Arzneimittelsicherheit 

Patienten sollen mehr Nebenwirkungen melden

Remagen - 21.11.2017, 11:00 Uhr

Die europäischen Arzneimittelbehörden rufen die Patienten dazu auf, ihnen häufiger Nebenwirkungen zu melden. (Foto: Photo SG / stock.adobe.com)

Die europäischen Arzneimittelbehörden rufen die Patienten dazu auf, ihnen häufiger Nebenwirkungen zu melden. (Foto: Photo SG / stock.adobe.com)


In einer gemeinsamen Kampagne fordern die europäischen Arzneimittelbehörden dazu auf, ihnen verstärkt Verdachtsfälle von Nebenwirkungen zu melden. Die Botschaft richtet sich nicht an die Fachkreise, sondern an die Patienten. Dabei soll der Fokus auf unerwünschten Wirkungen durch rezeptfreie Arzneimittel liegen.

Während Pharmaunternehmen, Apotheker und Ärzte schon lange zur Meldung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) verpflichtet sind, ist dieses „Angebot“ für die Patienten noch relativ neu. Erst mit der neuen Pharmakovigilanz-Gesetzgebung aus dem Jahr 2012 sind sie explizit in das System zur Erfassung von Arzneimittelrisiken eingebunden. In der Packungsbeilage werden die Patienten direkt dazu aufgefordert, ihren Ärzten, Apothekern oder anderen Angehörigen der Gesundheitsberufe jeden Verdachtsfall einer Nebenwirkung zu melden. Sie können sich hierzu auch direkt an die Zulassungsbehörden (BfArM beziehungsweise PEI) wenden. Seitdem hat das Meldeaufkommen sukzessive zugenommen. Im letzten Jahr wurden in dem Informationsnetzwerk und Managementsystem EudraVigilance der EU rund 47.200 UAW-Meldungen von Patienten verzeichnet, ein bisschen weniger als im Jahr zuvor, aber immerhin bereits fast doppelt so viele wie im ersten Jahr der Erfassung von Patientenmeldungen (2012).

Spezieller Meldebogen für Patienten vorhanden

Im November letzten Jahres hatten die europäischen Arzneimittelbehörden die erste Kampagne gestartet, um die breite Öffentlichkeit diesbezüglich noch mehr wachzurütteln. Nun wird noch mal nachgelegt. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte verweist in einer aktuellen Pressemitteilung auf ein speziell für Verbraucher konzipiertes Online-Meldeformular sowie einen Meldebogen, mit dem Verdachtsfälle auch per Brief oder Fax gemeldet werden können: www.bfarm.de/uawmelden.

Die Daten werden über eine gesicherte Verbindung an die Datenbank übermittelt und selbstverständlich vertraulich behandelt, sichert das BfArM zu. Die Behörde informiert auch auf ihrem Twitter-Kanal darüber, wie wichtig das Melden von Nebenwirkungen ist. Die Patienten werden per Animation und über Tweets dazu aufgefordert, die Packungsbeilage zu lesen und die Anweisungen zur Dosierung und Einnahmedauer von Arzneimitteln zu beachten. 

Patienten sollen Arzneimittel nicht einfach absetzen

Die Meldung einer Nebenwirkung ersetze den Arztbesuch nicht, betont das BfArM. Nur der behandelnde Arzt könne und dürfe beurteilen, ob beispielsweise die Dosis eines verdächtigten Medikaments reduziert oder ob es gar abgesetzt werden müsse. Die medizinische Beurteilung des Falles durch einen Arzt, der den Patienten und die medizinischen Hintergründe gut kennt, ist für die Arzneimittelsicherheitsexperten beim BfArM eine wichtige Informationsquelle. Deswegen sollen eventuell vorhandene Arztbriefe oder Krankenhausberichte der eigentlichen Meldung beigefügt werden.

Behörden gehen von underreporting aus

Die Behörden vermuten, dass die Patienten ihre Beobachtungen vielfach nicht weitergeben, etwa weil sie zwischen einer Reaktion oder einem Symptom und dem Arzneimittel keinen Zusammenhang sehen oder weil sie die Symptome einer Grunderkrankung zuordnen. Die Arzneimittelsicherheitsexperten seien aber auf belastbare Daten und Risikosignale aus der Praxis besonders angewiesen. Seltene oder sehr seltene unerwünschte Wirkungen, Wechselwirkungen oder andere Risiken können in klinischen Prüfungen üblicherweise nicht erkannt werden.

Außerdem seien die Patienten in klinischen Prüfungen selektiert, was nicht notwendigerweise den Bedingungen bei der breiten Anwendung des Arzneimittels entspricht. „Ob nach der Einnahme verschreibungspflichtiger oder rezeptfreier Arzneimittel: Es ist in beiden Fällen wichtig, dass möglichst viele Verdachtsfälle von Nebenwirkungen gemeldet werden“, betont BfArM-Präsident Karl Broich. „Das hilft den Arzneimittelbehörden, Risikosignale so früh wie möglich zu erkennen und dann bei Bedarf wirkungsvolle Maßnahmen zum Schutz der Patientinnen und Patienten zu treffen.“

Stecknadel im Heuhaufen

Wie mühselig die Identifizierung eines Arzneimittelrisikos in der praktischen Anwendung sein kann, unterstreicht das folgende „Zahlenspiel“: Im letzten Jahr sind beim BfArM etwas über 52.000 Meldungen zu UAW-Verdachtsfällen von Pharmaunternehmen eingegangen. Hinzu kommen weitere 12.101 aus anderen Quellen. Nach dem Jahresbericht 2016 der Europäischen Arzneimittel-Agentur wurden in EudraVigilance im letzten Jahr mehr als 1,2 Millionen UAW-Meldungen eingespeist. Die EMA bearbeitete im selben Jahr etwa 2000 Signale. 94 landeten zur weiteren Beurteilung beim Pharmakovigilanzausschuss (PRAC). Davon kam rund die Hälfte aus den Mitgliedstaaten. Vier führten zu einem sogenannten Referral-Verfahren zur vertieften Eruierung des Sachverhalts und um eine harmonisierte Entscheidung herbeizuführen. In 28 Fällen wurden aufgrund der Ergebnisse Änderungen in den Produktinformationen vorgenommen. Spektakuläre Fälle ohne jeden Zweifel sind in diesem „Tagesgeschäft“ eher selten.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

Europäische Arzneimittelagentur

Nebenwirkungen gehen online

Warum am behördlichen Nebenwirkungsmelde-System kein Weg vorbeiführt

Verdachtsfälle melden

Privatwirtschaftliche Unterstützung für das Melden von Nebenwirkungen

Ein neuer Impuls

BfArM- und PEI-Kampagne zur ARzneimittelsicherheit

Nebenwirkungen melden!

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.