Beunruhigende Entdeckung

Toxische Abbauprodukte in alter Sonnencreme

Stuttgart - 29.03.2021, 17:50 Uhr

Sollte man auf Sonnenschutz-Produkte mit organischen UV-Filtern verzichten? (x / Foto: Lea / stock.adobe.com)

Sollte man auf Sonnenschutz-Produkte mit organischen UV-Filtern verzichten? (x / Foto: Lea / stock.adobe.com)


Nach dem Urlaub ist die Tube Sonnencreme oft noch halb voll. Macht nichts, kann man ja nächstes Jahr aufbrauchen, oder? Lieber nicht. Denn französische Wissenschaftler:innen haben eine beunruhigende Entdeckung gemacht, als sie die Bestandteile einiger gealterter Sonnencremes analysiert haben.

Im vergangenen Jahr zeigte eine Studie der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA), dass UV-Filter aus Sonnencremes nicht auf der Haut bleiben, sondern teils in hohen Konzentrationen ins Blut gelangen. Deshalb und wegen ihrer toxischen Wirkung auf Meereslebewesen verzichten viele Hersteller heute auf bestimmte organische UV-Filter wie Oxybenzon und Homosalat. 

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Keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch Sonnenschutzmittel

Entwarnung für UV-Filter

Ein UV-Filter, der als unbedenklich gilt und heute in vielen Produkten eingesetzt wird, ist Octocrylen, ein Derivat des Benzophenons. Wissenschaftler:innen haben vor Kurzem allerdings in einer Publikation im Fachjournal „Chemical Research in Toxicology“ nachgewiesen, dass sich Octocrylen bei längerer Lagerung zu Benzophenon zersetzt. Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) stuft Benzophenon als möglicherweise karzinogen für den Menschen ein.

Deutlich erhöhte Benzophenon-Gehalte je nach Formulierung

Downs et al. haben insgesamt 17 Sonnenschutzprodukte ausgewählt, die auf dem europäischen und amerikanischen Markt erhältlich sind. In 16 davon war Octocrylen enthalten (z. B. La Roche Posay SPF 50, Bioderma Photoderm AR SPF 50+, L‘Oreal Age Perfect FPS 20). Ein Produkt, das kein Octocrylen, dafür aber andere organische UV-Filter enthielt, verwendeten die Forscher:innen als Kontrolle. In diesem Produkt konnten sie als einzigem kein Benzophenon nachweisen. Alle anderen, neu gekauften Sonnenschutzmittel enthielten das Zerfallsprodukt in Konzentrationen zwischen 6 mg/kg und 186 mg/kg (im Durchschnitt 39 mg/kg). 

Um die Alterung der Cremes zu simulieren, verwendeten die Chemiker:innen einen Inkubator, in dem sie die Produkte für sechs Wochen bei 40 °C und 75 Prozent Luftfeuchtigkeit lagerten. Diese Bedingungen sollten die Lagerung für ein Jahr bei Raumtemperatur repräsentieren. Eine HPLC/MS-Analyse (Flüssigchromatografie mit Massenspektrometrie-Kopplung) der gealterten Cremes zeigte deutlich erhöhte Benzophenon-Gehalte zwischen 9,8 mg/kg und 435 mg/kg (durchschnittlich 75 mg/kg) in den 16 Octocrylen-haltigen Produkten. Die gemessenen Benzophenon-Konzentrationen hingen dabei vor allem mit der Formulierung der Produkte und nicht mit der enthaltenen Octocrylen-Konzen­tration zusammen.

Theoretisches Rechenbeispiel

Neben seiner Verwendung als Ausgangsstoff in der Synthese organischer UV-Filter kommt Benzophenon auch in der Natur vor. Geringe Konzentrationen lassen sich z. B. in Vanille, Weintrauben und Passionsfrüchten finden. Zudem ist Benzophenon als Additiv in Lebensmittelverpackungen zugelassen. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) leitete aus Tierstudien eine tolerierbare tägliche Aufnahme (tolerable daily intake, TDI) für den Menschen ab. Eine Dosis von 0,03 mg/kg Körpergewicht pro Tag (2,1 mg pro Tag für eine 70 kg schwere Person) wird hier als sicher erachtet. 

In der eingangs erwähnten klinischen Studie der FDA erhielten die Proband:innen viermal täglich eine Sonnenschutzmitteldosis von 2 mg/cm² auf 75 Prozent ihrer Körperoberfläche. Ausgehend von einer mittleren Körperoberfläche von 1,81 m² bei normalgewichtigen Erwachsenen entspricht das gut 100 g Sonnencreme pro Tag. Die höchste in einem Produkt gefundene Benzophenonkonzentration lag bei 435 mg/kg. Der Nutzer würde also bei dem beschriebenen Nutzungsschema 43,5 mg Benzophenon auf seine Haut auftragen. Werden davon, wie in der Tierstudie (mehr dazu lesen Sie in der DAZ 12/2021), 44 Prozent absorbiert, beträgt die tägliche Benzophenondosis für einen Erwachsenen rund 19 mg (0,27 mg/kg Körpergewicht für eine 70 kg schwere Person) und überschreitet die tolerierbare Tagesdosis damit um ein Vielfaches. Eine im Tierversuch krebserregende Dosis wird jedoch in diesem Beispiel bei Weitem nicht erreicht. Das beschriebene Nutzungsschema dürfte sich zudem für viele Menschen auf wenige Urlaubswochen im Jahr beschränken.

Der Artikel im Original und voller Länge aus der DAZ 12/2021

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Sollte man nun gänzlich auf Produkte mit organischen UV-Filtern verzichten? Sonnenschutzmittel mit anorganischen Substanzen wie Zinkoxid oder Titandioxid schützen ebenfalls effektiv vor UV-Strahlung. Beide Stoffe werden kaum über die Haut aufgenommen, und eine endokrine oder kanzerogene Wirkung ist von ihnen nicht zu erwarten.


Ulrich Schreiber; B. Sc. Chemie, DAZ-Autor
redaktion@daz.online


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