Orale Therapie bei Typ-1-Diabetes

Sotagliflozin – reduziert Blutdruck und Nierenfunktion?

San Francisco / Stuttgart - 12.06.2019, 14:00 Uhr

Sotagliflozin verschlechtert initial die glomeruläre Filtrationsrate der Niere stärker als Placebo - ein normaler Effekt? Oder erholt sich die Nierenfunktion wieder? (b/Foto: Crystal light / stock.adobe.com)

Sotagliflozin verschlechtert initial die glomeruläre Filtrationsrate der Niere stärker als Placebo - ein normaler Effekt? Oder erholt sich die Nierenfunktion wieder? (b/Foto: Crystal light / stock.adobe.com)


Übergewichtige Typ-1-Diabetiker, die allein mit Insulin ihren Blutzucker nicht ausreichend kontrollieren können, dürfen ab einem BMI von 27 kg/m2 zusätzlich oral mit dem SGLT2-Inhibitor Dapagliflozin (Forxiga 5 mg) oder dem dualen SGLT1- und SGLT2-Hemmer Sotagliflozin (Zynquista) behandelt werden. Bei einer wissenschaftlichen Tagung der American Diabetes Association (ADA) hat Sanofi jetzt neue Daten zu Sotagliflozin vorgestellt: Sotagliflozin reduzierte den Blutdruck, verschlechterte aber auch die Nierenfunktion, gemessen an der glomerulären Filtrationsrate (eGFR). Ein normaler Effekt?

Bereits seit 26. April 2019 hat Sanofi die EU-Zulassung für Sotagliflozin (Zynquista®) als-Add-on-Therapie des Typ-1-Diabetes mellitus. Das Antidiabetikum darf in Kombination mit Insulin bei erwachsenen und übergewichtigen (BMI > 27 kg/m2) Typ-1-Diabetikern eingesetzt werden, wenn diese allein mit Insulin ihren Blutzucker nicht ausreichend kontrollieren können. Laut der S3-Leitlinie Therapie des Typ-1-Diabetes von 2018 liegt der Anteil erwachsener Patienten mit Typ-1-Diabetes und einem BMI > 25 heute bei etwa 50 bis 60 Prozent.
Der Zulassungstext von Zynquista® sieht vor, dass Sotagliflozin nur einmal täglich vor der ersten Mahlzeit des Tages in einer Dosierung von 200 mg eingenommen wird. Nach drei Monaten kann die Dosis auch auf zwei Tabletten, sprich 400 mg Sotagliflozin, erhöht werden, falls eine zusätzliche Blutzuckersenkung erforderlich ist. Die Blutzuckersenkung wies Sanofi in mehreren Studien nach: In einer der EU-zulassungsrelevanten Phase-III-Studien, Tandem 3, erreichten 28,6 Prozent der Typ-1-Diabetiker unter Sotagliflozin (400 mg einmal täglich) den primären Endpunkt, einen HbA1c kleiner 7 Prozent. In der Placebogruppe waren es 15,2 Prozent. Jedoch erlitten die Sotagliflozinpatienten auch signifikant mehr Ketoazidosen (3 Prozent) im Vergleich zu Placebo (0,6 Prozent). Das Risiko erhöhter Ketoazidosen veranlasste jüngst, im März 2019, die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA, den Zulassungsantrag von Sotagliflozin abzulehnen.

Derzeit ist Zynquista® nicht in Deutschland auf dem Markt. Auf Nachfrage von DAZ.online erklärt eine Unternehmenssprecherin: „Einen Termin für die Markteinführung in Deutschland kann ich heute noch nicht mitteilen". Sanofi bereite zur Zeit „eine nachhaltige Einführung" vor.

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Nun veröffentlicht Sanofi neue Daten zu Sotagliflozin, die den Effekt von Sotagliflozin auf die Nierenfunktion von Typ-1-Diabetikern zeigen. Vorgestellt hat das Unternehmen die aus zwei zulassungsrelevanten Phase-III-Studien, Tandem 1 und Tandem 2, gepoolten Daten bei einer wissenschaftlichen Tagung der American Diabetes Association (ADA) in San Francisco (7. bis 11. Juni 2019).

Sotagliflozin verschlechtert eGFR mehr als Placebo

Laut einer Mitteilung von Sanofi senkte Sotagliflozin in dieser gepoolten Analyse mit Daten von 1.575 Studienteilnehmern den Blutdruck, und Sotagliflozin war mit kurz- und langfristigen Veränderungen der eGFR (estimated GFR, Glomeruläre Flitrationsrate) und einem Rückgang der Albuminurie assoziiert. Diese „Veränderungen der eGFR“ waren jedoch keineswegs Verbesserungen – die eGFR verschlechterte sich verglichen mit Placebo unter Sotagliflozin. Die Patienten – Typ-1-Diabetiker mit unzureichender Blutzuckerkontrolle – erhielten entweder eine optimierte Insulintherapie plus 200 mg beziehungsweise 400 mg Sotagliflozin oder nur eine optimierte Insulintherapie (plus Placebo).

Ausgehend von einer eGFR von 89,3 ml/min/1,73m2 (+/- 0,86 ml/min/1,73m2) reduzierte sich die Nierenfunktion gemessen an der eGFR nach vier Wochen dosisabhängig um 2,5 ml/min/1,73m2 (200 mg Sotagliflozin) und 2,8 ml/min/1,73m2 (400 mg Sotagliflozin), jeweils verglichen mit Placebo.

eGFR-Dip unter Sotagliflozin erholt sich nicht vollständig

Die Nierenfunktion erholte sich laut Sanofi wieder – die eGFR „tendierte" nach 52 Wochen Richtung Ausgangswert, heißt es in der Mitteilung. Jedoch lag die Nierenfunktion der 200 mg-Sotagliflozingruppe auch nach 52 Wochen (-0,5 ml/min/1,73m2) und der 400 mg Sotagliflozingruppe (-2 ml/min/1,73m2) verglichen mit Placebo noch unter dem Ausgangswert bei Studienbeginn.

Die Nierenfunktion ist ein wichtiger Parameter für Diabetiker, im Laufe der Erkrankung nimmt das Risiko einer diabetisch bedingten Nierenerkrankung zu. Es wird allgemein angenommen, dass Nephropathien 30 bis 40 Prozent der Typ-1-Diabetiker betreffen.

Unterschied bei Sotagliflozin und Dapa-/ Empagliflozin: SGLT 1 und SGLT2

Sotagliflozin ist wie Dapagliflozin und Empagliflozin ein SGLT-Inhibitor (sodium-dependent glucose transporter). Allerdings hemmen Dapagliflozin und Empagliflozin SGLT2 etwa 1000-fach selektiver als SGLT1. 
SGLT2 wird in der Niere stark exprimiert und ist maßgeblich für die Rückresorption von Glucose aus dem glomerulären Filtrat verantwortlich. Die Expression in anderen Geweben fehlt oder ist dort sehr gering. 
SGLT1 ist der maßgebliche Transporter für die Glucoseresorption im Darm. Sotagliflozin soll sowohl SGLT2 als auch SGLT1 hemmen. Es wirkt also auf die Glucoseresorption in Niere und Darm. 

Übrigens: Alpha-Zellen in den Langerhans’schen Inseln der Bauchspeicheldrüse exprimieren auch SGLT2-Rezeptoren. Werden diese durch Gliflozine blockiert, wird eine Hypoglykämie imitiert, was die Ausschüttung von Glukagon verstärken kann. Das kann zur Entstehung von Ketoazidosen beitragen.

Sotagliflozin senkt Blutdruck

Die Sotagliflozindaten zur Blutdrucksenkung bestätigten die früheren Untersuchungen hierzu. 200 mg beziehungsweise 400 mg Sotagliflozin reduzierten den Blutdruck (bei Typ-1-Diabetikern mit Ausgangswerten größer 130 mmHg systolisch) um 2,7 mmHg beziehungsweise 3,73, jeweils +/- 0,77 mmHg, verglichen mit Placebo. Diastolisch senkte Sotagliflozin 200 mg beziehungsweise 400 mg (Ausgangswerten größer gleich 80 mmHg diastolisch) um 2,28 mmHg und 2,08 mmHg, jeweils +/-0,83 mmHg.

In der Tandem-3-Studie sank bei Patienten mit einem systolischen Blutdruck von 130 mmHg oder höher zu Studienbeginn der Blutdruck signifikant stärker unter 400 mg Sotagliflozin als in der Placebogruppe (Woche 16: Differenz -3,5 mmHg).

Sanofi: initiale Abnahme der eGFR normal bei Gliflozinen

Was sagt Sanofi zu den Nierenfunktionsdaten von Sotagliflozin? 
„Die initiale Abnahme der eGFR ist ein Effekt, den alle SGLT2-Hemmer in den renalen Endpunkten der CVOTs gezeigt haben." Dies habe bereits die bekannte EMPA-REG Studie für Empagliflozin bei Typ-2-Diabetes gezeigt. Die Wissenschaftler erklärten 2017 im Lancet den initialen Dip unter Empagliflozin: „Eine Verringerung des intraglomerulären Drucks ist wahrscheinlich auch für den charakteristischen frühen Einbruch der eGFR bei Behandlungsbeginn mit SGLT2-Inhibitoren verantwortlich".

Bei Empagliflozin sank in allen Subgruppen (unterteilt nach unterschiedlicher Nierenfunktion) die eGFR zunächst, hielt sich dann aber stabil. „Gerade in der Subgruppe mit „normaler“ Nierenfunktion (eGFR circa 80 ml/min/1,73m2) dauert es 52 Wochen, bis sich die beiden Arme (Erklärung der Redaktion: Placebo und Empagliflozin) wieder angeglichen haben. Das entspricht sehr genau der Beobachtung mit Sotagliflozin bei Typ-1-Diabetes", so Sanofi. In der Tat trafen sich bei EMPA-REG für Patienten mit initialer eGFR zwischen 70 und 80 ml/min/1,73m2 erst 66 Wochen nach Therapiebeginn die eGFR-Kurven von Placebo und Empagliflozin wieder. Braucht Sotagliflozin folglich noch Zeit, um die Diskrepanz zu Placebo aufzuholen?

„Die gleiche initiale Senkung, mit anschließender Stabilisierung ist nun auch für Sotagliflozin in Typ-1-Diabetes gezeigt worden". Es gelte jedoch zu beachten, dass die Tandem-Studien nicht designed wurden, um verschiedene Stadien der Niereninsuffizienz miteinander zu vergleichen und die Beobachtungszeit auch nur ein Bruchteil der der EMPA-REG Studie betrug. Dennoch ließen die in der Subanalyse der Tandem-Studien gemachten Beobachtungen auf ähnliche Effekte schließen, die in weiteren Studien bestätigt werden müssten, so Sanofi.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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