Niedersachsen

AOK retaxiert falsch angekreuztes Gebührenstatusfeld

Stuttgart - 02.10.2017, 11:15 Uhr

Retaxationen sorgen immer wieder für Zwist zwischen Krankenkassen und Apotheken. (Foto: Sket / DAZ.online)

Retaxationen sorgen immer wieder für Zwist zwischen Krankenkassen und Apotheken. (Foto: Sket / DAZ.online)


Retaxationen sorgen immer wieder für Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit zwischen Krankenkassen und Apotheken. Jüngstes Beispiel: Die AOK Niedersachsen retaxierte kürzlich eine Apotheke wegen des falsch angekreuzten Gebührenstatusfelds auf dem Rezept – inzwischen wohl das einzige Rezeptfeld, das Apotheker gar nicht prüfen müssen.

Der kürzlich erst erneuerte Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung gilt eigentlich für Krankenkassen und Apotheken gleichermaßen. Aber sehen das auch die Krankenkassen so? Eine Retaxation der AOK Niedersachsen, die dem Deutschen Apotheken Portal vorliegt, lässt zumindest auf den ersten Blick Zweifel daran, ob die Kassen ihre neuen Vertragspflichten wirklich ernst nehmen. Konkret geht es um den Zuzahlungsstatus, den Apotheker ja eigentlich gar nicht prüfen müssen.

Seit wann müssen Apotheker den Gebührenstatus prüfen?

Dass die Apotheken den Gebührenstatus nicht prüfen müssen, sieht die AOK Niedersachsen offenbar nicht so. Zumindest beanstandete sie genau dies in einem konkreten Fall und beanstandete ein Rezept über Verbandstoffe, bei dem der Druck schlichtweg verrutscht war: Der Patient war somit fälschlicherweise als „zuzahlungsfrei“ gekennzeichnet, die Apotheke verzichtete auf die eigentlich anfallenden zehn Euro Zuzahlung. Nun weigert sich die Krankenkasse, der Apotheke den Zuzahlungsbetrag zu erstatten.

Quelle: DAP

Wer pharmazeutisch in einer öffentlichen Apotheke tätig ist, weiß: Apotheker und PTA prüfen einiges, bevor ein Arzneimittel, Medizinprodukt oder Hilfsmittel den Patienten erreicht und die belieferte Verordnung mit den Krankenkassen abgerechnet wird. Über das Verordnungsdatum, die ärztliche Unterschrift, die „7“ bei Hilfsmitteln – und natürlich die Diagnose, eventuell auch die Patientenunterschrift zum Erhalt des Hilfsmittels, nicht zu vergessen sind die Rabattverträge, Stückzahlverordnungen und Packungsgrößen, Import und Original, Preisanker, Genehmigung?, und so weiter.

Das sind nur die absoluten „Basics“ des kritischen Apothekerblicks über ein Rezept. Da ist es angenehm, dass es zumindest ein Feld auf der Verordnung gibt, die den Apotheker entlastet: „Ist der Patient befreit von der Zuzahlung oder nicht?“ Die Kreuze in diesem Statusfeld „Gebühr frei“ oder „Geb.-pfl.“ befinden sich selten exakt an der Stelle, wo das Rezeptformular sie eigentlich vorsieht. Für Apotheker in öffentlichen Apotheken ist es somit ein durchaus vertrautes Szenario, dass die Kreuzchen häufig abenteuerlich nach oben, unten, rechts, links oder quer verrutscht sind – oder hin und wieder auch einfach komplett fehlen. 

Wer treibt die Zuzahlung ein – Apotheke oder Krankenkasse?

Den gesetzlichen Boden für die Zuzahlung der Patienten zu ihren Arzneimitteln liefert SGB V § 43c. Primär stehen die Leistungserbringer, also die Apotheken, in der Pflicht, diese Zuzahlungen einzuziehen. Zahlt der Versicherte jedoch nicht, obliegt der Krankenkasse das Eintreiben des Betrags.


Leistungserbringer haben Zahlungen, die Versicherte zu entrichten haben, einzuziehen und mit ihrem Vergütungsanspruch gegenüber der Krankenkasse zu verrechnen. Zahlt der Versicherte trotz einer gesonderten schriftlichen Aufforderung durch den Leistungserbringer nicht, hat die Krankenkasse die Zahlung einzuziehen.

SGB V § 43c


Haben die Krankenkassen eine neue Retaxdomäne gefunden?

Ungeachtet dessen, hat der GKV-Spitzenverband mit der Apothekerschaft im neuen Rahmenvertrag § 3 geregelt, dass der Vergütungsanspruch des Apothekers trotz nicht ordnungsgemäßer vertragsärztlicher Verordnung oder Belieferung auch dann entsteht, „wenn die Apotheke eine vom Arzt fälschlicherweise als 'Gebührenfrei' gekennzeichnete Verordnung ohne Einbehaltung einer Zuzahlung abgibt“.

Die oben aufgeführte schriftliche Nachforderung der versäumten Zuzahlung bei der Patientin hat der Apotheker bislang noch nicht veranlasst. Auf diese Idee sei er bislang auch gar nicht gekommen, erklärt er gegenüber DAZ.online. Allerdings beobachte er in jüngster Zeit, dass sich Retaxationen aufgrund des falschen Gebührenstatus häuften, sagt er. Angesichts dieser Beanstandungen durch die Krankenkassen frage er sich, welchen Sinn § 3 im Rahmenvertrag, dass der Vergütungsanspruch des Apothekers bei unbedeutenden formalen Fehlern wie dem falschen Gebührenstatus bestehe, dann überhaupt mache?

Hier überschneiden sich jedoch zwei Bereiche, einmal die gesetzlichen Regelungen im SGB V und die Vereinbarungen im Rahmenvertrag. Bestünde dieser Paragraph nicht, könnte die Krankenkasse nicht lediglich die Erstattung der Zuzahlung verweigern, sondern das Rezept zu Null absetzen. 

Ignoriert die Krankenkasse in diesem Retaxfall somit überhaupt die bestehenden Gesetze? Das Problem der AOK ist nicht die nicht geleistete Zuzahlung, vielmehr sieht die Krankenkasse die Sorgfaltspflicht der Apotheke vernachlässigt. Sie erstatte die abgegebenen Verbandstoffe, nur die Zuzahlung müsse der Apotheker zunächst versuchen einzutreiben, argumentiert die AOK Niedersachsen gegenüber DAZ.online. Das ist nach SGB V § 43c korrekt. Sie muss hinsichtlich des Eintreibens der Zuzahlung erst aktiv werden, nachdem die Apotheke erfolglos beim Patienten nachgefordert hat. Was er bislang nicht hat. Doch argumentiert die Krankenkasse im Schriftverkehr mit der betroffenen Apotheke anders: Hier fordert sie, dass die Befreiung der Patientin von der Apotheke hätte überprüft werden müssen.

Verrutschter Rezeptaufdruck ist „erkennbarer Irrtum“

Der gesamte Rezeptaufdruck sei erkennbar verrutscht, was zu einem begründeten Zweifel an der Zuordnung der Kreuze führen müsse, findet die AOK. Zumal die Kundin bis heute eine Stammkundin der Apotheke sei: Über 100 Rezepte seien im Abrechnungsjahr 2016 für diese Versicherte inklusive der Zuzahlungen abgerechnet worden. Die AOK findet ihre Forderungen rechtlich legitim und beruft sich ebenfalls auf den neuen Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung: In § 3 Abs. 3 sei vereinbart, dass bei Verordnungen, die einen für den Abgebenden erkennbaren Irrtum enthalten, der Abgebende die Verordnung nach Rücksprache mit dem verordnenden Arzt korrigiert oder ergänzt. „Die Apotheke ist einem begründeten Zweifel in Bezug auf die Verordnungsausstellung vor Abrechnung jedoch nicht nachgegangen. Nur dies ist der Ursprung unserer Beanstandung“, sagt ein Sprecher der AOK Niedersachsen. Der Vergütungsanspruch für die abgerechneten Artikel bleibe bestehen.

AOK wechselt Argumentationsstrategie

Obwohl die Apotheke mehrfach auf diesen Abrechnungsfehler hingewiesen worden sei, versuche sie nicht, den Abrechnungsfehler zu heilen, sondern ignoriere dies, bemängelt die Krankenkasse weiter. Man habe die Apotheke darum gebeten, die Zuzahlung nachträglich einzuziehen. Allerdings erst kürzlich in einem Schreiben, das der Apotheke noch nicht vorliege, da es erst am 28. September versendet wurde – das bestätigt auch der Apotheker gegenüber DAZ.online: Bislang habe er keine Bitte der AOK erhalten, die Zuzahlung bei der Kundin nachträglich zu fordern. Zum Schluss der AOK-Stellungnahme zeigt die Krankenkasse dann noch die Bereitschaft zum Gespräch mit der Apotheke: „Sollte die Kundin diese Zuzahlung verweigern, haben wir um eine schriftliche Mitteilung der Apotheke gebeten", sagt die AOK gegenüber DAZ.online. Wie argumentierte die AOK bei der Apotheke?

AOK: Befreiung muss überprüft werden

Im Schriftverkehr mit der betroffenen Apotheke verweist die Krankenkasse zwar auch auf die Zuzahlungspflicht gemäß SGB V, aber darauf, dass eine ausnahmsweise Befreiung vor der Abrechnung überprüft werden müsse, zumal der gesamte Rezeptdruck „verrutscht“ sei. Auch nach „nochmaliger Prüfung“ des Rezeptes beharrt die AOK darauf: Es lag keine Befreiung vor, die Apotheke wird gebeten, eine Kopie der Befreiungskarte vorzulegen, das sei die Voraussetzung für die Anerkennung des Einspruchs. Die Krankenkasse bleibe daher bei ihrer Ablehnung und werde die Rezeptgebühr mit der nächsten Apothekenforderung verrechnen.

Apotheke: Retax erschüttert Vertragsvertrauen

Den betroffenen Apotheker enttäuscht das Verhalten der Krankenkasse : „Für mich wird durch diese Retaxation an den Grundsätzen des Vertragsvertrauens der Apotheken gerüttelt“, sagt der Apotheker. „Deshalb war ich so hartnäckig“, nicht wegen des Geldbetrags: „Wegen 12,50 Euro – was soll das?“.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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8 Kommentare

Do hie gschlampert ...

von Bernd Jas am 04.10.2017 um 9:23 Uhr

Do hie gschlampert ...

... is des Kraizerl.
Wer hat´s gesetzt? Nicht die Schweizer!
Bei denen wäre es präzise, gerade und akkurat im richtigen Feld vermerkt worden.
Zu Zeiten von mehr und mehr eingesetzten Scannern (auch im HV) treten auch mehr und mehr deren Interpretationsfehler auf, die durch das menschlichen Auge ("Ein erfahrener Apotheker/Apothekerin erkennt sofort") wohl nicht missgedeutet würden. Da hat Herr Huesmann schon recht!!
Wenn wir das Feld bei der Prüfung ignorieren würden, entständen täglich mehrere Male 10.- €
Schaden. Selbst Schuld.
Warum wir uns Kassen allerdings als Inkassodeppen spendieren, ist eine andere Frage. Die Kreuzchensetzer sind diese nette Aufgabe jedenfalls wieder los geworden.

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AW: Do hie gschlampert

von Christian Becker am 04.10.2017 um 11:41 Uhr

Rezeptscanner mögen hin und wieder phantasieren, das Kreuzchen hätten die aber eindeutig als "gebührenpflichtig" erkannt.

AOK retaxiert

von BK am 03.10.2017 um 8:38 Uhr

Man sollte das Ganze nicht überbewerten und als simple Stimmungsmache gegen die Krankenkassen verwenden. Dies ist keinen Artikel in DAZ online wert. Da gibt es doch wirklich Wichtigeres! Der verrutschte Druck ist eindeutig als solcher zu erkennen. Solche Fälle der Relaxation gibt es nach meiner Erfahrung schon immer. Das ist doch nichts Neues. Der Fehler liegt hier meines Erachtens eindeutig bei der Apotheke.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: AOK retaxiert

von Christian Becker am 04.10.2017 um 10:10 Uhr

Sehe ich auch so. Ich schimpfe auch immer gerne über die Krankenkassen, aber in diesem Fall ist das ausnahmsweise mal nicht gerechtfertigt.
Es ist ärgerlich, dass trotz des genormten Aussehens der Kassenrezepte Drucker immer noch nicht in der Lage zu sein scheinen, diese auch ordentlich zu bedrucken.

AOK retaxiert falsch angekreuztes Gebührenstatusfeld

von Dr. Gregor Huesmann am 02.10.2017 um 17:59 Uhr

Nichts für ungut, aber ein solcher Fall kommt doch nahezu täglich vor. Ein erfahrener Apotheker/Apothekerin erkennt sofort, dass der Druck verrutscht ist und kassiert die Zuzahlung. Hier erfolgt die Retaxation zu recht!

» Auf diesen Kommentar antworten | 2 Antworten

AW: AOK retaxiert falsch angekreuztes Gebü

von Andreas Grünebaum am 02.10.2017 um 18:38 Uhr

Mag ja sein, dass man das eigentlich leicht sehen kann, wenn die Rezeptzeilen beim Druck verrutscht sind. Was aber, wenn man nun der Kasse vorwürfe, man sei formal im Recht, und diese im Umkehrschluss in Zukunft alle offensichtlich und er Zeile verrutschten "aut-idem" Kreuze retaxieren würde?

P.S. allerdings kann ich im oben abgebildeten Image eben nicht erkennen, dass eine Zeile verrutscht ist. Wie wäre es denn damit, dass in solchen Fällen die Kassen ihre Patienten in Regress nehmen würden? Geht natürlich gar nicht, also stattdessen den Arzt, welcher fahrlässig ein falsch ausgestelltes Rezept eigenhändig unterschreibt?

AW: AOK retaxiert falsch angekreuztes Gebührenstatusfeld

von Jan Oesterwalbesloh am 04.10.2017 um 8:25 Uhr

So sehr ich die Retax-Politik der Kassen auch verachte, in diesem Fall ist so dermaßen eindeutig zu erkennen, dass das Kreuz für die Zuzahlungsbefreiung nicht auf einer Linie mit der Bezeichnung des Kostenträgers liegt.

aok

von frank ebert am 02.10.2017 um 12:03 Uhr

Welche Zusammenarbeit ?

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