DAZ aktuell

"Kehrtwende in der Gesundheitspolitik"

Das geplante Vorschaltgesetz wurde von Apothekern, die den Verlust von Arbeitsplätzen befürchten, Ärzten und pharmazeutischen Herstellern kritisiert. Positiv haben es die gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen.


Der Entwurf des Solidaritätsstärkungsgesetzes sieht die Absenkung der Arzneizuzahlungen der Patienten ab Januar 1999 auf acht, neun und zehn Mark vor. Der Arzneisektor erhält ein striktes Arzneibudget, bei dem 1996 die Basis ist, abzüglich 4,5 Prozent für die seither erfolgten höheren Selbstbehalte der Patienten. Durch abgesenkte Festbeträge sollen die Krankenkassen 900 Millionen Mark sparen (siehe DAZ Nr. 46 vom 12.11.)

"Fehdehandschuhe aufgenommen"


Ministerin Fischer erklärte in der Debatte im Parlament engagiert, sie hebe alle Fehdehandschuhe auf. Zugleich lud sie zum Dialog ein. Das Vorschaltgesetz enthalte zunächst nur die nötigsten Maßnahmen zur Wiederherstellung der Solidarität in der GKV und der Gewährleistung stabiler Beitragssätze. Dazu gehöre insbesondere die überproportionale Entlastung von chronisch Kranken und Älteren (siehe auch Bericht in AZ Nr. 47 vom 16. 11.). Für die wichtigsten Bereiche werden die Ausgaben im kommenden Jahr begrenzt.

Begründung des Arzneibudgets


Nicht in der Rede der Ministerin, jedoch in der gleichzeitig verbreiteten Presseerklärung aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) waren einige Passagen zum geplanten Deckel für den Arzneimittelbereich enthalten. Um ärztlich veranlaßte Leistungen zu begrenzen, sehe das Gesetz konkrete Vorgaben für Arznei-, Verband- und Heilmittelbudgets vor, heißt es dort. Die aktuelle Ausgabenentwicklung mit zweistelligen Zuwächsen bei Heilmitteln im ersten Halbjahr 1998 und einer "sprunghaften Ausgabenexpansion" bei Medikamenten seit Mitte dieses Jahres zeige nicht nur die dringende Notwendigkeit, die Wirtschaftlichkeit in diesem Bereich zu verbessern. Sie zeige auch, so das BMG, daß die "drastisch" erhöhten Selbstbehalte "den Leistungserbringern zugeflossen" seien. Daher werde mit der Vorgabe für die Budgets 1999 auf der Basis des Jahres 1996 unter Abzug der bislang erfolgten Zuzahlungen ein konkreter Orientierungsrahmen geschaffen. Die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) könnten aufgrund verschiedener Parameter die Budgets fortschreiben. Das Ministerium führt dabei auf: Wirtschaftlichkeitsreserven und Innovationen, Preisveränderungen, Alter und Zahl der Versicherten in der KV-Region. Zugleich gibt es eine Regelung für den Regreß für die Ärzte, die bei Überschreitung des Budgets mit ihrem Honorar haften sollen. Damit die niedergelassenen Mediziner nicht zu hoch belastet werden, müßten sie maximal fünf Prozent des Budgets zurückzahlen. Für die Vergangenheit entfallen Ansprüche aus eventuell überschrittenen Budgets, heißt es in der Pressemitteilung weiter. Die Mitarbeiter im Hause Andrea Fischer meinen, daß die neue Möglichkeit der KVen, die Ärzte über "preiswerte Verordnungsalternativen" zu beraten, die Einhaltung des Ausgabendeckels erleichtert.

"Noch Spielräume bei Festbeträgen"


Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf sollen darüber hinaus "weitere Preissenkungsspielräume auf dem Arzneimittelmarkt ausgeschöpft" werden. Dies bezieht sich auf die geplante weitere Absenkung von Festbeträgen, die die Spitzenverbände der Krankenkassen verpflichte, bei vergleichbaren Arzneimitteln die Erstattungshöchstgrenzen im unteren Drittel der Abgabepreise festzulegen.
Wie die Ministerin bekräftigte auch der SPD-Sozialexperte Rudolf Dreßler den Willen zu einer Kehrtwende in der Gesundheitspolitik hin zu mehr Solidarität und zur paritätisch finanzierten GKV. Die "unseligen" Gesetze der alten Regierung würden korrigiert. Heftige Kritik kam dagegen von Politikern von Union und FDP, die der neuen Koalition den Weg in die Planwirtschaft vorwarfen. Es drohten Rationierungen von Leistungen im Herbst kommenden Jahres, wenn die Budgets nicht mehr ausreichten.

Arzneisektor wird einseitig belastet


Der Präsident der ABDA-Bundesvereinigung deutscher Apothekerverbände Hans-Günter Friese bemängelte die einseitige Belastung des Arzneimittelbereichs zur Kompensation der Mindereinnahmen. Im Gespräch mit der DAZ-Apotheker Zeitung nannte er das Beispiel der Festbeträge, durch deren Absenkung die Hersteller einen Sparbeitrag bringen sollten, die jedoch auch die Apotheken träfen. Der Präsident bedauerte es, daß die Ministerin die Gesprächsbereitschaft der ABDA nicht aufgegriffen habe. Komme der Entwurf in der Form, werde der Verlust von Arbeitsplätzen nicht zu verhindern sein, da Rationalisierungsreserven in den Apotheken ausgeschöpft seien. Er verwies auch auf den engen Zeitplan der Softwarehäuser für die Umstellung der Zuzahlungen. Da der Bundesrat erst am 18. Dezember endgültig zustimmen könne, werde die Umstellungszeit exakt in die Weihnachtszeit fallen, prophezeite Friese.

Ärzte: Schnellschuß nach hinten


Heftige Kritik äußerte auch der Präsident der Bundesärztekammer Karsten Vilmar in Köln. Die vorgesehene Budgetierung begrenze zwar die Ausgaben im Gesundheitswesen, nicht aber die Krankheiten und Behandlungsmöglichkeiten.
%Zwar verspreche das Spargesetz den Versicherten Ersparnisse, es drohe jedoch die Gefahr, daß dem Patienten im Einzelfall notwendige Leistungen vorenthalten werden. Auch könne die zunehmende Lebenserwartung mit steigenden Mehrfacherkrankungen sowie der medizinische Fortschritt nicht durch Rationalisierungen aufgefangen werden, meinte Vilmar.

BPI: Schlechte Basis für Arzneibudget


Der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie (BPI) bezeichnete es als "grotesk", ausgerechnet das Arzneibudget von 1996, das zudem um 4,5 Prozent abgesenkt werde, zur Basis für die Arzneiversorgung im kommenden Jahr zu machen. Der BPI erinnerte daran, daß die niedergelassenen Ärzte damals Medikamente rationieren mußten und die Kassenärztliche Bundesvereinigung ein Notprogramm vorgelegt hatte. Daher sei bereits heute absehbar, daß Ende 1999 die Patienten nur unzureichend versorgt werden könnten. Kritisch sieht dieser Verband zudem die geplante Absenkung von Festbeträgen, die bei Fortschreibung eine Preisspirale nach unten provoziere.
Der Bundesfachverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) begrüßte in Bonn die Absenkung der Arzneizuzahlungen. Sie sei ein Schritt in die richtige Richtung zu einem mehr patientengerechten und nicht rein an den GKV-Einnahmen orientierten Selbstbehalt. Der BAH erinnerte an die Gefahr, daß wegen der bisherigen Höhe der Zuzahlungen notwendige medikamentöse Therapien unterblieben.

Kassen: Ausgabenbegrenzung nötig


Das Vorschaltgesetz stieß bei den gesetzlichen Krankenkassen auf positive Resonanz. Es zeige den Willen der Regierung, die notwendige Balance zwischen einer langfristigen Sicherung der Finanzierung und der Weiterentwicklung der GKV herzustellen, so die gemeinsame Erklärung der GKV-Spitzenverbände am 11. November in Bonn. Die Kassen forderten zugleich eine solide Gegenfinanzierung. Um stabile Beitragssätze zu sichern und Lohnnebenkosten nicht weiter zu belasten, sei die vorläufige Ausgabenbegrenzung in den Krankenhäusern, im ambulanten Bereich und bei den Arzneimitteln dringend erforderlich. Zusätzliche Ausgaben müßten woanders eingespart werden. Nur unter diesen Voraussetzungen könne das Vorschaltgesetz den Weg zu einer Strukturreform ebnen. Die für 2000 geplante Reform müsse auf die Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven, Qualitätsverbesserungen und die stärkere Vernetzung der Versorgungsstrukturen abzielen. Nötig sei vor allem eine Reform im Krankenhaussektor.l

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