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Pflanzliche Arzneimittel: Demnächst viele Phytos als Lebensmittel?

BONN (hb). Für die Vermarktungsbedingungen pflanzlicher Arzneimittel stehen unter Umständen dramatische Veränderungen an. Dies wurde beim 6. internationalen Symposium der European Scientific Cooperative for Phytotherapy (ESCOP) am 10./11. Mai 2001 in Bonn deutlich. Mehrere europäische Gesetzesinitiativen, die ihre Einstufung bzw. ihre mögliche Diversifizierung in verschiedene Produktkategorien maßgeblich bestimmen werden, lassen erkennen, dass vielleicht der überwiegende Teil der Phytos in den Lebensmittelsektor "abdriften" könnte.

Diese Gesetzesinitiativen stellte Dr. Bernd Eberwein vom Bundesfachverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) in Bonn den rund 210 Teilnehmern aus zahlreichen, auch außereuropäischen Ländern vor.

Richtlinie über traditionelle Arzneimittel

Nach dem Richtlinienentwurf (2. Entwurf von April 2001) soll bei der europäischen Arzneimittelagentur (EMEA) ein neuer Ausschuss eingerichtet werden, der nach dem derzeitigen Stand der Diskussion harmonisierte Monographien für traditionelle Arzneimittel zur Verfügung stellen und für die praktische Umsetzung der europäischen Richtlinie über Arzneimittel mit allgemeiner medizinischer Verwendung, d. h. mit langen Anwendungserfahrungen (well-established-use-Richtlinie 1999/83/EG) Sorge tragen soll.

Richtlinie über Nahrungsergänzungen

Mit dem geänderten Vorschlag von 2001 soll der Anwendungsbereich der Richtlinie über Nahrungsergänzungen (Entwürfe von 1990 und 2000) auf "andere Substanzen mit einer ernährungs- oder physiologischen Funktion" ausgeweitet werden. Hierunter würden dann z. B. auch Zubereitungen aus Knoblauch oder Artischocke fallen. Anhand einer Übersicht machte Eberwein deutlich, welche gesundheits- bzw. krankheitsbezogenen Indikationen für Produkte im Grenzbereich zwischen Lebensmitteln und Arzneimitteln derzeit schon Realität bzw. in Zukunft noch denkbar sind.

In Planung: europäische Lebensmittelagentur

Nach dem Verordnungsentwurf über die Einrichtung einer europäischen Lebensmittelagentur (COM [2000] 716, geänderter Vorschlag: 2001/C96E/17) sollen alle Produkte, die nicht ausschließlich arzneilichen Zwecken dienen, dem Lebensmittelbereich zugeordnet werden. Angesichts dieser Entwürfe prognostiziert der BAH-Geschäftsführer eine dramatische Veränderung der regulatorischen Rahmenbedingungen für pflanzliche Arzneimittel. Eberwein zieht hieraus folgende Konsequenzen: die Zulassung eines Phytopharmakons als Arzneimittel werde teurer und aufwendiger mit der Folge einer Konzentration auf einige wenige Produkte. An traditionelle Phytos würden zwar dieselben Qualitätsanforderungen gestellt wie an diejenigen mit belegten Indikationen, allerdings würden diese sich im Hinblick auf ihren Indikationsanspruch mit den Nahrungsergänzungen messen müssen. Für pflanzliche Zubereitungen als Nahrungsergänzungen würden die Qualitätsanforderungen aller Voraussicht nach niedriger sein, aber diese würden sich dem Wettbewerb mit neuen Akteuren aus dem Lebensmittelsektor stellen müssen.

Auch wenn sich aus diesem Szenario eventuell manche Erleichterungen in Bezug auf die Hürde des Marktzugangs ergäben, lege die Industrie, so resümierte Eberwein, auf den Arzneimittelstatus der Produkte doch weiterhin großen Wert und eine Einstufung sämtlicher Phytos etwa als Nahrungsergänzungen werde kategorisch abgelehnt.

Schützenhilfe aus Brüssel und London

Zwei vehemente und durchaus bedeutende Mitstreiter in ihrem Anliegen scheint die Industrie zum einen in Dr. Paul Weissenberg von der Generaldirektion Unternehmen bei der Europäischen Kommission in Brüssel und zum anderen in dem Vorsitzenden der Herbal Medicines Working Party (HMWP) bei der EMEA, Dr. Konstantin Keller/BfArM, zu haben. Weissenberg lobte die Arbeit der ESCOP an den harmonisierten Monographien für Arzneipflanzen und kündigte an, der Bedeutung der HMWP noch mehr Gewicht verleihen zu wollen, was durchaus nicht allen Mitgliedstaaten "schmecke". Dennoch sei der Weg diesbezüglich schon bereitet.

Keller sprach sich dafür aus, die Richtlinie über traditionelle Arzneimittel nicht nur als Mittel zum nationalen Bestandsschutz pflanzlicher Arzneimittel anzusehen, sondern diese durchaus als europäischen Ansatz zu werten. Er warnte davor, die Messlatte für "weiche" Indikationen zu hoch zu hängen. Dies sei ökonomisch nicht machbar, meinte Keller, auch wenn ein Mindestmaß an Belegen schon vorhanden sein sollte. Er forderte die Industrie auf, ihrerseits Vorschläge zu unterbreiten, welche Nachweise für welche Indikation erforderlich sein sollten. Sofern dies nach wissenschaftlichen Kriterien geschehe, befürchtet er diesbezüglich keine Konflikte mit der Zulassungsbehörde.

Für die Vermarktungsbedingungen pflanzlicher Arzneimittel stehen unter Umständen dramatische Veränderungen an. Dies wurde beim 6. internationalen Symposium der European Scientific Cooperative for Phytotherapy (ESCOP) am 10./11. Mai 2001 in Bonn deutlich. Mehrere europäische Gesetzesinitiativen, die ihre Einstufung bzw. ihre mögliche Diversifizierung in verschiedene Produktkategorien maßgeblich bestimmen werden, lassen erkennen, dass vielleicht der überwiegende Teil der Phytos in den Lebensmittelsektor "abdriften" könnte.

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