Michael Hennrich (CDU) zum IGES-Gutachten

„Das Gutachten zeigt, ein Rx-Boniverbot ist machbar“

Stuttgart - 10.09.2020, 11:45 Uhr

Der Arzneimittelexperte der Unionsfraktion im Bundestag, Michael Hennrich (CDU), zieht vier zentrale Aussagen aus dem gestern veröffentlichten IGES-Gutachten zum Apothekenmarkt. (s / Foto: Thomas Auerbach)

Der Arzneimittelexperte der Unionsfraktion im Bundestag, Michael Hennrich (CDU), zieht vier zentrale Aussagen aus dem gestern veröffentlichten IGES-Gutachten zum Apothekenmarkt. (s / Foto: Thomas Auerbach)


Das Gutachten des IGES-Instituts zum Apothekenmarkt liegt vor. Zentrale Frage der Autoren war, inwiefern sich eine veränderte Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln auf den Apothekenmarkt in Deutschland sowie im Hinblick auf den Wettbewerb mit den EU-Versendern auswirkt. Eine konkrete Empfehlung bleiben die Gutachter den Lesern allerdings schuldig. Für CDU-Gesundheitspolitiker Michael Hennrich gibt es trotzdem einige wichtige Schlussfolgerungen im Hinblick auf die Diskussion um das Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetz.

Anfang dieser Woche kündigte sich an, dass das seit Monaten erwartete Gutachten des IGES-Instituts seinem Auftraggeber, dem Bundesgesundheitsministerium, vorgelegt wurde. Seit dem gestrigen Mittwoch dreht das Werk nun auch seine Runde in den Fraktionen des Bundestages und darüber hinaus in Apothekerkreisen. DAZ-Redakteur und Apothekenwirtschaftsexperte Dr. Thomas Müller-Bohn bezeichnet das Gutachten als „eine sorgfältig erarbeitete Studie als Entscheidungsgrundlage für das Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetz (VOASG)“.

Es enthält Datenauswertungen und abstrakte modelltheoretische Betrachtungen, doch ein echtes Fazit oder eine konkrete Empfehlung fehlen. Für Müller-Bohn steht fest: „Die Leser sind selbst gefragt, was sie daraus machen. Das Gutachten liefert keine Schlagzeilen, was man angeblich alles bei den Apotheken sparen könnte oder was an dramatischen Folgen zu erwarten ist. Diese Überlegungen geschehen in den Köpfen der Leser.“

In den Kommentaren und Apothekerforen sind seit Bekanntwerden des Gutachtens zahlreiche Diskussionen entstanden. Viel Kritik gibt es hinsichtlich der Qualität und der Aussagekraft der Analysen: Sind die theoretischen Überlegungen und Modelle tatsächlich valide und praxisrelevant? Ist das Werk eine Argumentationsgrundlage für oder gegen das von der Bundesregierung im Sozialrecht geplante Rx-Boniverbot?

Weniger als zwei Tage vor der Bundestagsdebatte über das VOASG liegt es nun an den Gesundheitspolitikern, sich eine Meinung zu bilden. DAZ.online hat mit Michael Hennrich gesprochen, CDU-Bundestagsabgeordneter und Mitglied des Gesundheitsausschusses: Was ist sein erster Eindruck vom IGES-Gutachten?

Konsequenzen für das VOASG

„Für mich war es eine erhellende Lektüre. Es ist klar dokumentiert, welche Fragen die Gutachter mit welcher Methodik für sich beantwortet haben“, so Hennrich. Das fehlende Fazit sei für ihn zunächst zweitrangig: Man hätte als Gesundheitspolitiker bei Fragen zum Apothekenmarkt in den letzten Jahren immer eine Art „gefühltes Wissen“ gehabt, das durch die IGES-Daten nun zum Teil untermauert werden könnte. Beispielhaft nennt er die Erreichbarkeit der nächsten Apotheken und die wirtschaftliche Situation von Betrieben in Stadtrandlagen. Allerdings fehlt dem Juristen Hennrich eine rechtliche Bewertung der Maßnahmen zum Erhalt einer flächendeckenden Arzneimittelversorgung.

Vier Aspekte zieht CDU-Politiker Hennrich als ein erstes Fazit aus dem rund hundert Seiten umfassenden Gutachten:

  1. „Ein Rx-Boniverbot ist machbar.“ Das Gutachten stelle dar, dass in keinem anderen EU-Staat Rx-Boni erlaubt sind. Das sei für die weitere Diskussion über das VOASG von zentraler Bedeutung.
  2. „Das E-Rezept führt zu einem Wettbewerbswandel.“ Der vor dem EuGH im Jahr 2016 vorgetragenen Wettbewerbsnachteil der Versender würde durch die Einführung der elektronischen Verordnung kompensiert, damit müsste man im verschreibungspflichtigen Bereich für die Arzneimittelpreisbindung sorgen.
  3. „Die Entwicklung der OTC-Rabatte im Versand bleibt dynamisch und schwierig.“ Durch ein Rx-Boniverbot könnten die Versender Preisnachlässe nur noch im nicht verschreibungspflichtigen Bereich gewähren. Daher rechnet Hennrich mit einem deutlich intensiveren Wettbewerb.
  4. „Pharmazeutische Dienstleistungen werden immer wichtiger für die Apothekenzukunft.“ Um die Vor-Ort-Apotheken im Wettbewerb mit den Versendern wirtschaftlich zu stärken, sieht Hennrich nicht die Erhöhung des Fixzuschlags, sondern die Einführung honorierter, pharmazeutischer Dienstleistungen für dringend geboten.

Im Zusammenhang mit dem letzten Punkt weist Hennrich auch nochmal auf seine Idee eines gestaffelten Fixzuschlags hin. Vor zwei Jahren hatte er den Vorschlag bereits in einer Diskussionsrunde beim DAV-Wirtschaftsforum skizziert: „Die Idee ist, dass die Packungen, die über den EU-Versand abgegeben werden, gezählt werden. Wenn DocMorris beispielsweise 3 Euro Rabatt gewährt und pro Jahr 10 Millionen Packungen abgibt, müssten die Kassen 30 Millionen Euro in den Apothekenmarkt ableiten“, so Hennrich damals. Das über solch ein Modell nie wirklich diskutiert wurde, sieht er heute als „verpasste Chance“ an.



Dr. Armin Edalat, Apotheker, Chefredakteur DAZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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3 Kommentare

Achtung gesellschaftliche Gefährdung

von Reinhard Rodiger am 10.09.2020 um 23:09 Uhr

Sehr geehrter Herr Hennrich, bitte beachten Sie:
Es geht um die Erkenntnis, dass elitäre Tätigkeiten NIE flächendeckend sein können.Für die Flächendeckung ist die Basisfinanzierung entscheidend.Anders ausgedrückt: die Anerkennung der Alltagsleistung.Diese unter Preisdruck zu setzen, minimiert sie. Die avisierten neuen Dienstleistungen sind selbst bei Verdoppelung lediglich ein Marketing-tool für die etwa 20-30% Großen mit noch entsprechender Personaldecke. Elitär deswegen, weil das Ausschluss von kleineren Apotheken und breiten Bevölkerungsgruppen impliziert. Die werden beide ausgehungert.Das ist das Prozessergebnis, das jetzt festgeschrieben werden soll. Sieht man ab von der Betroffenheit der
Apotheken geht es um die strukturelle Benachteiligung all derer, die nicht im Einzugsbereich der wenigen Verbleibenden leben.

Die avisierte strukturelle Benachteiligung von 60 % (Unterdurchschnittliche) ist das Ende der Flächendeckung und der Sicherheit durch Diversität.

Dies ist eine zu vermeidende gesellschaftliche Gefährdung.

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Dringender Appell

von Wolfgang Müller am 10.09.2020 um 13:55 Uhr

Alle, deren Wort Gewicht hat, egal, ob Standespolitiker, IGES-Gutachter oder sonstige Meinungsbildner, möchten bitte in dieser kritischen Entscheidungs-Phase eines unmissverständlich klarstellen:

"Neue Dienstleistungen" werden für die gefährdeten Apotheken der normalen Umsatzklassen keine auch nur geringfügig relevante, profitable Verdienstmöglichkeit darstellen. Sondern eher eine finanzielle und personelle Belastung.

Sie haben deshalb ihm VOASG eigentlich nichts verloren. Dort suggerieren sie nur, dass es zu Rx-Festpreisen Alternativen gibt, wenn man das aktuelle Apotheken-Netz mit einer 5-stelligen Anzahl Betriebe erhalten will.

Diese Zeitbombe hat die Apothekerschaft selbst gezündet. Sie im Licht aller neueren, vollkommen evidenten Erkenntnisse nicht zu entschärfen, heißt Mord am eigenen Beruf.

Sollten diese "Neuen Dienstleistungen" politisch tatsächlich gewollt sein (hoffentlich ist das so), so muss zu gegebener Zeit eben auf sie zurückgekommen werden. Aber erst, wenn die aktuelle Gefährdung des Systems überwunden ist.

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Apothekensterben beenden!

von Thomas Eper am 10.09.2020 um 11:58 Uhr

Sehr geehrter Herr Hennrich,

Sie glauben doch nicht allen Ernstes, das man das Apothekensterben nur durch zusätzliche Dienstleistungen (zusätzliche Arbeit) beenden kann, ohne unser Packungs-Honorar (> 80% unseres Ertrages) angemessen anzupassen!

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