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Pharmaverband BPI: Leidensdruck ist noch nicht hoch genug

FRANKFURT/MAIN (ri). Apotheker müssten sich in den nächsten Jahren auf ein Worst-case-Szenario einstellen, sie sollten mehr die Regeln des Marketing lernen, wenn sie nicht untergehen wollten, meinte ein Referent auf einer Veranstaltung des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie am 20. März in Frankfurt/Main, auf der es u. a. um Selbstmedikation ging. Dr. Dagmar Walluf-Blume, Leiterin der Fachabteilung Selbstmedikation, und ihr Kollege, Christian Heller, der Vorsitzende der Fachabteilung, zeigten außerdem die politische Position des BPI zu drängenden Fragen des Gesundheitswesens auf.

In einer Diskussionsrunde trat die krasse Differenz in der Bewertung der künftigen Lage der Apotheker zwischen Innen- (der Apotheker) und Außensicht (der Marketing-Experten) deutlich zutage. Zur Frage, was der Kunde in der Apotheke erwarte, hatte der einzige Vertreter der Apotheker, Fritz Becker vom Landesapothekerverband Baden-Württemberg, in seinem Referat die Stichpunkte "Beratung, Qualität, Betreuung, Problemlösung, Sicherheit, und Individualität" angegeben. Während der Diskussion monierte er, dass die Politik den Versandhandel wolle, in dessen Gefolge aber das ganze System zusammenbrechen werde.

Zu beiden Punkten äußerte sich Bernd M. Michael, Agentur CEO & Chairman Grey Worldwide: "Wenn Sie meinen, die Apotheker werden künftig von Kunden wegen der Beratung aufgesucht, so sage ich Ihnen, dass das nicht stimmt. Sofern Sie sich mit solchen Einsichten beruhigen wollen, dann tun Sie das – die Realität sieht anders aus: Die Apotheker haben bisher in einem Naturschutzreservat gelebt und müssen sich nun auf den Mass-Market einstellen und richtiges Marketing lernen. Die Konkurrenz der Versandhändler ihrerseits kennen den Kunden nicht und werden schon deshalb ein Marketing hinlegen, dass es nur so rauscht."

Grundregeln des Marketing lernen

Auf die Frage, wie sich Apotheker für die Zukunft rüsten sollten, empfahl der weltweit agierende Experte, die Grundregeln des Marketing zu lernen: "2000 Apotheker sind aktiv und kennen die Marketing-Sprache. Der Rest spricht Latein. Sie müssen sich auf ein Worst-Case-Szenario einstellen und dabei bedenken: Eine Marke ist unabhängig vom Vertriebskanal. Anstelle zu jammern, sollten Sie ihre hohe Glaubwürdigkeit kommunizieren. Wir als Agenturen schaffen es, bei den Leuten ein Problembewusstsein herzustellen, ob sie das richtige Toilettenpapier gekauft haben oder nicht – da müssten sie doch bei dem Thema Nummer eins, das alle Menschen interessiert, nämlich der Gesundheit, in der Lage sein, das ebenfalls zu kommunizieren. Die ABDA bräuchte eine fähige Agentur, die diesen Job übernimmt!"

Becker wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass er schon vor zehn Jahren Marketing propagiert habe und etliche Apotheker die Menetekel der Politik einfach nicht zur Kenntnis nehmen wollen: "Im Alltag sieht das dann so aus, dass die einzelnen Apotheker mir sagen, ihr habt schon vor zehn Jahren geunkt und habt den Karren wieder aus dem Dreck gezogen, jetzt geht halt nach Berlin und regelt die Sachen wieder genauso in unserem Sinn."

Gegen Ende der Diskussion widersprach keiner der versammelten Marketing-Experten der Ansicht von Michael, der feststellte: "Wahrscheinlich ist der Leidensdruck doch noch nicht hoch genug. Erst wenn der Leidensdruck massiv ist und die Leute begreifen, dass sie demnächst keine Zukunft mehr haben, werden sie aktiv werden. Momentan bedauern sie sich lieber selbst, anstelle sich beispielweise zusammenzuschließen und selbst das attraktivste Versandhaus auf die Beine zu stellen."

Selbstmedikations-Markt wächst in sich

Dr. Dagmar Walluf-Blume verwies auf die positive Entwicklung im Bereich Selbstmedikation. So sei der Umsatz im Selbstmedikationsmarkt nach Angaben von IMS Health um 2,3% auf 8,3 Mrd. DM bzw. 4,3 Mrd. A gewachsen. Das Erfreuliche: Das Wachstum in der Selbstmedikation kommt nicht mehr wie die Jahre zuvor aus dem Umsatzrückgang bei den verordneten rezeptfreien Arzneimitteln, sondern es ist in sich selbst begründet – die Gewinner sind die starken Marken. Vor dem Hintergrund der verstärkten Entlassung etlicher Arzneistoffe aus der Verschreibungspflicht gelte es, die Kompetenz des Verbrauchers zu stärken. Im Übrigen sei es das Credo des BPI, die Selbstmedikation zu fördern, ohne dass sie damit staatlich verordnet werden dürfe.

Konkret bedeute dies, dass die Patienten nicht vor die Wahl gestellt werden sollten, entweder auf ein bewährtes Arzneimittel zu verzichten oder es selbst kaufen zu müssen. Ärzte sollten weiterhin die Option haben, rezeptfreie Arzneimittel zu Lasten der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) verordnen zu dürfen. Schließlich sei es auch das positive Nutzen/Risiko-Verhältnis das "zweifelsfrei für eine Erstattungsfähigkeit spricht", schlussfolgerte Dr. Dagmar Walluf-Blume.

Da im Verständnis der Verbraucher sich die Selbstmedikation nicht nur auf Arzneimittel beschränke, sondern auch sonstige Gesundheitsprodukte wie beispielsweise Nahrungsergänzungsmittel einschließe, sei es nur folgerichtig, dass die Markenhersteller zunehmend Dachmarkenkonzepte verfolgen. Es ist nach Ansicht von Dr. Dagmar Walluf-Blume eine wesentliche Aufgabe, den Verbraucher bezüglich der Akzeptanz dieser Dachmarken vor Irreführungen hinsichtlich des Produktcharakters zu schützen und ihm Verbrauchersicherheit zu gewährleisten: "Vor diesem Hintergrund haben Markenverband und die pharmazeutischen Verbände BPI, VFA und BAH gemeinsam einen "Code of best practice" für Dachmarkenkonzepte erarbeitet. Dieser dient in erster Linie als eine Handlungsanleitung für die Mitarbeiter der Marketingabteilungen der Industrie und wird in Kürze den Mitgliedsfirmen der Verbände zur Verfügung gestellt werden."

Die pharmazeutische Industrie spielt bei der Patientenaufklärung eine Schlüsselrolle. Eines ihrer zentralen Informationsmedien ist dabei die Packungsbeilage. Um die Arzneimittelsicherheit und die Compliance zu gewähren, haben die Verbände der pharmazeutischen Industrie gemeinsam mit dem BfArM eine "vollständig neu überarbeitete Empfehlung zur Gestaltung von Packungsbeilagen abgestimmt. Diese Empfehlung ist heute schon Grundlage für die Überarbeitung bestehender Mustertexte für Fach- und Gebrauchsinformationen des BfArM", erläuterte Dr. Walluf-Blume. Um die Stellung der Apotheke als Gesundheitszentrum zu festigen, habe der BPI zusammen mit den Verbänden BAH und DAV zum zweiten Mal einen Selbstmedikations-Kongress veranstaltet.

Internet kann keine Emotionen ersetzen

Im Hinblick auf die Rolle des Internets wies die Vertreterin des BPI auf eine gravierende Schwäche dieses Mediums hin: "Obwohl es einen Wandel in der Kommunikation bewirkt hat, fehlt diesem Medium ein wesentliches Kommunikationselement, nämlich die emotionale Komponente. Verbraucher schätzen insbesondere im sensiblen Bereich Gesundheit eine persönliche Ansprache und Betreuung, denn der emotionale Aspekt beim Erwerb von Arzneimitteln und Gesundheitsprodukten ist stark ausgeprägt. Dieses Bedürfnis kann in der Apotheke gestillt werden und sollte als Wettbewerbsvorteil ausgenutzt werden." Da sich seit der Jahrtausendwende eine neue so genannte Kondratieff-Welle ausbilde, in deren Mittelpunkt Gesundheit und Umwelt stünden, stelle sich für die Zukunft die große Frage, inwieweit die Pharmaindustrie in der Lage sei, diesem Bedürfnis ein "gescheites" Angebot gegenüberzustellen.

Der Vorsitzende der Fachabteilung, Christian Heller, kritisierte etliche politische Maßnahmen als untauglich und verwies insbesondere im Hinblick auf die Aut-idem-Regelung auf die Fragwürdigkeit des angeblichen Einsparpotenzials: "Belegt ist diese Rechnung jedoch nirgends. Im Gegenteil wurde in der Anhörung zum AABG am 6. November 2001 anhand von Aussagen der Kassenvertreter (Schmeinck für die BKK, Klauber für das WIdO) deutlich, dass die eigentlich nutznießenden gesetzlichen Krankenkassen den Einspareffekt als höchst unsicher einschätzen und dass die daraus resultierende Summe in deren Kalkulation für eine Beitragsentlastung der GKV keine Rolle spielt."

In der Frage der möglichen Abschaffung der Arzneimittelpreisspannenverordnung sei der BPI zusammen mit der ABDA der Auffassung, dass unterschiedliche Preise für den Patienten nicht zumutbar seien. Bei der Problematik der Nachzulassungsverfahren beklagte Heller, dass das BfArM "wie zuvor dem BPI mehrfach erklärt - die Anordnung der sofortigen Vollziehung von Nachzulassungsversagungen nur auf begründete Einzelfälle beschränkt."

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