DAZ.online-Spezial Direktvertrieb

„Als Heilberufler muss man nicht jede Geschäftsmöglichkeit ergreifen“

Berlin - 09.01.2018, 16:00 Uhr

DAV-Chef Fritz Becker kämpft für die traditionelle Lieferkette und warnt vor einem zu großen Direktvertriebs-Anteil. (Foto: Schelbert)

DAV-Chef Fritz Becker kämpft für die traditionelle Lieferkette und warnt vor einem zu großen Direktvertriebs-Anteil. (Foto: Schelbert)


Ist das zunehmende Geschäft im Direktvertrieb und über die Pharma Mall eigentlich pure Taktik der Hersteller? Oder reagieren die Pharmaunternehmen nur drauf, dass immer mehr Apotheker und Großhändler Medikamente gewinnbringend exportieren? Im Interview mit DAZ.online stellt Fritz Becker, Chef des Deutschen Apothekerverbandes klar: Die klassische Lieferkette ist der Goldstandard. Aber: Er appelliert auch an seine Kollegen.

In der DAZ.online-Themenwoche beschäftigen wir uns derzeit mit den Ecken und Kanten des Direktvertriebes. Bislang ging es um die Mehrarbeit für Apotheker durch die vielen Bestellungen über die Pharma Mall und die damit verbundene immer häufiger auftretende Nicht-Lieferfähigkeit des Großhandels bei einigen Arzneimitteln.

In einem weiteren Beitrag hat sich DAZ.online-Autor Thorsten Schüller gefragt: Wer ist eigentlich die Pharma Mall? Wer steckt hinter dem Unternehmen? Immerhin bestellen laut dem Beitrag 19.300 Apotheken bei der Pharma Mall, pro Jahr gehen rund eine Million Transaktionen auf das Konto von Vor-Ort-Apothekern. Was sagen die Standesvertreter der Apotheker zu dieser Entwicklung? Ist das ein Zustand, der angenommen werden muss, weil er juristisch nicht bekämpfbar ist? Und warum ist die klassische Lieferkette eigentlich immer noch der beste Weg für die Arzneimittelversorgung? Ein Interview mit Fritz Becker, Vorsitzender des Deutschen Apotheker Verbandes.

DAZ.online: Welche Veränderungen beobachten Sie persönlich in Ihrer Apotheke und auch als DAV- und LAV-Chef im System, was den Direktvertrieb betrifft?

Becker: Wir haben uns immer dafür eingesetzt, dass jedes Arzneimittel über den vollversorgenden pharmazeutischen Großhandel erhältlich ist. Arzneimittelrechtlich ist der Direktvertrieb von Arzneimitteln vom Hersteller zur Apotheke natürlich ebenso erlaubt wie der klassische Weg über den Großhandel. 

DAZ.online: Gibt es eine deutliche Zunahme an direkten Bestellungen oder ist es kein ausgeprägtes Phänomen?

Becker: Aktuelle Marktzahlen liegen uns derzeit leider nicht vor, so dass sich aus Bundesebene kein klarer Trend beschreiben und analysieren lässt. Aber auch Einzelfälle, die wahrscheinlich jeder Apotheker kennt, können natürlich zeitraubend, bürokratisch und somit belastend sein.

Becker will Vorgehen der Pharma Mall nicht kommentieren

DAZ.online: Erkennen Sie eine Tendenz dabei, welche Art von Arzneimitteln vermehrt nur über die Pharma Mall bestellbar ist? 

Becker: Einzelne Hersteller oder Plattformen will ich nicht kommentieren.

DAZ.online: Wie argumentieren denn die Hersteller gegenüber den Apothekern, wenn ein Arzneimittel nicht mehr über den Großhandel, sondern nur noch über den Hersteller direkt bezogen werden kann? 

Becker: Es darf eigentlich nicht sein, dass eine ganz normale Bestellung beim Großhandel mit dem Hinweis auf Lieferengpässe oder Kontingente nicht ausgeführt werden kann, aber der Anruf beim Hersteller dann eine problemlose Lieferung zur Folge hat. Das kann keine positive Entwicklung sein, denn der Großhandel muss nicht zuletzt wegen der schnellen Belieferung, aber auch mit Blick auf die Effizienz der Versorgung, der „Goldstandard“ für alle Apotheken bleiben.

Becker: Exporte sind legal

DAZ.online: Warum ist denn der pharmazeutische Großhandel der „Goldstandard“ für Apotheker?

Becker: Mit einem oder auch zwei oder drei Großhändlern hat die Apotheke eine feste und vertrauensvolle, oft schon jahrelange Vertragsbeziehung. Ein wesentliches Auswahlkriterium ist die Verlässlichkeit und Geschwindigkeit der Lieferung in die Apotheke. Gerade dann, wenn das benötigte Arzneimittel nicht in der Apotheke verfügbar ist, muss der Apotheker wissen, wann er es erhält, bevor der Patient die Apotheke wieder verlässt. Insofern geht es hierbei nicht nur um innerbetriebliche Abläufe, sondern um den Patienten selbst. Selbstverständlich mögen die finanziellen Lieferkonditionen ein weiterer Auswahlgrund sein.

DAZ.online: Welche Vorteile hat aus Ihrer Sicht die „traditionelle“ Lieferkette Hersteller – Großhandel – Apotheke? 

Becker: Neben seinen logistischen, finanziellen und vergleichsweise unbürokratischen Leistungen hat der Großhandel auch noch eine wichtige Filter- und Datenschutzfunktion. Letztlich macht er die einzelne Apotheke unabhängiger von den Arzneimittelherstellern und ihrem Marketing. Kein Hersteller muss zwingend wissen, wann welche Apotheke welches Arzneimittel bestellt und geliefert bekommt.

Becker: Wir stehen im Austausch mit dem Phagro

DAZ.online: Was unternimmt der DAV, um die Situation für die Apotheker hier etwas zu entspannen? 

Becker: Zuerst sind wir Apotheker daran interessiert, die bestmögliche Arzneimittelversorgung unserer Patienten sicherzustellen. Um dies zu sichern, steht der Deutsche Apothekerverband natürlich in engem Austausch mit den Herstellerverbänden und dem Großhandelsverband PHAGRO. Wer zum Modell eines vollversorgenden pharmazeutischen Großhandels steht, wie ich es tue, für den muss der Regelfall die Belieferung durch den Großhandel sein, und die Direktbelieferung die Ausnahme. Aber selbstverständlich muss hier der Einzelne entscheiden. 

DAZ.online: Inwiefern tragen auch Apotheker und Großhändler aus Ihrer Sicht eine Teilschuld? Liegen die Kontingentierungen und die Auslagerungen in die Pharma Mall auch eine Reaktion der Industrie auf vermehrte Exportgeschäfte der Apotheker und Großhändler?

Becker: Auf dem Deutschen Apothekertag im Jahr 2014 in München haben wir im Zusammenhang mit Arzneimittelfälschungen ausdrücklich gefordert, dass die Vertriebswege insgesamt wieder transparenter und direkter werden müssen. An dieser Forderung hat sich bis heute nichts geändert. Dies gilt einerseits für die Importquote, wo Gesetzgeber und  Krankenkassen uns Apotheker weiterhin zwingen, fünf Prozent unseres Umsatzes mit Arzneimitteln zu machen, die eigentlich für andere europäische Länder bestimmt waren. Das gilt aber auch für Apotheken und Großhändler, die meinen, sie müssten einzelne Medikamente zu höheren Preisen ins Ausland verkaufen. Das ist im Regelfall legal. Aber man muss, gerade als Heilberufler, nicht jede legale Geschäftsmöglichkeit auch ergreifen.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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