Teuerstes Arzneimittel der Welt

Zolgensma: Kassen fordern Härtefallprogramm auf Herstellerkosten

Berlin - 19.11.2019, 06:59 Uhr

Zolgensma muss man nur ein Mal anwenden – dafür kostet es knapp zwei Millionen Euro. In der EU ist das neue Gentherapeutikum noch nicht zugelassen, doch die Kassen sind bereits alarmiert.  (b/Foto: Novartis/AP Photo)

Zolgensma muss man nur ein Mal anwenden – dafür kostet es knapp zwei Millionen Euro. In der EU ist das neue Gentherapeutikum noch nicht zugelassen, doch die Kassen sind bereits alarmiert.  (b/Foto: Novartis/AP Photo)


Zolgensma® von Novartis macht seit einiger Zeit auch in Deutschland Schlagzeilen: Das Gentherapeutikum für Kinder mit Spinaler Muskelatrophie gilt als das teuerste Arzneimittel der Welt. Während es in den USA seit Mai zugelassen ist, ist man in Europa noch nicht so weit. Dennoch zahlen erste Kassen die Behandlung – wohl auch wegen des medialen Drucks. In einem Brief an den Bundesgesundheitsminister fordert nun ein Bündnis aus Kassen, Gemeinsamem Bundesausschuss und Universitätsklinika gesetzliche Regelungen für Fälle wie diese.

Der kleine John aus Sebnitz, der einjährige Michael aus Ludwigsburg und der zweijährige Mustafa aus Hannover – sie alle leiden an einer seltenen Erkrankung, spinaler Muskelatrophie (SMA). Seit kurzem gibt es mit Zolgensma® (Onasemnogene Abeparvovec-xioi) ein neues Arzneimittel, das mit nur einer Spritze Heilung verspricht. Das Problem: Diese eine Spritze kostet rund 2 Millionen Euro – und während die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA dem Gentherapeutikum im vergangenen Mai die Zulassung erteilte, ist die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) noch nicht so weit. Novartis rechnet im ersten Quartal 2020 mit einer positiven Entscheidung des CHMP bei der EMA. Bis dahin kann das Arzneimittel nur als Einzelimport bezogen werden.

Für die Eltern der betroffenen Kinder eine schlimme Situation: Es gibt ein Arzneimittel, das helfen kann, aber wer soll es bezahlen? Sie starteten Aktionen mit der Presse und im Internet, sammelten Spenden und viel Aufmerksamkeit. Am Ende erklärten sich die Kassen bereit, die Kosten für das nicht zugelassene Arzneimittel zu übernehmen.

Vereinter Appell an den Bundesgesundheitsminister

Doch die in den Medien losgetretene Welle ist den Krankenkassen offensichtlich nicht geheuer. Die nächsten Eltern fordern bereits öffentlichkeitswirksam die Therapie für ihre erkrankten Kinder ein. Nun hat sich ein Bündnis aus Kassen (GKV-Spitzenverband, AOK Bundesverband, BKK Dachverband, Knappschaft, IKK, vdek, Knappschaft, Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau) dem Verband der Universitätsklinika Deutschlands und Gemeinsamem Bundesausschuss (G-BA) in dieser Angelegenheit an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gewandt. In einem Brief, der nebenbei auch an die Gesundheitspolitiker der Regierungsfraktion adressiert ist, beziehen sie zur aktuellen Situation Stellung – und werben für eine gesetzliche Regelung.

Wie ist also die Situation? Die SMA ist mit einer Inzidenz von etwa 1:10.000 Neugeborenen eine seltene Erkrankung, deren Krankheitsverlauf bei Säuglingen unbehandelt rasch fortschreitet und zu einer generalisierten Muskelschwäche und Lähmung der Atemmuskulatur mit Todesfolge führt. Allerdings ist Zolgensma® nicht die einzige Behandlungsmöglichkeit: Seit 2017 steht mit Nusinersen (Spinraza®) ein in Deutschland zugelassenes Medikament zur Verfügung, das regelmäßig verabreicht werden muss. Der G-BA hat für Spinraza® für die fragliche Patientengruppe einen „erheblichen Zusatznutzen“ festgestellt. Die Wirksamkeit von Zolgensma® sei wahrscheinlich mit der von Spinraza® vergleichbar, heißt es in dem Brief von Kassen, Kliniken und G-BA – oder könnte diesem überlegen sein. Direkte vergleichende Studien lägen jedoch nicht vor. Und ohne Risiken sei die neue Therapie keineswegs. Und so erklärten die Unterzeichner sehr deutlich:


Angesichts der erheblichen Renditen, die mit Arzneimitteln für neuartige Therapien (ATMP) insgesamt und bereits absehbar insbesondere auch mit Zolgensma® erzielt werden, kann es nicht ohne Widerspruch hingenommen werden, wenn bereits ohne eine Zulassung anstelle eines Härtefallprogramms (Compassionate Use) über eine beispiellose Medienkampagne ein erheblicher Druck auf Krankenkassen und Ärzte entfaltet wird, das nicht zugelassene Medikament zu Lasten der Versichertengemeinschaft vorab einzusetzen“.

Auszug aus dem Brief des AOK-BV, des BKK-Dachverbands, des vdek, der Knappschaft Bahn-See, des IKK e.V., der SVLFG, des GKV-Spitzenverbands, des G-BA und des Verbands der Universitätsklinika Deutschlands an Gesundheitsminister Jens Spahn. 




Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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