AkdÄ-Chef warnt

Keine vorschnelle Remdesivir-Zulassung

Stuttgart - 29.05.2020, 09:00 Uhr

AkdÄ-Chef Professor Wolf-Dieter Ludwig warnt vor einer zu schnellen EU-Zulassung von Remdesivir bei COVID-19. (x / Foto: imago images / Metodi Popow)

AkdÄ-Chef Professor Wolf-Dieter Ludwig warnt vor einer zu schnellen EU-Zulassung von Remdesivir bei COVID-19. (x / Foto: imago images / Metodi Popow)


Remdesivir ist in den USA bereits genehmigt. Die EMA erlaubt das erste COVID-19-Arzneimittel nur in klinischen Studien oder Härtefallprogrammen, kündigte jedoch jüngst die baldige Zulassung an. Davor warnt Professor Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Allerdings hat der Hersteller Gilead die EMA-Zulassung noch gar nicht beantragt. Indes planen Roche und Gilead eine gemeinsame Studie: Remdesivir plus Tocilizumab.

„Wir wissen noch viel zu wenig über die Nebenwirkungen“, sagt der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), Professor Wolf-Dieter Ludwig, über Remdesivir. Das einzige, was Remdesivir bisher gezeigt habe, sei eine um vier Tage kürzere Krankheitsdauer. Das Mindeste müsse doch sein, dass Patienten weniger schwer erkranken, so Ludwig in einem Tagesschau-Beitrag der NDR-Redakteure Christian Baars und Markus Grill.

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Remdesivir ist das erste zugelassene Arzneimittel bei COVID-19. Die Vereinigten Staaten waren die schnellsten und verschafften dem RNA-Polymerase-Inihibitor, der ursprünglich gegen Ebola entwickelt worden war, bereits am 1. Mai 2020 eine strenge Notfallgenehmigung (EUA, Emergency Use Authorization). Remdesivir darf demnach nur im Krankenhaus eingesetzt werden und nur solange die Pandemie andauert. Auch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) prüft das Gilead-Präparat: Am 30. April hat der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der EMA einen Rolling Review, eine fortlaufende Überprüfung, von Remdesivir zur Behandlung von COVID-19-Patienten eingeleitet

Rolling-Review

Das Rolling-Review-Verfahren (fortlaufende oder gleitende Überprüfung) ist ein Regulierungsinstrument, das die EMA nutzen kann, um ein vielversprechendes Arzneimittel während eines Notfalls im Bereich der öffentlichen Gesundheit, wie beispielsweise der aktuellen Pandemie, zu bewerten. Normalerweise müssen alle zulassungsrelevanten Arzneimitteldaten zu Beginn des Evaluationsverfahrens eingereicht werden. Bei einer gleitenden Überprüfung werden die CHMP-Berichterstatter ernannt, während die Entwicklung noch im Gange ist, und die Agentur überprüft die Daten, sobald sie verfügbar sind. 

Kurze Zeit später, am 11.Mai, riet die EMA zu einem breiteren Einsatz von Remdesivir im Rahmen der Härtefallprogramme (Compassionate Use). Vor wenigen Tagen kündigte der Direktor der Europäische Arzneimittel-Agentur Guido Rasi an, dass Remdesivir kurz vor einer bedingten Marktzulassung in der EU steht.

Gilead hat EMA-Zulassung noch nicht beantragt

Auf NDR-Nachfrage räumte die EMA laut Tagesschau aber ein, dass Gilead bisher noch gar keinen Antrag auf Zulassung eingereicht hat. Die EMA erwarte diesen jedoch in Kürze. Und dann soll es schnell gehen: Die EMA will nach Aussage der NDR-Redakteure Nutzen und Risiken des Medikaments „nach einem Zeitplan beurteilen, der auf das absolute Minimum reduziert“ ist, zitieren sie eine EMA-Sprecherin.

Das scheint dem AkdÄ-Chef Sorge zu bereiten, er hätte lieber auf Ergebnisse aus großen Studien gewartet. Gegenüber dem NDR erklärte Ludwig: „Ich glaube, es ist einfach zu früh für diese Zulassung in Europa.“ In der Tat ist die Studienlage nicht vollkommen einheitlich. Basis für die EUA (Emergency Use Authorization) in den USA und das Rolling-Review-Verfahren der EMA ist eine Zwischenauswertung der NIAID-ACTT-Studie aus den Vereinigten Staaten. Remdesivir verkürzte dort die Krankheitsdauer und lieferte Hinweise auf eine Mortalitätssenkung. Hingegen: In einer doppelblinden, placebokontrollierten, multizentrischen Studie aus China mit 237 schwerkranken COVID-19-Patienten verbesserte intravenös verabreichtes Remdesivir im Vergleich zu Placebo weder die Zeit bis zur klinischen Besserung noch die Mortalität oder die Zeit bis zur Abheilung des Virus signifikant.

Kein guter Weg für sichere Arzneimittel gegen COVID-19

Ludwig fürchtet, wenn die EMA Remdesivir tatsächlich zulässt, dass dann die Forschungsanstrengungen zu dem Arzneimittel leiden. Denn dann könnte Remdesivir einfacher eingesetzt werden, nicht nur im Rahmen von Studien oder Härtefallprogrammen. Die Folge könnte sein, dass weniger Patienten in Studien eingeschlossen würden, so bei Tagesschau zu lesen. Zudem übt der AkdÄ-Chef Kritik, dass Studienstandards derzeit nicht eingehalten würden, auch was die Veröffentlichung von Ergebnissen betrifft. „Das ist aus meinem Blickwinkel eine absolute Fehlentwicklung und wird nicht dazu führen, dass wir gut geprüfte, wirksame und sichere Arzneimittel gegen COVID-19 bekommen.“ Unklar ist bei Remdesivir zudem, wann es am besten gegeben werden soll. Als RNA-Polymerasehemmer ergibt wirkmechanismusbedingt die Gabe ab einem gewissen Zeitpunkt der Erkrankung kaum noch Sinn.

Tocilizumab plus Remdesivir

Indes planen Roche und Gilead eine gemeinsame Studie, die Tocilizumab (Actemra) im Kombination mit Remdesivir zur Behandlung von Patienten mit COVID-19-Lungenentzündungen untersucht. Die Kombination eines antiviralen Medikaments mit einem Immunmodulator sei möglicherweise ein wirksamer Ansatz, erklärte Roche am Donnerstag. Bereits im Juni sollen laut der Deutschen Presse-Agentur (dpa) weltweit etwa 450 Patienten rekrutiert werden.

Roche prüft seinen Interleukin-6-Antikörper Tocilizumab bereits beim coronabedingten Zytokinsturm. Ergebnisse soll es im Sommer geben. Zugelassen ist das Präparat unter anderem gegen das CAR-T-Zell-vermittelte Zytokinfreisetzungssyndrom.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Remdesivir bisher fast ausschließlich in schweren Krankheitsverläufen eingesetzt

von Reinhold Schweitzer am 30.05.2020 um 14:56 Uhr

Professor Wolf-Dieter Ludwig kritisiert, die 4-Tage Verkürzung des Krankheitsverlaufes und würde wenigstens einen milderen Verlauf aus Erfolg werten. Das dem so ist, liegt doch auch an den Studien, die vornehmlich an schwer und sehr schwer Erkrankten eingesetzt werden. In diesen Fällen ist die Virenlast bereits sehr hoch und damit sind die Organe bereits geschädigt, zuminndest jedoch in ihrer Funktion gestört.

Meiner Meinung nach müßten neben den bisherigen klinischen Studien auch solche Studien durchgeführt werden, bei denen Remdesivir bereits direkt bei positiver Diagnosestellung bzw. positivem Test eingesetzt wird. Bekannt ist, dass meist einige Tage vergehen, bis es zu schweren Krankheitsverläufen kommt. Dann könnte man eher erwarten, dass die Virenlast nicht so schnell ansteigt und das Immunsystem eher in der Lage ist, auch bei Risikopatienten Organschäden oder -Versagen zu verhindern. Solange man sich an eine solche Bahndlung nicht heranwagt, wird man es nicht erfahren!

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