Medizinisch begleitete Sterbehilfe als Alternative

Natrium-Pentobarbital zur Selbsttötung bleibt tabu

Berlin - 07.11.2023, 15:15 Uhr

Bei Natrium-Pentobarbital handelt es sich um mittellang wirkendes Barbiturat. (Foto: Felipe Caparrós/AdobeStock)

Bei Natrium-Pentobarbital handelt es sich um mittellang wirkendes Barbiturat. (Foto: Felipe Caparrós/AdobeStock)


Das Bundesverwaltungsgericht hat sich erneut mit der Frage befasst, ob das BfArM Sterbewilligen den Erwerb von Natrium-Pentobarbital zur Selbsttötung erlauben muss. Jetzt hat es entschieden: Nein, denn es gibt für die Betroffenen andere Möglichkeiten, sich das Leben zu nehmen, und zwar medizinisch begleitet. Auch wenn dies die Sterbewilligen einschränken mag – würden sie das tödliche Betäubungsmittel bei sich aufbewahren, könnten größere Gefahren entstehen, so das Gericht. 

Nach dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) ist die Erlaubnis für den Erwerb eines Betäubungsmittels zu versagen, wenn diese nicht mit dem Zweck des Gesetzes vereinbar ist, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen (§ 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG). Das gilt im Regelfall auch, wenn Sterbewillige beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine tödliche Dosis Natrium-Pentobarbital zur Selbsttötung beantragen. Denn angesichts der Möglichkeiten, das eigene Leben medizinisch begleitet mit anderen Mitteln zu beenden, sei die Versagung der Erlaubnis mit dem durch das Grundgesetz geschützten Recht auf selbstbestimmtes Sterben vereinbar. Das hat das Bundesverwaltungsgericht am heutigen Dienstag in Leipzig entschieden.

Die Vorgeschichte

Geklagt hatten zwei Personen, die an schweren Erkrankungen leiden. Sie hatten das BfArM um Erlaubnis zum Erwerb des Betäubungsmittels gebeten, nachdem das Bundesverwaltungsgericht im März 2017 entschieden hatte, dass der Staat im Einzelfall einem schwer und unheilbar kranken – aber entscheidungsfähigen – Patienten in einer extremen Notlage diesen Zugang nicht verwehren darf. Sie und viele andere Antragsteller:innen liefen dennoch beim BfArM auf – denn das Bundesgesundheitsministerium hatte die Behörde ausdrücklich aufgefordert, derartige Anträge abzulehnen. Dass der Leipziger Richterspruch nicht umgesetzt wurde, wollten die Kläger nicht hinnehmen und zogen vor das Verwaltungsgericht Köln. Nach einer erfolglosen Zwischenstation beim Bundesverfassungsgericht, entschied das Oberverwaltungsgericht NRW im Februar 2022: Es hielt das BfArM nicht für verpflichtet, den Erwerb von Natrium-Pentobarbital zu erlauben. Diese Entscheidungen hat das Bundesverwaltungsgericht nun bestätigt und die Revisionen zurückgewiesen.

Die schriftlichen Urteilsgründe liegen noch nicht vor, doch in einer Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts heißt es, die Vorinstanz habe im Einklang mit Bundesrecht entschieden, die beantragte Erlaubnis zu versagen. Der Erwerb von Natrium-Pentobarbital zur Selbsttötung sei grundsätzlich nicht mit dem Zweck des Gesetzes vereinbar, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Medizinische Versorgung im Sinne der Vorschrift meine die Anwendung eines Betäubungsmittels zur Heilung oder Linderung von Krankheiten oder krankhaften Beschwerden. Eine solche therapeutische Zielrichtung habe die Beendigung des eigenen Lebens grundsätzlich nicht.

Grundrechtseingriff liegt vor...

Die Versagung der Erlaubnis verletze die Kläger auch nicht in ihren Grundrechten. Zwar werde in das Recht des Einzelnen eingegriffen, selbstbestimmt zu entscheiden, wann er sein Leben eigenhändig bewusst und gewollt beenden möchte. Dieses Recht sei, wie das Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 entschieden hat, nicht auf schwere oder unheilbare Krankheitszustände oder bestimmte Lebens- und Krankheitsphasen beschränkt und bedürfe keiner Begründung oder Rechtfertigung. Geschützt sei damit auch die Entscheidungsfreiheit, wann und wie das geschehen soll – und genau das wird durch die betäubungsmittelrechtlichen Vorgaben eingeschränkt: Menschen, die freiverantwortlich entschieden haben, sich mithilfe von Natrium-Pentobarbital töten zu wollen, können ihren Entschluss ohne Zugang zu diesem Betäubungsmittel nicht in der gewünschten Weise umsetzen.

...doch er ist gerechtfertigt

Allerdings sei dieser Grundrechtseingriff gerechtfertigt. Das Betäubungsmittelgesetz verfolge mit dem generellen Verbot, Betäubungsmittel zum Zweck der Selbsttötung zu erwerben, nämlich unter anderem das legitime Ziel, Miss- und Fehlgebrauch von tödlich wirkenden Betäubungsmitteln zu verhindern. Die beanstandete Verbotsregelung sei geeignet und erforderlich, um das Ziel zu erreichen, und überdies angemessen. Denn es gebe eben andere zumutbare Möglichkeiten seinen Sterbewunsch zu verwirklichen.

Hohe Gefahr für Miss- und Fehlgebrauch des BtM

Ein Sterbehilfeverbot gibt es in Deutschland seit der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr. Schon das Oberverwaltungsgericht hatte festgestellt, dass für Sterbewillige daher nun die realistische Möglichkeit besteht, über eine Ärztin oder einen Arzt Zugang zu (verschreibungspflichtigen) Arzneimitteln zu erhalten, mit denen eine Selbsttötung durchgeführt werden kann. Diese Alternativen seien für die Sterbewilligen zwar mit Belastungen verbunden, etwa weil sie diese ärztliche Person erst einmal finden müssen. Diesen Belastungen stünden jedoch wichtige Gemeinwohlbelange gegenüber: „Die Gefahren für Leben und Gesundheit der Bevölkerung durch Miss- oder Fehlgebrauch des Mittels sind angesichts seiner tödlichen Wirkung und der einfachen Anwendbarkeit besonders groß und wiegen schwer“, betont das Gericht. „Diese besonderen Gefahren sind die Kehrseite der dargelegten Vorzüge des Mittels für die Sterbewilligen.“

In der Abwägung steht für die Leipziger Richterinnen und Richter am Ende fest: „Angesichts dieser Gefahren und der bestehenden Alternativen zum Einsatz des gewünschten Mittels ist es nicht zu beanstanden, dass das Gesetz seinen Erwerb zum Zwecke der Selbsttötung nicht zulässt“.

Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2017 stehe dem auch nicht entgegen, da im vorliegenden Falle keine solche extreme Notlage vorliege, wie in diesem vorangegangenen Urteil.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 7. November 2023, Az.: BVerwG 3 C 8.22 und BVerwG 3 C 9.22


Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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