Grippewelle

Impfmüde bei Influenza

16.02.2017, 07:00 Uhr

Das Marktforschungsinstitut IMS Health hat Daten der vergangenen sechs Jahre ausgewertet – und verzeichnet konstant rückläufige Zahlen bei den verabreichten Impfdosen. (Foto: DAZ.online)

Das Marktforschungsinstitut IMS Health hat Daten der vergangenen sechs Jahre ausgewertet – und verzeichnet konstant rückläufige Zahlen bei den verabreichten Impfdosen. (Foto: DAZ.online)


Ungebremst rollt die Grippewelle über Deutschland. Fast 200 Menschen sind bereits daran gestorben. Den besten Schutz vor Influenza bietet immer noch die Impfung. Doch die Deutschen scheinen nachlässig zu sein, wenn es ums Grippeimpfen geht: Immer weniger ältere Menschen nutzen die Influenzaprävention. Warum ist das so? 

Für über 60-Jährige zählt die Grippeschutzimpfung zur Standardimpfung – so empfiehlt es die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert- Koch-Institut (RKI). Doch die Deutschen scheinen zunehmend träge, wenn es um den jährlichen Piks gegen Influenza geht. Das Marktforschungsinstitut IMS Health hat Daten der vergangenen sechs Jahre ausgewertet – und verzeichnet konstant rückläufige Zahlen bei den verabreichten Impfdosen. Gaben die Apotheken 2010 bundesweit noch 16,9 Millionen Impfstoffdosen ab, so waren es 2016 gerade noch 13,2 Millionen.

IMS Health berücksichtigte hier allerdings lediglich die Impfstoffabgaben durch öffentliche Apotheken. In Kliniken oder bei betriebsärztlichen Untersuchungen applizierte Grippeimpfungen fallen nicht in die Auswertung. 

Abb. 1: Mit Ausnahme von 2013 verzeichnen Grippeimpfungen in den letzten Jahren einen Rückgang. (Quelle: IMS PharmaScope® National, Basis: Menge in Impfdosen auf Basis Apothekenabgaben)

Immer mehr über 60-Jährige und immer weniger Grippeimpfungen

Angesichts des demographischen Wandels in Deutschland ist diese Entwicklung grotesk. Eine Hochrechnung des Verbands der Ersatzkassen (vdek) geht davon aus, dass bis zum Jahr 2020, die über 60-Jährigen bereits 21,2 Prozent der Bevölkerung stellen. Im Jahr 2000 lag ihr Anteil an der Bevölkerungsstruktur noch bei 17,2 Prozent. Entsprechend dieser Entwicklung zu immer mehr älteren Menschen müsste folglich auch die Anzahl der Grippeimpfungen stetig steigen – was sie aber offensichtlich nicht tut.

Den Trend der Impfmüdigkeit bei der älteren Bevölkerung beobachtet auch das RKI: Ließ sich in der Saison 2008/2009 mit 47,9 Prozent noch knapp die Hälfte der älteren Menschen gegen Influenza impfen, so war es im vergangenen Winter 2015/2016 mit 36,3 Prozent gerade noch rund ein Drittel. Es zeigt sich, dass in den neuen Bundesländer präventive Maßnahmen zum Grippeschutz zuverlässiger beansprucht werden – durchweg liegt die Impfquote dort rund 20 Prozent höher als in den alten Bundesländern. Doch selbst bei den neuen Ländern erreicht kein einziges die Vorgaben der Europäischen Union: Diese plante bereits für 2010 eine Durchimpfung bei der älteren Bevölkerung von 75 Prozent.

Quelle: IMS PharmaScope® National
Abb. 3: Unterschiedliche Nachfrage nach Grippeimpfungen in den Vorbeugemonaten August bis Oktober je nach Bundesland.

Warum sind die Deutschen impfmüde bei Grippe?

Betrachtet man die Schwere einer Grippeerkrankung und die limitierten Behandlungsmöglichkeiten einer akuten Infektion, drängt sich durchaus die Frage auf: Warum folgen nicht mehr Menschen den Empfehlungen des RKI und schützen sich vor Grippe? Antworten hierzu liefert die Gesundheitsberichterstattung des Bundes aus dem Jahr 2015. Als Gründe für eine Nichtimpfung geben hier die meisten Patienten an, die Impfung zu vergessen und sich vor Nebenwirkungen durch die Grippeimpfung zu fürchten. Oder die Patienten halten es für es unwahrscheinlich, an Grippe tatsächlich zu erkranken, und sie verzichten deswegen bewusst auf den Grippeschutz.

Zu ähnlichen Ergebnissen kam auch eine telefonische Befragung von 1.519 erwachsenen Privatpersonen durch das RKI im Jahre 2014: Die Patienten dachten nicht über eine Impfung nach, halten Grippe für keine gefährliche Erkrankung oder vertrauen der Impfung nicht. Allerdings – so heißt es im Bericht zur Epidemiologie der Influenza in Deutschland Saison 2014/15 – sei die Datenlage zum Impfverhalten bei älteren Menschen und chronisch Kranken limitiert.

Doch es gibt auch Ursachen, die völlig patientenunabhängig sind. Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi) und die Berlin School of Public Health der Charité Berlin analysierten die saisonalen Impfraten bei Influenza für die Jahre 2009/10 bis 2013/14 anhand kassenärztlicher Abrechunungsdaten. So könnten „regional vereinbarte Rabattverträge, die in den vergangenen Jahren teilweise zu Engpässen bei der Impfstoffverfügbarkeit geführt haben“ sich zusätzlich negativ auf die Entwicklung des Impfstatus ausgewirkt haben.

Ärztliche Empfehlung verbessert Impfverhalten

Das RKI ist nicht untätig beim Thema Impfmotivation. Gemeinsam mit dem Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) führt es jährliche Impfkampagnen durch. „Wir kommen der Grippe zuvor“ soll nicht nur Wissens- sondern auch Impflücken in der Bevölkerung schließen. Als wichtigster Ansprechpartner gilt für die Impfberatung doch nach wie vor das medizinische Personal. Bei den gegen Grippe geimpften „in Deutschland wie in anderen Ländern hat die ärztliche Beratung die größte Bedeutung für eine positive Impfentscheidung“, heißt es beim RKI. Folglich bedürfe es künftig größerer Anstrengungen, den Nutzen der Impfung stärker in den von der STIKO definierten Zielgruppen zu vermitteln.

Fast 200 Menschen bei aktueller Grippewelle gestorben

In diesem Jahr scheint die Grippe – verglichen mit dem vergangenen Jahr – besonders stark aufzutreten: 192 Menschen sind nach Angaben des RKI in der aktuellen Saison bisher an Influenza verstorben – der Großteil (182) war älter als 59 Jahre.

Eine Impfung garantiert keinen absoluten Schutz vor einer Infektion. Auch in dieser Saison deckt der Impfstoff nur etwa 25 Prozent der zirkulierenden Viren ab. Dennoch empfiehlt das RKI weiterhin die Grippeimpfung und betont, dass eine Influenza-Erkrankung durch eine Impfung in der Regel deutlich milder verlaufe als ohne die präventive Maßnahme.

Bestürzt über die bereits geforderten Todesfälle durch die aktuelle Grippewelle zeigt sich auch der Bundestagsabgeordnete Reiner Meier. Er ist Mitglied im Ausschuss für Gesundheit und überzeugt: „Wenn mehr Menschen geimpft gewesen wären, hätte sich die Grippe nicht so dramatisch ausbreiten können, wie wir es gerade erleben“. Meier sieht allerdings auch ein Problem in den „niedrigen Impfraten beim medizinischen Personal“. Seien Ärzte und Pfleger krank, drohe eine Unterversorgung der Patienten. Schleppte sich das medizinische Personal allerdings krank zur Arbeit, steckten sie „im schlimmsten Fall Patienten an“, erläutert Reiner Meier das Dilemma. Warum Angehörige von Gesundheitsberufen ihren Impfschutz vernachlässigten, sei ihm unbegreiflich.

Meiers Fazit vor dem Gesundheitsausschuss: „Ich denke, es ist an der Zeit, dass wir Deutschland gemeinsam aus der Impfmüdigkeit aufwecken.“ Welche konkreten Maßnahmen der Abgeordnete hier im Auge hat, ist bislang nicht bekannt.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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