruppen einteilen. Die Bioverfügbarkeit ist bei Arzneistoffen der Klassen I und III generell unproblematisch, kann aber bei Arzneistoffen der Klassen II und IV problematisch sein.

Importarzneimittel oder Generikum abgeben?

Die Aut-idem-Regelung ist Gesetz, die Importregelung dagegen nur eine Richtlinie. Deshalb ist aut idem grundsätzlich vor der Importregelung zu erfüllen. Die Importquote bezieht sich nur auf den importfähigen Umsatz, also auf Originalpräparate. Zu Originalpräparaten, für die es Generika gibt, existieren häufig keine Importpräparate. Problematisch ist nur der seltenere Fall, dass es für einen Wirkstoff sowohl Generika als auch Importpräparate gibt (z. B. Nifedipin). Sind die Generika billiger als die Importpräparate, muss der Apotheker Generika abgeben und kann die Importquote nicht erfüllen.

Tabelle: Voraussetzungen für den Arzneimittelaustausch

Wirkstoffgleichheit

  • Identische Wirkstärke
  • Gleiche Packungsgröße
  • Gleiche oder austauschbare Darreichungsform
  • Zulassung für den gleichen Indikationsbereich
  • Preisgünstigkeit
  • Keine pharmazeutischen Bedenken im Einzelfall Beispiel für eine Patienteninformation (Handzettel) Sehr geehrter Patient, seit dem 23. Februar 2002 sind die Apotheker gesetzlich verpflichtet, bei Verordnung eines Präparates eines forschenden pharmazeutischen Unternehmens (Originalpräparat) ein preiswerteres Nachahmerpräparat abzugeben, sofern ein solches sich am Markt befindet ("Aut-idem-Regelung"). Nur wenn der Arzt den Austausch untersagt, ist das Originalpräparat abzugeben.

    Wir versprechen Ihnen, dass wir immer ein Präparat für Sie aussuchen, das in jeder Hinsicht (gleiche Zusammensetzung, gleiche Menge, gleiche biologische Verfügbarkeit) in seiner Wirksamkeit dem Originalpräparat entspricht.

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