Kommentar

Entweder Boni oder bewährte Akutversorgung

Berlin - 19.01.2017, 10:00 Uhr

(Foto: Pavel Klimenko / Fotolia)

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Manche meinen noch immer, man könne beim Arzneimittelversand Geld sparen und zugleich die bewährte Vor-Ort-Versorgung der Apotheken nutzen. Doch die Gesellschaft muss sich entweder für das Eine oder für das Andere entscheiden, erläutert Thomas Müller-Bohn in einem Kommentar.

Nach dem EuGH-Urteil zur Preisbindung haben viele Medien den Arzneimittelversand aus dem Ausland als angeblich verbraucherfreundliche Sparmöglichkeit geradezu gefeiert. Auch einige Patienten- und Selbsthilfeorganisationen loben weiterhin die Aussicht auf eine Entlastung der Chroniker. Wie viele Patienten sich ihre Arzneimittel aus dem Ausland schicken lassen würden, bleibt zwar offen. Doch die Befürworter der Boni argumentieren immer wieder, dass die Boni vielen Patienten erhebliche Einsparungen bringen würden.

Allerdings ist dabei nie zu hören, dass irgendjemand auf die Akutversorgung der Apotheken vor Ort verzichten möchte. Gerade die Gegner des geplanten Rx-Versandverbotes betonen immer wieder, die Patienten sollten wählen können, woher sie ihre Arzneimittel beziehen. Offensichtlich möchte niemand auf sofort verfügbare Arzneimittel bei einer plötzlichen Erkrankung oder bei einer Therapieumstellung verzichten. Offenbar wollen alle weiterhin Rezepturen, Betäubungsmittel und andere Arzneimittel erhalten, die die Versender nicht anbieten dürfen oder wollen. Und offenbar wünschen sich auch alle weiterhin die Sicherheit eines gut erreichbaren Notdienstes.

Doch diese beiden Wünsche – Sparen durch Boni und die bewährte Akutversorgung vor Ort – lassen sich nicht zusammen erfüllen. Dass die so genannten Boni eigentlich Provisionen sind, die den Patienten in einem Sachleistungssystem gar nicht zustehen, mag in postfaktischen Zeiten zwar nicht mehr interessieren. Die zum Volkssport erklärte Schnäppchenjagd heiligt praktisch jedes Mittel. Doch der Logik des Marktes entkommt niemand. Wer Wettbewerb will, muss auch mit den Folgen leben. Das halten die Befürworter des Preiskampfes den Apotheken vor. Doch das gilt dann auch für die Patienten. 

Folgen für die Apotheken

Wenn nicht nur wenige, sondern viele Patienten im Ausland bestellen würden, könnten die Apotheken vor Ort zwangsläufig nur noch dementsprechend weniger Arzneimittel abgeben. Dann ist es allerdings naiv anzunehmen, dass die Apotheken vor Ort ihre Leistungen unverändert anbieten könnten. Diese Leistungen sind für die meisten Menschen offenbar so selbstverständlich geworden, dass sich kaum jemand eine Welt ohne die Apotheken vorstellen kann. 

Doch eine Analyse in der aktuellen Ausgabe der DAZ zeigt die wirtschaftlichen Folgen der Boni. Demnach wären schon bei einem relativ moderaten Umsatzverlust der Apotheken von „nur“ zehn Prozent bis zur 4400 Apotheken in ihrer Existenz bedroht. Denn so viele Apotheken stehen schon heute betriebswirtschaftlich „auf der Kante“. Angesichts dieser Zahl müssten auch viele Apotheken mit einer wichtigen Versorgungsfunktion in dünn besiedelten Gebieten und an wirtschaftlich schwachen Standorten schließen. Doch die Dichte des Apothekennetzes ist nur ein Teil des Problems. Die Analyse in der DAZ zeigt auch, dass die Zulassung von Boni in Deutschland für das Apothekensystem noch bedrohlicher wäre als das Abwandern von Umsätzen ins Ausland. Boni in Deutschland würden auch die Rentabilität der verbleibenden Apotheken aushöhlen. Gerade die kostenintensiven Dienstleistungen, die die Patienten so sehr schätzen, könnten die Apotheken dann nicht mehr finanzieren.

Nötige Entscheidung

Darum kann es für die Patienten keine freie Wahl zwischen Boni und der bewährten Versorgung geben, ohne die Folgen für das System zu betrachten. In jedem wirtschaftlichen System wirkt jede einzelne Verbraucherentscheidung irgendwie auch auf das große Ganze. Bei den Apotheken ist die freie Wahl der Konsumenten eine Illusion. Auf relativ kurze Sicht kann es kein „sowohl als auch“ geben, sondern nur ein „entweder oder“ zwischen Boni und der bewährten Versorgung vor Ort. Ein fairer Wettbewerb zwischen Versand und Vor-Ort-Versorgung würde Regeln erfordern. Doch diese hat der EuGH ausgehebelt. Darum ist das Rx-Versandverbot nötig, um das bewährte Versorgungssystem zu erhalten. 



Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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3 Kommentare

Die Belastung der Chroniker

von Brigitte Hillner am 19.01.2017 um 19:42 Uhr

.... ist politisch so gewollt.Alle überschlagen sich in Freude über die Entlastung der Chroniker, keiner gibt zu, daß diese Entlastung auch mit politischen Mittel machbar wäre.
Im Übrigen wird auch DocM seine Boni nicht zweimal geben können. Wenn also die AOK mit DocM Selektivverträge schließt, dann werden die Patienten alle wieder ganz normal zur Kasse gebeten werden.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Entweder Boni oder...

von Bernd Schinschel am 19.01.2017 um 15:10 Uhr

Warum soll die Solidargemeinschaft durch Boni ausgehobelt werden? Warum ungesunde Lebensweise noch belohnen? Von mir aus sollen sie im Internet bestellen, aber bitte zu gleichen Konditionen wie die öffentliche Apotheke.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

RX-Versandverbot

von Dr. Radman am 19.01.2017 um 10:13 Uhr

Genau.....

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

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