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Aut idem bei Phytopharmaka? (Expertengespräch)

FRANKFURT/MAIN (diz). Die Bundesregierung beabsichtigt bekanntlich, mit dem Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetz (AABG) auch eine Aut-idem-Regelung einzuführen. Verordnet der Arzt lediglich einen Wirkstoff, soll der Apotheker unter Preisgesichtspunkten ein kostengünstiges Generikum auswählen. Ein Expertengespräch am 7. Januar 2002, veranstaltet von Socratec CSC, Oberursel, im Biozentrum der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, versuchte zu klären, ob die Aut-idem-Regelung auf auch Phytopharmaka anwendbar ist. Das Ergebnis des Gesprächs: Da Phytopharmaka in aller Regel Drogenextrakte enthalten, also Wirkstoffgemische, und Extrakte aufgrund mangelnder Transparenz heute nicht vergleichbar sind, ist die Aut-idem-Regelung auf Phytopharmaka derzeit nicht anwendbar.

Die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft, so der Gesprächsmoderator Prof. Dr. Henning Blume, Socratec, habe in einem Statement verkündet, dass generell eine Aut-idem-Regelung nur akzeptierbar sei, solange die Auswahl nicht nur unter Preis-, sondern auch unter Qualitätsgesichtspunkten stattfinde. Ausgewählt werden sollte nur unter wirkstoffidentischen Arzneimitteln. Für "ähnliche" Produkte, wie sie beispielsweise bei Phytopharmaka zu finden seien, könne die Regelung nicht greifen.

Das Socratec-Gespräch mit Experten von der Hochschule, der Industrie, der Behörde, von Ärzten und Apothekern versuchte Argumente zusammenzutragen, ob und unter welchen Voraussetzungen Phytopharmaka überhaupt in eine Aut-idem-Regelung eingebunden werden könnten. Im Mittelpunkt stand daher die Frage, wann Phytopharmaka "wirkstoffgleich" sind. Reicht therapeutische Äquivalenz oder muss auch die pharmazeutische Äquivalenz von Phytopharmaka gegeben sein?

Was ist ein "Phyto-Wirkstoff"?

Ein "Wirkstoff" bei Phytopharmaka ist nicht eindeutig definiert wie bei synthetischen Arzneistoffen, erklärte Prof. Dr. R. Bauer, Düsseldorf. In aller Regel ist ein "Wirkstoff" bei Phytopharmaka sehr komplex zusammengesetzt, hinzu kommt, dass wirksamkeitsbestimmende Inhaltsstoffe bei Phytos oft nicht bekannt sind. Streng genommen wird heute bereits bei Teedrogen substituiert: es werden Teedrogen verschiedener Herkunft, verschiedener Händler ausgetauscht".

Voraussetzung für die Verkehrsfähigkeit einer Droge ist Arzneibuchqualität, wobei, wie Bauer kritisch anmerkte, dadurch nur eine Mindestqualität garantiert ist. Bei Kamillenblüten beispielsweise findet man einen ätherischen Ölgehalt von 3 – 15 ml pro kg. Das Europäische Arzneibuch fordert hier lediglich einen Mindestgehalt von 4 ml pro kg. Hinzu kommt, dass die Zusammensetzung des ätherischen Öls abhängig von der Varietät der Kamille sehr unterschiedlich ist. Außerdem stellt man große Qualitätsschwankungen eines Kamillentees aufgrund unterschiedlicher Teezubereitungen fest. Nach Auffassung von Bauer reichen daher die Arzneibuchforderungen nicht für eine eindeutige Qualitätsdefinition aus.

Auch bei pulverisierten Drogen und daraus hergestellten Präparaten ist eine Austauschbarkeit nicht gegeben. Die Voraussetzung wäre ein vergleichbares Spektrum der wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffe, ein vergleichbarer Pulverisierungsgrad und eine vergleichbare Formulierung, Parameter, die in aller Regel nicht gegeben sind.

Der Prozess ist das Produkt

Ähnliches gilt für Drogenextrakte; auch hier müsste der Extraktionsprozess, die Formulierung und die wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffe vergleichbar sein. Aut idem wäre nur anwendbar bei einem spezifischen gekennzeichneten Extrakt aus ein und demselben Produktionsprozess und wenn eine eindeutige Qualitätsdefinition von Drogen und Extrakten vorläge. Letztendlich charakterisiert der Prozess das Phyto-Produkt, so Bauer. Würde man also ein Phytopharmakon herstellen aus ein und demselben Ausgangsmaterial, mit dem selben Prozess und mit der gleichen Galenik, würde dieser Extrakt dann unter Händlern verteilt, die dieses Produkt vertreiben, erst dann könnte man von einem Phytogenerikum sprechen. Diese Vorgehensweise entspricht aber nicht der Praxis. Außerdem wäre hier zu klären, in wie weit die Chargen eines Herstellers untereinander vergleichbar sind.

Extrakt ist nicht gleich Extrakt

Stellt man sich die Frage nach der Austauschbarkeit von Pflanzenextrakten, muss man feststellen, so Prof. Dr. Theo Dingermann, Frankfurt/Main, dass Extrakt nicht gleich Extrakt ist. Jeder Pflanzenextrakt ist ein komplexes zusammengesetztes Stoffgemisch und nicht vergleichbar mit einer chemisch definierten Substanz. Ein Pflanzenextrakt wie z. B. Johanniskrautextrakt oder Baldrianwurzelextrakt wäre hier schon eher vergleichbar mit einer Wirkstoffgruppe wie z. B. den Statinen oder den ACE-Hemmern. Würde man nun innerhalb einer Wirkstoffgruppe substituieren, so fiele dieser Vorgang allerdings unter "aut simile" und nicht unter "aut idem".

Phyto-Extrakte sind definiert durch das Extraktionsmittel und durch das Droge-Extrakt-Verhältnis. Diese Spezifikationen müsste man jedoch von jedem Extrakt wissen, um entscheiden zu können, ob er unter Aut-idem-Gesichtspunkten austauschbar wäre. Solange die Transparenz bei den Pflanzenextrakten verschiedener Hersteller fehlt, ist ein Austausch des einen Extraktes gegen den anderen nicht denkbar, so die Analyse Dingermanns. Es gibt zwar eine Art generische Extraktherstellung, die jedoch wiederum nicht transparent ist. Vor diesem Hintergrund wäre eine Beurteilung der Extrakte einfacher, wenn man den Extrakten wie bei chemisch definierten Arzneimitteln einen Namen geben würde, wie es einige Extrakthersteller bereits tun (z. B. EGb, LI). Bei solchen Extrakten wird großer Wert auf das Herstellungsverfahren gelegt, das Teil der Zulassung ist. Wird das Herstellungsverfahren geändert, erhält man ein anderes Produkt. So wurden in der Expertenrunde Beispiele gezeigt, dass die Zusammensetzung des Ginkgo-Extraktes EGb 761 in keiner Weise identisch ist mit dem Ginkgo-Extrakt, der nach einem anderen Herstellungsverfahren hergestellt wurde.

Schließlich spielt unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Austauschbarkeit auch die Darreichungsform bei Phytopharmaka eine Rolle. Sie trägt entscheidend zur Bioverfügbarkeit und Bioäquivalenz eines Präparates bei, wie Dr. F. Lang, Karlsruhe, ausführte. Nach Auffassung der Expertenrunde könne sich die Frage der Bioäquivalenz nicht nur auf die Löslichkeit eines Pflanzenextraktes beziehen, sondern müsse auch die Freisetzung berücksichtigen. Nicht vernachlässigt werden dürfe die therapeutisch-medizinische Basis: Nicht immer sei eine schnelle Freisetzung erwünscht. Man dürfe die pharmazeutische Frage nach der Bioverfügbarkeit und Bioäquivalenz nicht isoliert sehen, sondern müsse auch das therapeutische Einsatzgebiet berücksichtigen.

Statt Extrakt lieber den Wirkstoff suchen?

Natürlich lässt sich auch die Frage stellen, ob es angesichts der Komplexizität eines Extraktes und der damit verbundenen Schwierigkeiten nicht besser sei, verstärkt nach dem wirksamkeitsbestimmenden Prinzip eines Extraktes, den Wirkstoff selbst zu suchen, um schließlich zu einem Präparat mit einem definierten Wirkstoff zu gelangen. Die Schwierigkeit liegt jedoch darin, dass es gerade bei Pflanzenextrakten synergistische Stoffe gibt, die positiv zur Wirkung des Hauptwirkstoffes beitragen oder zu einer besseren Verträglichkeit führen als die Reinsubstanz selbst. So entfaltet ein Pflanzenextrakt seine Wirkung nie aufgrund der Wirkung eines einzelnen Stoffes, man muss ihn vielmehr als "Gesamtkunstwerk" sehen einschließlich einer geeigneten Darreichungsform.

Und die therapeutische Äquivalenz?

Wenn bei Pflanzenextrakten die biopharmazeutische Äquivalenz schwer zu beurteilen ist, könnte es dann ausreichend sein, sich als Entscheidungskriterium für eine Austauschbarkeit auf die therapeutische Äquivalenz zu verständigen? Auch hiermit wird man Schwierigkeiten haben, die unter anderem in der Erfassung der Wirksamkeit liegen. Wendet man beispielsweise zwei identische Präparate an zwei Klientelen an, kann es zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Die therapeutische Äquivalenz wäre letztendlich nur über klinische Prüfungen mit den einzelnen Präparaten zu erreichen. Die Frage ist letztendlich, ob solche Forderungen für pflanzliche Extrakte nicht übertrieben sind, so Prof. Dr. F. Kemper, Münster, in seinem Statement. Aut idem ist für ihn für Phytopharmaka nicht anwendbar, allenfalls aut simile, was allerdings nicht Gegenstand des Gesetzentwurfes ist.

Für Phytos nicht geeignet

Generell kritisch sah der Arzt Dr. W. A. Dryden, Kamen, die Austauschbarkeit. Er wies darauf hin, dass es Wirkstoffe mit unterschiedlichen Indikationszulassungen gibt. Hier erhebt sich die Frage, ob der Apotheker austauschen darf, wenn er die Indikation nicht kennt.

Aus Sicht der Apotheker dürfte die Auswahl bei der Aut-idem-Regelung nicht nur nach Preisgesichtspunkten erfolgen, sondern müsse auch die Qualität der Arzneimittel berücksichtigen, forderte Prof. Dr. V. Dinnendahl, Eschborn. Die Bestimmung, dass bei aut idem nach wirkstoffidentischen Präparaten ausgewählt werde, sei nicht für Phytos geeignet. Hinzu komme, dass die Diskussion über aut idem bei Phytopharmaka eher ein Nebenkriegsschauplatz sei, denn nach wie vor seien Phytopharmaka – von Ausnahmen abgesehen – bei vielen Pharmakologen umstritten, Studien für den Beleg der Wirksamkeit fehlten.

Unteres Preisdrittel "selbstverständlich"

Für Prof. Dr. G. Glaeske, Bremen, ist die Forderung bei der Aut-idem-Regelung, im unteren Preisdrittel auszutauschen, selbstverständlich. Das SGB V fordere generell eine Verordnung von Arzneimitteln, bei denen Qualität, Preis und Wirtschaftlichkeit stimme. Vor diesem Hintergrund hätte schon seit jeher das untere Preisdrittel bevorzugt werden sollen. So bezieht sich das Wirtschaftlichkeitsgebot auch auf die Verordnung von Phytopharmaka. Für Glaeske ist aut idem in der Phytotherapie denkbar, wenn bei der Auswahl des Präparates das Herstellungsverfahren, die daraus abgeleitete empfohlene Tagesdosierung und die zutreffende Indikation berücksichtigt wird.

Unterschiedliche Herstellungsverfahren bedingen allerdings eigenständige Wirksamkeitsnachweise. Die Diskussion über Qualität und Austauschbarkeit werde durch aut idem gefördert, allerdings sei eine bessere Transparenz in diesem Bereich erforderlich. Es gehe hier, so Glaeske, einmal mehr um die Qualität der Produkte, aber auch um die Qualität der produktbezogenen Daten, auch der Deklaration.

Wo bleiben Regeln für aut idem?

Teilnehmer der Expertenrunden beklagten, dass es bisher noch keine Regeln für die Austauschbarkeit gebe. In Analogie zur "Guten Herstellungspraxis" (GMP) müsste es Regeln für eine Gute Substitutionspraxis (GSP) geben. In solche Regeln könnte einfließen, dass neben dem Preis auch eine bestimmte Qualität des Produktes Voraussetzung für seine Austauschbarkeit ist, oder eine Austauschbarkeit unterbleiben muss, wenn aus bestimmten Gründen die Compliance des Patienten gefährdet ist.

Die Erstellung einer Richtschnur für die Austauschbarkeit, einer "GSP-Guideline" fand den Konsens der Expertenrunde. Wenn durch eine solche Richtschnur vor allem Qualitätskriterien mehr Gewicht bekämen, könnten sie verhindern, dass beispielsweise geprüfte Phytopräparate, bei denen klinische Studien vorliegen und die nicht zuletzt dadurch einen etwas höheren Preis haben, auch weiterhin abgegeben werden dürfen und nicht nur Präparate ausgewählt werden müssen, die zwar billig sind, jedoch durch klinische Studien ihre Wirksamkeit nicht nachgewiesen haben.

Dr. K. Keller vom Bundesgesundheitsministerium machte darauf aufmerksam, dass die meisten Zulassungen im Phytobereich bibliografische Zulassungen sind, d. h., ein Hersteller bezieht sich auf Unterlagen eines bereits zugelassenen Präparates. Wenn man sich einerseits darum bemüht, darzulegen, dass die Unterschiede zu einem bereits zugelassenen Präparat sehr gering sind und dies hinreichend darlegt, sei es unverständlich, dass man sich andererseits davon distanzieren wolle, wenn es um die Austauschbarkeit gehe. Nach seiner Auffassung sind daher Phytopharmaka die von der bibliografischen Zulassung Gebrauch machen, vergleichbar, sonst wären sie nicht zugelassen worden.

Fazit: aut idem nicht für Phytos

Argumente pro Austauschbarkeit konnten die Expertenrunde nicht überzeugen. Eine Aut-idem-Regelung, wie sie derzeit im Gesetz vorgesehen ist, kann nicht für Phytopharmaka angewandt werden, so das Ergebnis. Bei der Herstellung von Phytopharmaka-Extrakten ist der Prozess das Produkt. Selbst bei gleichem Ausgangsmaterial kann aufgrund des Prozesses ein anderes Produkt entstehen. Eine Austauschbarkeit von Präparaten würde voraussetzen, dass der Markt hier vollkommen transparent ist, was allerdings bisher nicht gegeben ist. Sinnvoll wäre es, Richtlinien über eine gute Substitutionspraxis zu erarbeiten, die unter anderem auch Qualitätsparameter enthalten könnten. Dies würde vor allem Präparate begünstigen, die die Wirksamkeit über klinische Studien nachgewiesen haben.

Die Bundesregierung beabsichtigt bekanntlich, mit dem Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetz (AABG) auch eine Aut-idem-Regelung einzuführen. Ein Expertengespräch versuchte zu klären, ob die Aut-idem-Regelung auch auf Phytopharmaka anwendbar ist. Das Ergebnis des Gesprächs: Da Phytopharmaka in aller Regel Drogenextrakte enthalten, also Wirkstoffgemische, und Extrakte aufgrund mangelnder Transparenz heute nicht vergleichbar sind, ist die Aut-idem-Regelung auf Phytopharmaka derzeit nicht anwendbar.

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