Kongressbericht

Arzneiversand via Internet?

Der Versandhandel von Arzneimitteln via Internet ist ein Thema, das spätestens seit der Eröffnung der niederländischen Versandapotheke 0800DocMorris die Gemüter bewegt. Was für die einen ein Verstoß gegen das bestehende Versandhandelsverbot und eine Gefahr für die Arzneimittelsicherheit darstellt, betrachten andere als Chance, die Kosten der Arzneimitteldistribution zu senken und neue Wettbewerbsinstrumente zu schaffen. Unter der Moderation von Dr. Christian Rotta, Geschäftsführer des Deutschen Apotheker Verlages, diskutierten der Marketingleiter von 0800DocMorris, Jens Apermann, die Juristen Prof. Dr. Christian Koenig, Bonn, und Prof. Dr. Hilko Meyer, Frankfurt/Main, sowie Regierungsdirektor Dr. Gert Schorn vom Bundesgesundheitsministerium, Bonn, und Dr. Klaus G. Brauer über Sinn und Unsinn dieses alternativen Vertriebsweges für Arzneimittel.

Am 8. Juni 2000, startete der Apotheker Jacques Waterval mit der Internet-Website "0800DocMorris.com", über die er den Versand von Arzneimitteln, auch nach Deutschland, bewarb und durchführte. Am 9. November 2000 urteilte das Landgericht Frankfurt, dass es verboten ist, einen gewerbsmäßigen Versandhandel für verschreibungspflichtige und nicht verschreibungspflichtige Medikamente über das Internet nach Deutschland anzubieten, zu bewerben und durchzuführen. DocMorris ist es seither per einstweiliger Verfügung untersagt, Arzneimittel nach Deutschland zu versenden. Geöffnet ist die niederländische Versandapotheke allerdings weiterhin "für alle Bürger in der Europäischen Union", und auch an der Werbung im Internet hat sich nicht viel geändert. DocMorris versendet zwar keine Arzneimittel mehr nach Deutschland, bietet jedoch dem Nutzer an, diese - ohne Aufpreis und vermittelt durch DocMorris - per Kurier im niederländischen Kerkrade abholen zu lassen.

DocMorris geht europäisch vor

Zu dieser Vorgehensweise befragt, antwortete Jens Apermann, dass man sich durchaus im Klaren sei, dass es sich hierbei um eine "kreative Auslegung der deutschen Gesetzeslage" handele. Allerdings sehe man sich durch europäisches Recht bestätigt. Dieses besage, dass nach dem Grundsatz der Warenverkehrsfreiheit mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten der EG verboten sind (Art. 28 EG-Recht). Nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs gelte dies auch für Arzneimittel, sofern sie zur Deckung des eigenen Bedarfs bezogen werden. "Wir nutzen diese Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs und gehen beim Betrieb von DocMorris europäisch vor", rechtfertigte Apermann die DocMorris-Haltung.

Verstoß gegen deutsche Bestimmungen

Nach Aussage des Frankfurter Rechtsprofessors Hilko J. Meyer ändert dies allerdings nichts an der Tatsache, dass DocMorris in vielfältiger Weise gegen geltendes Recht verstößt. Das Angebot von DocMorris, so Meyer, sei im Wesentlichen auf den deutschen Markt ausgerichtet und unterliege daher auch der hier gültigen Rechtsprechung. Nach dieser ist der gewerbliche Versandhandel von Arzneimitteln jedoch eindeutig verboten. "Das Versandhandelsverbot in § 43 des Arzneimittelgesetzes (AMG) gilt nicht nur für deutsche Apotheken, sondern für jeden, der in Deutschland apothekenpflichtige Arzneimittel in Verkehr bringt oder damit Handel treibt", so Meyer. Weitere Verstöße liegen laut Meyer gegen das Heilmittelwerbegesetz, gegen die Zulassungspflicht und gegen die Arzneimittelpreisverordnung vor.

Weg von der deutschen - hin zu einer europäischen Lösung

Professor Christian Koenig, der für DocMorris ein Gutachten zur Zulässigkeit des Einzelbezugs apothekenpflichtiger Arzneimittel aus dem Ausland erstellt hatte, verteidigte dagegen den Versandhandel über das Internet. Seiner Ansicht nach ist das Urteil des Landgerichts Frankfurt/Main nicht ausschlaggebend für die künftige Entwicklung, zumal es ein Urteil des Landgerichts Berlin gibt, das der Frankfurter Entscheidung entgegensteht. "Entscheidend wird es sein, was auf europäischer Ebene entschieden wird", so Koenig. Hier sei eine Entscheidung für den Versandhandel mit Arzneimitteln sehr wahrscheinlich. Diese Entscheidung, so Koenig, werde sich im Übrigen nicht wie vielfach fälschlich angenommen, auf die E-Commerce-Richtlinie beziehen. Diese Richtlinie, die im Mai letzten Jahres endgültig verabschiedet wurde und den elektronischen Geschäftsverkehr von Waren regelt, sei auf Warenlieferungen in der realen physischen Welt nämlich gar nicht anwendbar. Koenig betonte abschließend, dass eine Entscheidung für den Arzneimittelversandhandel, unabhängig davon, auf welcher rechtlichen Basis sie gefällt würde, unbedingt den Verbraucherschutz berücksichtigen müsse: "Wenn das gegeben ist, ist ein Verbot des Versandhandels von Arzneimitteln rechtswidrig."

Keine emotionalen Diskussionen

Auch Dr. Gert Schorn vertrat die Meinung, dass man sich bei der Frage "Versandhandel mit Arzneimitteln ja oder nein" in einer Dynamik befinde. Die oberste Priorität der Regierung in diesem Zusammenhang sei der Schutz des Verbrauchers und die Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung. "Wir werden prüfen, ob der Verbraucherschutz durch den Versandhandel mit Arzneimitteln gefährdet ist oder nicht, und nach Regelungen suchen, für den Fall, dass E-Commerce künftig erlaubt wird," führte Schorn aus. Gemeint seien dabei auch Regelungen, die dem Schutz der Apotheken dienen sollten. Dass diese dem Versandhandel von Arzneimitteln negativ gegenüberstünden, sei verständlich. Allerdings, so Schorn, werde das Thema von der Apothekerschaft zu emotional behandelt. Er forderte eine deutliche Stellungnahme der Apothekerinnen und Apotheker zum Thema Arzneimittelversandhandel, wobei die Ängste bezüglich der wirtschaftlichen Folgen ehrlich genannt werden und nicht hinter Argumenten wie der Arzneimittelsicherheit versteckt werden sollten.

Die Vertrauensbasis fehlt

Gegen diesen Vorwurf wehrte sich Dr. Klaus Brauer. Er argumentierte, dass die Ängste bezüglich der Folgen für die Arzneimittelsicherheit durchaus berechtigt seien, da der Versand mit Arzneimitteln allenfalls innerhalb Deutschlands kontrollierbar wäre, nicht jedoch auf europäischer Basis und schon gar nicht weltweit. "Selbst wenn DocMorris ein seriöser Anbieter wäre, wer garantiert für Päckchen, die nach Erweiterung der EG aus Osteuropa, die aus Südamerika oder sonstwoher kommen?" Der lockere Umgang mit dem deutschen Gesetz, auch der von DocMorris, nehme die Vertrauensbasis, dass Regelungen, die im Rahmen der Versandhandels-Legalisierung getroffen würden, Beachtung fänden. Dennoch, so Brauer, sei sich natürlich auch die Apothekerschaft darüber im Klaren, dass das Problem Arzneimittelversand nicht durch eine strikte Blockadehaltung gelöst werden könne. Seiner Ansicht nach gibt es drei Möglichkeiten für die Zukunft: 1. Es gibt auch künftig keinen Arzneimittelversandhandel. 2. Ja, aber: Der Versandhandel mit Arzneimitteln wird erlaubt, jedoch in einem kontrollierten Umfeld. 3. Nein, aber: Prinzipiell ist der Versandhandel verboten, bestimmte Ausnahmefälle sind jedoch denkbar. "Egal welcher Fall eintritt: es müssen für alle Beteiligten dieselben Bedingungen gelten. Es kann nicht sein, dass die einen Rosinenpickerei betreiben dürfen und die anderen das volle Sortiment anbieten müssen", schloss Brauer.

Arzneimittelversandhandel: Ja, aber?

Dazu befragt, welcher der drei Fälle seiner Meinung nach künftig eintreten werde, sprach sich Schorn für die "Ja, aber-Lösung" aus. Er appellierte an die Apothekerschaft, sich dieser Tatsache nicht zu verschließen, sondern aktiv Vorschläge zu erarbeiten, wie der E-Commerce sinnvoll und "Apotheken-verträglich" umzusetzen sei. Dem schloss sich Koenig, der den Arzneimittelversandhandel prinzipiell befürwortet, an und ergänzte, dass Vorschläge nicht nur national, sondern europaweit notwendig seien: "Die Diskussion Versandhandel ja oder nein, ist mittelalterlich. Die Legalität des Arzneimittelversandhandels ist europäische Rechtsrealität. Jetzt muss man nur noch entscheiden, wie man damit umgeht und was man daraus macht." Meyer hielt sich mit seiner Meinung zur Frage, welcher der drei Fälle eintreten werde, zurück. Man müsse abwarten, wie die anstehenden Entscheidungen ausfallen. Sollte der Versandhandel mit Arzneimitteln allerdings legalisiert werden, dürfe man die Brisanz der Auswirkungen auf die Arzneimittelsicherheit nicht unterschätzen. Auch Brauer wies auf diesen Aspekt nochmals hin. Er kritisierte zudem, dass viele Beteiligten im Gesundheitswesen den bisherigen Vertriebsweg von Arzneimitteln wegen "einem Phantom, das sich am Horizont abzeichnet" in Frage stellen würden. Durch diese Haltung werde fälschlich der Eindruck vermittelt, dass etwas rechtlich zwingend sei, nur weil es vielleicht rechtlich möglich ist. Hier sollte doch klar unterschieden werden. ral

Die deutsche Apothekengesetzgebung und das deutsche Arzneimittelrecht wird sich intensiv mit der Frage auseinandersetzen müssen, unter welchen Bedingungen ein Arzneimittelversand – oder besser gesagt eine Arzneimittelzustellung – möglich sein kann. Die Frage, ob es einen Versand/Zustellung geben soll und darf, ist schon weit in den Hintergrund getreten, man – auch Regierungsvertreter – geht davon aus, dass er kommt. Jetzt kommt es darauf an, dass dies "apothekenverträglich" umgesetzt wird. Es zeigen sich Tendenzen, dass z. B. die Zustellung von Arzneimitteln per pharmazeutischem Boten (z. B. PTA) in einem für jede Apotheke regional begrenzten Umfeld ermöglicht wird, und zwar nicht nur im begründeten Einzelfall, sondern generell, sofern der Kunde dies möchte.

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