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Neuer Gesetzentwurf: Schmerzensgeld für Arznei-Geschädigte

BONN (im). Die Bundesregierung will die Haftung für Arzneimittel und hier konkret die Beweislage von Arzneimittel-Geschädigten verbessern. Für die Betroffenen soll es Beweiserleichterungen geben. Darüber hinaus haben geschädigte Patienten künftig einen Anspruch auf Auskunft gegenüber dem pharmazeutischen Unternehmer und der Zulassungsbehörde. Erstmals wird ein Schmerzensgeld eingeführt. Das sieht der Gesetzentwurf der Bundesregierung vor, den Bundesjustizministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD) am 24. September in Berlin vorgestellt hat.

Bisher mussten diejenigen, die Schäden durch die Arzneimitteleinnahme erlitten, beweisen, dass das Medikament die Gesundheitsschädigung verursachte, was als schwierig gilt. Bereits in der vergangenen Legislaturperiode hatte es Anstrengungen gegeben, dies zu Gunsten der Opfer zu verändern.

Abgeguckt bei der Umwelt

Nun soll es eine Regelung ähnlich wie im Umwelthaftungsgesetz geben. In der Regierungsvorlage einführt, heißt es: "Ist das angewendete Arzneimittel nach den Gegebenheiten des Einzelfalls geeignet, den entstandenen Schaden zu verursachen, so wird vermutet, dass der Schaden durch dieses Arzneimittel verursacht ist." Der pharmazeutische Unternehmer muss dann diese Vermutung widerlegen. Auf ein anderes, zugleich verwendetes Arzneimittel als Schadensursache kann er sich nicht berufen.

Wo liegt Ursache?

Darüber hinaus gibt es die Beweislastumkehr für den Fehlerbereich. Bisher musste der Patient beweisen, dass die schädlichen Arzneimittelwirkungen ihre Ursache in der Entwicklung oder Herstellung haben und nicht etwa durch falsche Lagerung entstanden. Das wird nun umgekehrt, sollte das Gesetz so wie vorgelegt in Kraft treten. Künftig muss der Hersteller belegen, dass die Ursache nicht in der Entwicklung oder Herstellung liegt, sondern beim Transport oder bei der Lagerung zu finden ist.

Ersatz des immateriellen Schadens

Neu ist der Anspruch auf Schmerzensgeld, den es bisher bei der Gefährdungshaftung nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) nicht gab. Dieses soll den immateriellen Schaden ersetzen. Der Gesetzentwurf sieht ausdrücklich eine Bagatellgrenze für das (verschuldensunabhängige) Schmerzensgeld vor. Voraussetzung für die Haftung ist, dass das Präparat bei bestimmungsgemäßer Verwendung "nicht unerhebliche" Gesundheitsschädigungen – unter Berücksichtigung ihrer Art und Dauer – verursachte. Es ist zum Beispiel nicht erforderlich, dass es sich um einen dauerhaften Schaden handelt. Ein Schmerzensgeld kann demnach auch dann in Betracht kommen, wenn eine Schädigung nur kurz, aber von ihrer Art her schwer ist. Umgekehrt sei denkbar, heißt es im Gesetzentwurf, dass ein Schaden so lang andauert, dass seine Art untergeordnet ist.

Als "unerheblich" zählen zum Beispiel

  • Kopfschmerzen
  • Schleimhautreizungen
  • Schürf-, Schnittwunden, Prellungen oder Zerrungen.

Es wird zwar keine bestimmte Summe angegeben, das Bundesjustizministerium geht aber davon aus, dass die Schädigungen unter der Schwelle liegen, die bisher mit einem Schmerzensgeld von unter 1000 Mark abgefunden wurden. Die Haftungshöchstgrenze wird für den individuellen Fall von einer Million Mark auf 600 000 Euro (rund 1,17 Millionen Mark) heraufgesetzt.

Auskunft der Firma/ des BfArM

In Zukunft haben Patienten Anspruch auf Auskunft über alle Erkenntnisse des Arzneimittelherstellers und der Zulassungsbehörde, also dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Die Geschädigten können so zum Beispiel Hinweise über bekannte unerwünschte Wirkungen oder Anzeichen von Nebenwirkungen verlangen. Sie sollen so in die Lage versetzt werden, den möglichen Ursachenzusammenhang zwischen ihren Gesundheitsschäden und dem angewendeten Arzneimittel zu beurteilen.

Das Bundesjustizministerium hält die Erweiterung des Schutzbereichs des AMG für mittelbar Geschädigte – beispielsweise sekundärinfizierte Personen – nicht für notwendig. Diese Kranken seien bereits vom Wortlaut des entsprechenden Paragraphen (§ 84 AMG) erfasst. Das Gesetz soll am 1. Januar 2002 in Kraft treten.

Kastentext: Keine Folge von Lipobay

Der Referentenentwurf zur jetzigen Neuregelung der Arzneimittelhaftung war den Fachkreisen lange vor den Geschehnissen um den Lipidsenker Lipobay bekannt. Am 24. September 2001 stellte die Bundesjustizministerin den Gesetzentwurf vor, den das Kabinett beschlossen hat. Nicht zuletzt der Skandal um HIV-verseuchte Blutprodukte Anfang der 90er Jahre habe die Notwendigkeit von Verbesserungen deutlich gemacht, steht in der Begründung des Gesetzes.(im)

Kastentext: Arzneihaftung – ein Beispiel

Auf Verordnung seines Arztes hat ein Patient ein Arzneimittel eingenommen, das infolge bakterieller Verunreinigung zu einem erheblichen Leberschaden führte. Der pharmazeutische Unternehmer konnte bisher argumentieren, das Medikament habe seinen Betrieb einwandfrei verlassen und sei offenbar wegen Hygienemängeln während des Transports infiziert worden. Nach geltender Rechtslage müsste der Patient nachweisen, dass die Verunreinigung bereits im Betrieb des Herstellers erfolgte, was nahezu unmöglich ist. Mit dem neuen Gesetz soll die Beweislast für den Fehlerbereich umgekehrt werden. Künftig muss der Unternehmer nachweisen, dass die schädlichen Wirkungen nicht bei Herstellung und Entwicklung, sondern auf dem Transport oder bei der Lagerung entstanden.

Kastentext: Mehr Schutz

Das Bundesjustizministerium will den Schutz von Arzneimittel-Geschädigten im Bereich der Arzneimittelhaftung verbessern. Verursacher sollen auch dann Schmerzensgeld zahlen, wenn sie weder vorsätzlich noch fahrlässig schuldhaft gehandelt haben. Tritt das Gesetz so wie vorgelegt Anfang 2002 in Kraft, erhalten Geschädigte einen Anspruch auf Auskunft gegenüber Pharma-Unternehmen und Zulassungsbehörde. Beweisverfahren werden erleichtert. Die Haftungshöchstgrenze soll von einer Million Mark auf 600 000 Euro (rund 1,17 Millionen Mark) heraufgesetzt werden. Der Gesetzentwurf sieht eine Bagatellgrenze für die Gewährung von Schmerzensgeld vor.(im)

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