Interpharm ApothekenRechtTag

Künstliche Intelligenz wird auch in Apotheken ihre Spuren hinterlassen

01.03.2024, 15:15 Uhr

Die EU wird sich verstärkt in die Belange der Apothekerschaft einmischen, davon ist Prof. Jens Prütting von der Bucerius Law School überzeugt. (Foto: DAZ / Moritz Hahn)

Die EU wird sich verstärkt in die Belange der Apothekerschaft einmischen, davon ist Prof. Jens Prütting von der Bucerius Law School überzeugt. (Foto: DAZ / Moritz Hahn)


Was haben die Apotheken von der EU zu erwarten? Dieser Frage ging Professor Jens Prütting auf dem ApothekenRechtTag der INTERPHARM online am Freitag nach. Ein Aspekt waren die aktuellen rechtlichen Ansätze der EU bei der Digitalisierung. Es stellte sich heraus: Insbesondere bei der sogenannten Künstlichen Intelligenz kommt einiges auf die Apothekerschaft zu.

Deutschland hat mit Blick auf die Digitalisierung seines Gesundheitswesens den Turbo angeschmissen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) wird nicht müde, das bei jeder sich ihm bietenden Gelegenheit zu betonen. Anfang Februar passierten das Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens (DigiG) und das Gesetz zur verbesserten Nutzung von Gesundheitsdaten (GDNG) den Bundesrat. Mitte Dezember waren sie vom Bundestag verabschiedet worden.

Aber auch die EU sieht gesteigerten Regulierungsbedarf, wenn es um Digitalisierung geht. Welche Auswirkungen das auf die Apotheken haben kann, welche Chancen und Risiken damit verbunden sind, das war unter anderem Thema des Vortrags von Jens Prütting. Unter dem Titel „Kommission, Parlament, EuGH: Was haben Apotheken von Europa zu erwarten?“ sprach der Professor und Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Medizin- und Gesundheitsrecht an der Bucerius Law School Hamburg, auf dem ApothekenRechtTag der INTERPHARM online am Freitag.

Digitalisierungsdebatte in der EU

In der Digitalisierungsdebatte geht es dabei laut Prütting in der EU um die Betreuung von Patienten, insbesondere die Informationsvermittlung. Ein weiterer Punkt sei die Patientenversorgung, also Diagnostik und Therapie. Auch in der Arzneimitteltherapiesicherheit werde die Digitalisierung eine größere Rolle spielen. Ganz konkret werde das beispielsweise beim E-Rezept und der elektronischen Patientenakte (ePA).

Dabei verfolge die EU aktuell zwei rechtliche Ansätze: Zum einen geht es um die Schaffung eines Europäischen Gesundheitsdatenraums und zum anderen um die Nutzung Künstlicher Intelligenz (KI).

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Der gemeinsame Gesundheitsdatenraum sieht dabei zunächst nur eine effektivere Patientenversorgung im europäischen Ausland vor. Er soll nicht die Grundlage für eine sonstige Nutzung bieten, insbesondere nicht für Werbung. Dennoch seien mit dem Gesundheitsdatenraum grundsätzliche Fragen verbunden, so etwa, ob damit durch die Hintertür die Zwangseinrichtung der ePA verbunden sei, ob eine Konformität mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) gegeben sei und ob das Missbrauchspotential letztlich ausreichend abgewogen wurde.

Arzneimitteltherapiesicherheitssoftware ist Hochrisiko-KI

Ganz konkret wurde es dann bei der von der EU geplanten KI-Verordnung. Denn diese wird, vermittelt über die Arzneimitteltherapiesicherheitssoftware, ihre Spuren in den Apotheken hinterlassen. Laut der Verordnung wäre diese nämlich Hochrisiko-KI.

Das würde zunächst zwar erst einmal die Hersteller betreffen. Diese müssten wegen der vertraulichen Daten ein besonderes Risikomanagement schaffen. Aber auch bei den Trainingsdaten für die KI seien Fragen der Diskriminierung bei der Validierung berücksichtigen. Hinzu kommen besondere Dokumentations- und Transparenzvorschriften.

Schnittstelle für menschliche Aufsicht?

Ein kritischer Punkt ist auch das Gebot der Schnittstellenschaffung für menschliche Aufsicht. Demnach muss die KI eine Schnittstelle haben, die es möglich macht, dass die Kontrolle durch einen Menschen noch möglich ist. Die Erfahrung aber zeige, dass das mit dem fortschreitenden Lernen der KI nur schwer in Einklang zu bringen ist.

Herstellerpflichten werden zu Nutzerpflichten

Zudem: Herstellerpflichten können zu Nutzerpflichten werden – und hier kommen die Apotheken ins Spiel, denn: Die KI entwickelt sich durch den Gebrauch in der Offizin weiter. Demnach stünden auch die Apotheken in der Verantwortung – was unter anderem wiederum zu zusätzlichem Verwaltungsaufwand und Kosten führen könne. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssten geschult werden. Natürlich wäre mit der Verwendung von KI die Hoffnung verbunden, dass sich die Arbeit erleichtert – wie sich das dann niederschlägt, müsse sich zeigen.

Allgemein hielt Prütting fest, müsse man sich darauf gefasst machen, dass die EU sich in Zukunft stärker in die Belange der Apothekerschaft „einmischen“ werde. Auch wenn die Mitgliedstaaten in der Gesundheitspolitik eigentlich Vorrang haben, gebe es für die EU verschiedene Möglichkeiten, ihr Wirken auf dem Feld zu rechtfertigen. So wache sie beispielsweise über die Einhaltung der Grundfreiheiten in der Union. Zudem ist sie für die Schaffung und Wahrung des Binnenmarktes zuständig, was bedeutet, dass sie über ihre Angleichungskompetenz Einfluss nehmen kann. „Das ist eine Waffe“, so Prütting, die die EU fast immer einsetzen könne.

Vermehrt „harsches Eingreifen“ der EU

Gestützt werde die EU in der Ausweitung ihres Zugriffs vom Europäischen Gerichtshof (EuGH), der in seinen Entscheidungen die Tendenz zeige, das Recht für die EU begünstigend auszulegen. Prütting ging sogar noch weiter: Es seien sogar Schritte vorwärts wahrscheinlich, die bislang so nicht denkbar wären, ein „harsches Eingreifen“ der EU – aber dafür sei sie auch da, so der Professor. Er wolle die EU „nicht geißeln“, die Frage bleibe, wo die Mitgliedsstaaten es tatsächlich nicht allein besser machen können.


Matthias Köhler, Redakteur DAZ.online
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Was ist Gesundheit?

von Dr. House am 01.03.2024 um 16:17 Uhr

Ich weise gelegentlich darauf hin, dass wir diese Frage nie gestellt haben. Es gibt zwar verschiedene Definitionen (die der WHO ist eine absolutierende alles und nichts Definition, nach der eigentlich niemand je als gesund gelten kann). Ich persönlich bevorzuge die sehr pragmatische Variante Nitzsches: "Gesundheit als dasjenige Maß an Krankheit, das es noch erlaubt, wesentlichen Beschäftigungen nachzugehen" - wonach Gesundheit kein absolutierbares Etwas sind, sondern ein individueller Gleichgewichtszustand.
Viele Gesundheitsexperten würden mich jetzt anmaulen, was für eine dämliche Frage das doch sei. Schließlich rette die moderne Medizin dank der Wissenschaft Leben in nie dagewesener Weise. Die Lebenserwartung hat sich in den letzten 100 Jahren mehr als verdoppelt. Ist der Fall damit abgeschlossen? Wir sind derzeit so sehr damit beschäftigt Leben zu verlängern, dass für die Frage wo wir eigentlich hin wollen kein Platz mehr ist. Ich behaupte wir machen einen Fehler, indem wir einfach annehmen ein langes Leben und Gesundheit ist das gleiche. Ersteres kann aus letzterem folgen, aber viele die lange leben fühlen sich alles andere als wohl, sind vereinsamt, psychisch krank, fühlen sich hilf- und nutzlos. Gleichzeitig sagen wir nun diesen Menschen: "Seid froh, dass das Gesundheitssystem soviele Hebel in Bewegung setzt, damit ihr alle ein höheres Alter erreichen könnt, als der Sonnenkönig damals!" Aber das ist auf Dauer sehr teuer, also setzen wir mal schön den roten Rationalisierungsstift bei allem an, was Zeit verschwendet und ineffizient ist. Wer mag, kann sich ja mal diese Doku über die Rationalisierung der französischen Psychiatrie ansehen https://www.youtube.com/watch?v=C3hz1552lNI . Hier wird ersichtlich, wie radikal die "Gesundheitsökonomen" die Zeit und folglich auch die menschliche Zuwendung vom Gesundheitsbegriff abkoppeln. Einfach so. Weil wir als Gesellschaft verdammt noch mal versäumen die Frage zu stellen, was wir mit Gesundheit meinen. Zuwendung kann man nicht messen. Man kann sie nicht in eine Fallpauschale packen, man kann sie nicht rationalisieren, kann sie nicht digitalisieren. Aber Zuwendung ist eine feste Säule von Gesundheit - davon bin ich überzeugt. Und es wenden sich viele zu. Tagtäglich leistet medizinisches Fachpersonal gigantisch viel dieses nicht messbaren Teils der Gesundheit. Vielleicht ist das auch der Grund, warum nur eine Seite sprechen kann, wo es in Zukunft hingeht: Gesundheitsökonomen, Think-Tanks, Digitalisierungsdogmatiker, "Experten". Mir ist vollkommen klar, warum sie diesen hermetisch abgeriegelten, diskreten, anorganischen Weg in die Zukunft bevorzugen. Weil sie selber es gar nicht können Menschen durch einfache Zuwendung zu helfen. Sie wiedert alles, was nicht automatisiert werden kann an. Wir werden nicht von gesunden Menschen in die Zukunft geleitet, sondern von Soziopathen.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Was ist Gesundheit

von Frank Zacharias am 01.03.2024 um 20:48 Uhr

Ich muss Ihnen leider zustimmen. Das Grundproblem der Digitalisierung ist die fehlende menschliche Kommunikation und Zuwendung. Soziopath trifft es ziemlich genau.

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