Apothekenreform

Ketten-Revolte gescheitert – Estland bekommt inhabergeführtes Apothekensystem zurück

Berlin - 28.02.2020, 10:15 Uhr

In Estland sind die Widerstände der großhandelseigenen Apothekenketten gescheitert. Die Apothekenreform, mit der die inhabergeführte Apotheke wieder eingeführt wird, wurde im Parlament beschlossen. (c / Foto: imago images / ITAR TASS)

In Estland sind die Widerstände der großhandelseigenen Apothekenketten gescheitert. Die Apothekenreform, mit der die inhabergeführte Apotheke wieder eingeführt wird, wurde im Parlament beschlossen. (c / Foto: imago images / ITAR TASS)


Apothekerverband und Kammer sind am Ziel

Der estnische Apothekerverband, der die unabhängigen Apotheken in Estland vertritt, und die estnische Apothekerkammer sind damit am Ziel ihre Wünsche. Sie hatten die Mitglieder des Riigikogu in letzter Minute noch einmal dazu aufgefordert, die Gesetzentwürfe zur Abschaffung des Apothekenreformgesetzes abzulehnen. Laut Karin Alamaa-Aasa, Vorstandsvorsitzende der estnischen Apothekerkammer, gibt es in Estland derzeit bereits mehr als 200 konforme Apotheken, zwei große Apothekenketten hätten öffentlich ihre Unterstützung für die Reform angekündigt, und die verbleibenden nicht konformen Apotheken bereiteten sich auf den Übergang zum den inhabergeführten Apothekensystem vor.

„Massenungehorsam“ und Schadensersatzklagen

Margus Linnamäe, Besitzer des großen Pharmagroßhändlers Magnum Group, hatte seinerseits an das Parlament appelliert, die umstrittene Apothekenreform zu stoppen und für die Freiheit der Unternehmen einzutreten. Ihm zufolge basiert die aktuelle Kritik am estnischen Apothekensystem hauptsächlich auf „Mythen und böswilliger Propaganda“. Gleichwohl kündigte er an, seine Apotheka-Apotheken an Apotheker übergeben, die derzeit im Unternehmen arbeiten. Apotheken der Apotheka-Marke Haapsalu sollen bereits Apothekern gehören.

Die Estnische Konservative Volkspartei (EKRE) befürchtet, dass nicht konforme Apotheken nach dem 1. April einfach weitermachen und sich nicht an die gesetzlichen Regeln halten könnten und sprechen von einem möglichen „Massenungehorsam“. Sie erwarten außerdem endlose Rechtsstreitigkeiten, denn Marktführer hätten ihre Absicht angekündigt, den estnischen Staat auf Schadensersatz zu verklagen. 

Kiik: „Apotheker werden eine größere Rolle spielen als bisher“

Sozialminister Tanel Kiik hatte seine Überzeugung hinsichtlich der Apothekenreform Mitte Februar noch einmal in aller Deutlichkeit kundgetan: „Meine Ansichten sind bekannt: Ich halte es nicht für richtig, dass seit fünf oder sechs Jahren geltende Gesetz in letzter Minute zu ändern und anderthalb Monate vor dem Ende der Reform eine unvorhersehbare Situation zu schaffen“, bemerkte Kiik. „Das war meine Botschaft an alle und wird es auch weiterhin sein.“ Der Minister geht davon aus, dass der Apothekenmarkt auch nach dem 1. April weiter funktionieren wird. „Natürlich wird die Zusammenarbeit zwischen Apothekern, Großhändlern, Pharmaunternehmen und verschiedenen Marktteilnehmern fortgesetzt. Apotheker werden eine größere Rolle spielen als bisher“, betonte Kiik. 

Mehr als die Hälfte der Apotheken noch nicht konform

Die estnische Apothekenreform war vor fünf Jahren verabschiedet worden. Sie sah eine Übergangsfrist für die Anpassung des Bestandsmarktes bis zum 1. April 2020 vor. Ab diesem Zeitpunkt muss die Mehrheitsbeteiligung an einer öffentlichen Apotheke (51 Prozent) bei einem Apotheker liegen, der diese auch selbst leitet. Pharmahersteller und -großhändler sowie Gesundheitsdienstleister werden vom Betrieb öffentlicher Apotheken ausgeschlossen (Verbot der vertikalen Integration). Weiterhin dürfen öffentliche Apotheken in Städten mit mehr als 4000 Einwohnern keine Filialapotheken mehr haben. Nach Angaben der estnischen Arzneimittelbehörde (Ravimiamet) gibt es in Estland insgesamt 495 öffentliche Apotheken, darunter 352 Haupt- und 143 Filialapotheken (Stand 1. Februar 2020). Die Mehrheit der derzeit noch nicht konformen rund 300 Apotheken soll sich in den Großstädten (über 4000 Einwohner) befinden, wo sie 72 Prozent ausmachen. In ländlichen und kleinen Städten soll der Anteil bei 42 Prozent liegen.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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