Bruton-Tyrosinkinase-Inhibitoren

Nach Corona-Impfung von AstraZeneca: Könnte ein Krebsarzneimittel VITT verhindern?

Stuttgart - 05.11.2021, 15:13 Uhr

Es wurden und werden viele Dosen des AstraZeneca-Impfstoffs weltweit an bedürftige Länder gespendet. VITT ist also ein globales Problem. (s / Foto: IMAGO / NurPhoto)

Es wurden und werden viele Dosen des AstraZeneca-Impfstoffs weltweit an bedürftige Länder gespendet. VITT ist also ein globales Problem. (s / Foto: IMAGO / NurPhoto)


Trotz Immunglobulinen weiterhin hohe Sterblichkeit 

Tatsächlich könnte eine schnelle Reaktion bei starken Kopfschmerzen nach AstraZeneca-Impfung die gefürchtete Nebenwirkung verhindern. Denn wie eine Fallserie im September zeigte, muss zum Zeitpunkt der Kopfschmerzen eine zerebrale Venen- und Sinusthrombose (CVST) bzw. VITT noch nicht eingetreten sein. „Offensichtlich bietet das ‚Prä-VITT-Syndrom‘ ein therapeutisches Fenster, um den gefürchteten Impffolgen wie Sinus- und Hirnvenenthrombosen effektiv entgegenzuwirken“, hieß es in einer Mitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). Von elf Proband:innen erhielten damals mit einer Ausnahme alle Patient:innen, die auch im Verlauf keine Thrombosen entwickelten, binnen fünf Tagen nach Beginn der Kopfschmerzen eine VITT-spezifische Therapie mit therapeutischer Antikoagulation, hochdosierten Immunglobulinen oder Corticoiden. (Vier bekamen nur verzögert eine Therapie und in der Folge Thrombosen.) 

Um nun auch BTK-Inhibitoren gegen VITT einzusetzen, müssten sie in klinischen Studien getestet werden, erklärt Weber. Sie könnten dann außerdem auch bei einer Autoimmunreaktion, die bei der therapeutischen Gabe von Heparin plötzlich zur Gerinnselbildung führt, helfen. Die Thrombosen nach AstraZeneca-Impfung scheinen Ähnlichkeit zu haben zu dieser sogenannten heparininduzierten Thrombozytopenie (HIT).

Therapiemöglichkeiten könnten sich ergänzen

Bei der aktuellen Veröffentlichung im NEJM handelt es sich um keine Studie, sondern lediglich eine „Korrespondenz“, also eine Art „Leserbrief“. Dort beziehen sich Weber und seine Kollegen auf bereits veröffentlichte Studien und stellen fest, dass Patient:innen mit VITT-Syndrom bislang speziell mit intravenösen Immunglobulinen behandelt wurden. Die dennoch hohe Sterblichkeit deute aber auf die Notwendigkeit anderer (wirksamerer) Behandlungsmöglichkeiten hin. Und eben hier bringen sie die (BTK)-Inhibitoren ins Spiel: Sie sollen die FcγIIA-Rezeptor-vermittelte Thrombozytenaggregation hemmen. Wörtlich erklären die Wissenschaftler: „Wir fanden heraus, dass niedrige Konzentrationen der BTK-Inhibitoren Ibrutinib und Fenebrutinib die Thrombozytenaggregation, die durch das Serum von Patienten mit VITT ausgelöst wurde, verhinderten und dass die Medikamente die teilweise Hemmung durch eine intravenöse Immunglobulintherapie oder eine FcγIIA-Rezeptorblockade ergänzten. Daher halten wir die orale Verabreichung von niedrig dosierten BTK-Inhibitoren für die frühe Behandlung des Verdachts auf VITT (auf der Grundlage von Symptomen, erhöhtem d-Dimer-Spiegel und Thrombozytopenie) für eine erprobungswürdige therapeutische Option neben intravenösem Immunglobulin und direkten oralen Antikoagulantien.“ (Für Fenebrutinib wird übrigens auch eine Zulassung bei Multipler Sklerose angestrebt.)

Hypothese findet Unterstützer, aber klinische Daten fehlen

Forschende der Universitätsmedizin Greifswald unter Leitung von Professor Andreas Greinacher, die die mediale Debatte über die Nebenwirkungen nach AstraZeneca-Impfung früh anführten und auch die Ähnlichkeit zur HIT ins Spiel brachten, haben auf die Korrespondenz aus München reagiert: Sie verweisen auf entsprechende Studien sowie weitere Optionen und stimmen der Hypothese aus München grundsätzlich zu – verweisen aber auch auf das Fehlen klinischer Daten: Die meisten klinischen Erfahrungen würden derzeit für die Verwendung von intravenösen Immunglobulinen zur Blockierung der FcγIIA-Rezeptor-vermittelten Thrombozytenaktivierung bei Patienten mit VITT oder autoimmuner HIT vorliegen. Allerdings könnten BTK-Inhibitoren und andere neue Optionen bei Patient:innen, in denen VITT-Antikörper als Autoantikörper persistieren und eine Thrombozytenaktivierung und rezidivierende Thrombosen verursachen, hilfreich sein. Auch sei an Gesundheitssysteme zu denken, in denen es nur begrenzten Zugang zu oder eine unzureichende Versorgung mit pharmakologischen intravenösen Immunglobulinen gibt, (bei Ibrutinib handelt es sich um Tabletten). Es wurden und werden viele Dosen des AstraZeneca-Impfstoffs weltweit an bedürftige Länder gespendet. VITT ist also ein globales Problem. 



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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