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Pflanzliche Arzneimittel: Dialog soll zu einheitlichen Standards führen

BONN (hb). Die Qualitätsbeurteilung pflanzlicher Arzneimittel wurde aufgrund ihrer wachsenden Akzeptanz in der Bevölkerung in letzter Zeit vermehrt zum Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion. Zu einem Expertengespräch über die Standards, die Transparenz und die fachlichen Hintergründe des Phytopharmakamarktes hatte der Bundesfachverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) am Donnerstag, den 10. September 1998, nach Bonn eingeladen.

Daß die Kriterien für die Qualitätsbeurteilung pflanzlicher Arzneimittel keineswegs statisch, sondern einem ständigen Wandel unterworfen sind, zeigte Klaus Reh vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Ein fiktiv zugelassenes Arzneimittel habe heute mehrere AMG-Novellen, Änderungen der Arzneimittelprüfrichtlinien, der Reinheitskriterien sowie eine Reihe europäischer Leitlinien zur Qualitätsbeurteilung "miterlebt". Was nach wie vor dringend fehle, sei eine allgemeine europäische Empfehlung zu den Spezifikationen für pflanzliche Zubereitungen. Reh kündigte in diesem Zusammenhang an, daß die europäische Richtlinie zur "Quality of herbal medicinal products" in Kürze dem Committee for Proprietary Medicinal Products (CPMP) zur Verabschiedung vorgelegt werde und aller Voraussicht nach Ende September im Internet abrufbar sei.

"Traditionelle" waren Vorbilder für die modernen Phytos BAH-Geschäftsführer Dr. Bernd Eberwein bezog sich in seinen Ausführungen unter anderem auf die Erstattung von Phytopharmaka im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung und beklagte, daß pflanzliche Arzneimittel von pauschalen Verordnungsausschlüssen für bestimmte Indikationsgruppen in vielen Fällen überproportional betroffen seien. Neue Gefahren für die Erstattung von Phytopharmaka sieht Eberwein überdies darin, daß die GKV-Spitzenverbände in ihrem im Vorfeld der Bundestagswahl vorgestellten Positionspapier an ihrer Forderung nach einer Dreiteilung des Arzneimittelangebotes in unverzichtbare, unumstrittene und sonstige Arzneimittel festhalten. Auf europäischer Ebene werde mit einer neuen Gesetzgebung geliebäugelt, innerhalb derer der Arzneimittelcharakter pflanzlicher Zubereitungen noch mehr in den Hintergrund treten könnte. Der Vorsitzende des Ausschusses Phytopharmaka des BAH, Dr. Dieter Zeh, Bruckmühl, warnte vor einer Abwertung der in Deutschland etablierten "traditionellen" Phytopharmaka und erinnerte daran, daß die Wirkungen pflanzlicher Arzneimittel ursprünglich immer aus der Pflanze und ihrer traditionellen Anwendung hergeleitet worden seien und nicht umgekehrt.

Konsensuskommission soll Vorgaben für die Deklaration erstellen Dennoch fordert Prof. Dr. Adolf Nahrstedt, Münster, daß die Indikationen für pflanzliche Präparate geschärft und zutreffend definiert werden. Für ihn reichen die Droge, das Extraktionsmittel und das Droge/Extrakt-Verhältnis (DEV) als Charakteristika für die Qualität eines pflanzlichen Arzneimittels nicht aus. Vielmehr gehörten Angaben zu wirksamkeitsbestimmenden und wirksamkeitsmitbestimmenden Substanzen, soweit machbar, auf die Packung, Angaben zu Leitsubstanzen in die Fachinformation. Um zu einheitlichen Standards in bezug auf die Deklaration zu kommen, wünscht sich Nahrstedt ein unabhängiges Gutachtergremium als Konsensuskommission, die den ganzen Bereich Standardisierung/Normierung abarbeiten soll. Einig war er sich mit anderen Disputanten, darunter Prof. Dr. Theodor Dingermann, Frankfurt, Priv.-Doz. Dr. Markus Veit, Würzburg, und Prof. Dr. Fritz H. Kemper, Münster, darin, daß die Transparenz bei den Fachkreisen anfangen muß, die die Erkenntnisse dann an die Verbraucher als Zielgruppe weitertransportieren müssen. Hier hätten die Apotheker eine wichtige Beratungsfunktion, so die einhellige Meinung.

Leitsubstanzen dienen nur analytischen Zwecken Neben der Deklaration ist derzeit auch die Kategorisierung pflanzlicher Inhaltsstoffe nach ihrer Bedeutung für die Wirksamkeit Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion. Dr. Frauke Gaedcke, Andernach, will eine klare definitorische Trennung zwischen wirksamkeitsbestimmenden, wirksamkeitsmitbestimmenden Substanzen und Leitsubstanzen. Ihrer Ansicht nach sind nur solche Inhaltsstoffe als Leitsubstanzen zu bezeichnen, die ausschließlich analytischen Kontrollzwecken dienen. Hierzu zählen im Rahmen der Qualitätssicherung die Kontrolle der Qualität (Identität, Chargenkonformität, Reinheit), die Kontrolle der Herstellung (Übergangsrate Droge-Extrakt, Validierungen, chargenspezifische Kontrolle) sowie die Stabilitätsuntersuchungen. Eine Normierung auf Leitsubstanzen verbietet sich demnach nach Gaedcke genauso wie deren Deklaration, denn beide würden eine Reproduzierbarkeit der Wirksamkeit nur vortäuschen. Auch die Festlegung von Spezifikationsgrenzen für Leitsubstanzen sieht sie vor diesem Hintergrund als nicht gerechtfertigt an.

Bioverfügbarkeitsstudien: Sinnvoll? Machbar? Ein weiteres Diskussionsfeld liegt in der Relevanz biopharmazeutischer Untersuchungen an Phytopharmaka. Für Veit sind diese wie auch der Nachweis der Bioverfügbarkeit und die Kenntnis der Pharmakokinetik wichtige Voraussetzungen für die Übertragbarkeit von In-vitro-Daten auf die In-vivo-Verhältnisse. Dr. Dr. Bernhard Uehleke, Würzburg, hält demgegenüber biopharmazeutische Untersuchungen in der Praxis für wenig relevant und nannte als Gründe hierfür eine möglicherweise willkürliche Festlegung auf eventuell therapeutisch nicht relevante Leitsubstanzen, die Chargenvariabilität sowie fehlende Erkenntnisse zu den Dosis-Wirkungsbeziehungen. Dr. Lothar Kabelitz, Vestenbergsgreuth, meldete Zweifel and der Sinnhaftigkeit von Freisetzungsprüfungen an, solange nicht klar ist, an welchen Pflanzeninhaltsstoffen solche Untersuchungen festgemacht werden sollen. Nahrstedt glaubt vor diesem Hintergrund, daß die Forderung nach Bioverfügbarkeitsstudien für Phytopharmaka derzeit für die meisten Präparate nicht erfüllbar ist. Kemper ging noch einen Schritt weiter und bezeichnete den jüngst andernorts gemachten Vorschlag, Bioverfügbarkeiten von Leitsubstanzen zu untersuchen, als "Unfug erster Klasse". Die anwesenden Inverkehrbringer von Phytopharmaka warnten nachdrücklich vor allzu hohen Anforderungen an die analytische Beschreibung eines pflanzlichen Wirkstoffs. Was für den Verbraucher zähle, sei die Wirksamkeit und nicht die analytische Beschreibbarkeit, eine Ansicht, die auch von Reh geteilt wird. Solange die therapeutische Relevanz einer Untersuchung nicht gegeben ist, hält er es nicht für sinnvoll, in entsprechende Analytik zu investieren. Das Fazit des ersten "Phyto-Streitgesprächs" zog Eberwein. Als Ergebnis soll nun versucht werden, unter den Referenten ein Papier mit gemeinsamen Positionen zu erstellen. Einigkeit bestand darüber, daß die Diskussion danach in einer ähnlichen Runde fortgesetzt werden soll.

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